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Gedämpfte Stimmung. Ein Polizeifahrzeug steht am Abend auf dem Marktplatz von Hildburghausen.

© Martin Schutt / dpa

„Laute Minderheit, die alles aggressiv bekämpft“: Massentest in Hildburghausen trifft auf Skepsis – zurecht?

Nur ein Drittel der Schüler und Lehrer will in dem Corona-Hotspot am Massentest teilnehmen. Eine Suche nach den Gründen für die Ablehnung.

So haben sich die Menschen im thüringischen Landkreis Hildburghausen ihren 1. Dezember ganz sicher nicht vorgestellt: Warten auf den Corona-Test vor der Turnhalle bei Minusgraden und Schnee. Schon am Dienstagvormittag bildeten sich Schlangen frierender Kinder und Eltern vor den Testzentren im eingeschneiten Thüringer Wald.

Der Grund: Die Corona-Massentests für Kinder, Jugendliche und Lehrer haben am Dienstag begonnen. Ziel ist, herauszufinden, wie viele Kindergarten- und Schulkinder infiziert sind. Wegen der hohen Ansteckungsrate sind dort Schulen und Kindergärten bis 14. Dezember geschlossen. „Wir haben verschiedene Testteams zusammengestellt. Die arbeiten die Tests ab, soweit das von den Leuten gewünscht ist“, erklärt Peter Schreiber, Landesvorstand des Deutschen Roten Kreuzes.

Positiv-Beispiel in Sachen Testbereitschaft ist die Kleinstadt Römhild. Allein für Dienstag sind dort 160 Menschen zum Test angemeldet gewesen. Testzentrum ist eine Turnhalle.

Nach der Anmeldung geht es in einen der drei Testräume zum Nasenabstrich. Bis das Ergebnis vorliegt, wird etwa 15 Minuten gewartet. Etwa zwölf Menschen pro Stunde können so getestet werden.

Hotspot Hildburghausen: In den Innenstadt gilt Maskenpflicht, Versammlungen sind bis auf Weiteres untersagt.

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Die Motivation der Eltern, die mit ihren Kindern gekommen sind, ist bei allen ähnlich: „Ich habe drei Kinder, die in die Schule gehen. Und ich würde mich freuen, wenn die wieder in die Schule können. Deshalb gehe ich mit ihnen zum Test“, sagt Mutter Daniela Carl. „Mein Sohn geht in den Nachbarlandkreis in den Kindergarten und musste jetzt zum Test, damit ich ihn dort wieder hinschicken kann“, erzählt Vater Max Koob. Sie alle wünschen sich ein Stück Normalität zurück.

Nur ein Drittel der Familien will sich beteiligen

Die, die nicht zum Test gekommen sind, glauben nicht daran, dass die Kindergärten und Schulen mit diesem Prozedere wieder aufmachen können. So will sich in der Stadt Hildburghausen nur etwa ein Drittel testen lassen. Die Vorbehalte gegen die Nasenabstriche sind zu groß.

Liegt es daran, dass die Tests als unangenehm empfunden werden? Zweifeln die Bürger daran, dass diese Maßnahme wirklich bei der Eindämmung der Pandemie hilft? Oder sind die Gründe eher in einer generellen Ablehnung der Coronamaßnahmen und der Agitation rechtsextremer Gruppen zu sehen?

Kalter Empfang: Familien warten am Dienstag vor einer Schule im Landkreis Hildburghausen auf den Coronatest.

© Katharina Melzer

Wer sich in Hildburghausen umhört, einer 12.000-Einwohner-Stadt, die derzeit als Corona-Hotspot gilt, bekommt sehr unterschiedliche Erklärungen für das Phänomen zu hören.

Für Martin Büttner, den amtierenden Verwaltungsleiter des Gesundheitsamtes von Hildburghausen, gibt es mehrere Gründe, wieso viele Bürger die Maßnahme des Landratsamtes ablehnen. Zum einen, so berichtet er im Gespräch mit dem Tagesspiegel, hätten offenbar viele Menschen Angst, dass der Test unangenehm für ihre Kinder sei. Für den Schnelltest werden Proben aus dem Nasenrachenraum gesammelt. „Da scheuen sich einige Eltern vor“, sagt der Amtsleiter.

Präsenz zeigen: Die Polizei kontrolliert die Innenstadt von Hildburghausen.

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Ähnliches hat auch Hildburghausens katholischer Pfarrer Winfried Mucke von Eltern gehört. „Es kann für Kinder verängstigend sein, wenn da Vermummte für einen Test auf sie zukommen“, berichtet der Domkapitular dem Tagesspiegel. Eine Mutter habe ihm gesagt, sie wolle dabei sein, um ihrem Kind die Angst zu nehmen, aber das sei bei berufstätigen Eltern oft schwierig umzusetzen.

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Daneben hat Amtsleiter Büttner von vielen Eltern in Hildburghausen einen weiteren, offenbar gewichtigeren Einwand gehört, den er auch selbst teilt, wie er sagt: „Sie zweifeln an der Sinnhaftigkeit dieser Tests, denn zwei Tage später kann das Ergebnis schon wieder ganz anders aussehen.“ Die Tests seien eine „reine Momentaufnahme“.

