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Das "Hollywood"-Dekoelement, mit dem ich auf diesem Bild zu sehen bin, habe ich in L.A. zurückgelassen. Zu groß fürs Handgepäck.

© Jessica Pons

Warum sind US-Serien so viel besser?: Stefan goes to Hollywood

Der Berliner Drehbuchautor Stefan Stuckmann verzweifelt an deutschen Serien: Warum sind amerikanische Shows immer noch so viel besser? Eine Expedition nach L.A. für den Tagesspiegel Berliner.

Diese Reportage ist im Magazin Tagesspiegel BERLINER erschienen.

Alles begann mit dieser wahnwitzig erfolgreichen