Ein Spagat, der für Lehrer kaum zu schaffen ist

Wenn die getesteten Kinder dann wieder in Schulen und Kitas gingen, bestehe die Gefahr, dass die Infektionen weiter kräftig anstiegen. Denn pädagogische Einrichtungen seien in Hildburghausen nicht der Ursprungsort der meisten Infektionen – hier bestehe aber angesichts der vielen Kontakte von Menschen aus unterschiedlichen Familien eine besonders große Gefahr, dass das Virus von anderen Orten wieder eingeschleppt werde und sich dann erneut weiter in Familien und Wohnanlagen verbreite.

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Der Amtsleiter zeigt sich zudem skeptisch, wie nach Bekanntwerden der Testergebnisse ein Schulbetrieb ganz praktisch organisiert werden soll. „Wenn nur einige Eltern den Test zulassen und andere nicht, haben wir nachher Schulklassen, in denen fünf oder sechs Schüler sitzen – und alle anderen müssen per Homeschooling unterrichtet werden.“ Das sei ein Spagat, der für die Lehrer nicht zu schaffen sei.

Ein weiterer Grund für die Skepsis auch bei ihm selbst, so Büttner, sei die Frage der praktischen Umsetzbarkeit der Massentests. Nach Angaben des Landratsamtes wurden für Hildburghausen 11.000 Schnelltests bestellt. „Wir können einen Test von so vielen Menschen aber gar nicht umsetzen“, sagt der Amtsleiter. Da frage er sich: „Wie sinnhaft ist das überhaupt?“

Und er liefert die Antwort gleich mit: „Aus medizinischer Sicht erschließt sich mir die Sinnhaftigkeit nicht.“ Für Büttner wäre es daher konsequent, die Kontaktbeschränkungen in Hildburghausen bis auf Weiteres aufrechtzuerhalten, um eine weitere Verbreitung des Virus längerfristig zu reduzieren.

„Es gibt hier relativ starke rechtsorientierte Kräfte“

Als Reaktion auf die verschärften Corona-Maßnahmen in Hildburghausen waren am vergangenen Mittwoch mehrere hundert Menschen in einem Protestzug durch die Stadt gezogen. Dabei wurden nach Angaben des MDR auch Mitarbeiter des Ordnungsamtes und Polizeibeamte beschimpft, es gab 30 Anzeigen.

Polizisten patroillieren durch die Innenstadt von Hildburghausen, um das Versammlungsverbot zu überwachen.

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Stehen diese Protestierer für einen nennenswerten Teil der Bürger Hildburghausens? „Schwer zu sagen“, sagt Amtsleiter Büttner. Und verweist darauf, dass im Landkreis 64.000 Menschen wohnten. Da seien 400 bis 500 Protestierer ein geringer Anteil – „Gottseidank“. Zudem warnt er davor, alle Teilnehmer des Protestmarsches „über einen Kamm zu scheren“, wie er sagt: „Man muss da klar trennen, wer Coronaleugner ist, wer Querdenker und wer sich einfach über die geschlossenen Kitas ärgert.“

Hildburghausens Pfarrer Mucke sieht Proteste wie den von vergangener Woche deutlich kritischer. „Es gibt hier eine laute Minderheit, die alles aggressiv bekämpft, was mit Corona zu tun hat“, sagt er. In Hildburghausen sei dies stärker zu spüren als in vielen anderen Orten. Wieso? „Es gibt hier relativ starke rechtsorientierte Kräfte“, sagt der Pfarrer. Das zeige sich zum Beispiel deutlich bei Bürgerinitiativen, die sich zur Wahl stellten. „Die haben einen gewissen Rückhalt bei Teilen der Bevölkerung.“

Testlauf: Eine von mehreren Stationen im Landkreis Hildburghausen, wo Kinder auf das Virus untersucht werden

© Katharina Melzer

Zugleich betont der Pfarrer, dass sich zwar viele Menschen in der Stadt mit den strikten Corona-Maßnahmen „unwohl“ fühlten, aber es zumindest in seiner Gemeinde eine „allgemeine Akzeptanz der Fakten“ gebe. Zwar sagten auch einzelne Mitglieder seiner Gemeinde Dinge wie: „Wer weiß, was wirklich dahinter steckt…“ – aber die Mehrheit bestehe aus „eher vernünftigen Menschen, die nicht hysterisch reagieren“.

So habe man in seiner Gemeinde auch das anfangs mit Unverständnis aufgenommene vorübergehende Gottesdienstverbot in Hildburghausen akzeptiert. „Die Gemeindemitglieder sind traurig, aber haben Verständnis für die Vorsichtsmaßnahmen“, sagt der Pfarrer. „Wir haben die Hoffnung, dass Weihnachten normale Gottesdienste stattfinden können – auch wegen der derzeit so strengen Maßnahmen.“

Bis Freitag sollen im Landkreis möglichst viele Kinder getestet werden. 11.000 Schnelltests hat das Land zur Verfügung gestellt. Nach Schätzungen des Deutschen Roten Kreuzes will sich nicht mal die Hälfte der Betroffenen testen lassen. Das Ziel, die Kindergärten und Schulen noch vor dem 14. Dezember wieder öffnen zu können, dürfte mit der geringen Testbereitschaft schwierig zu erreichen sein.

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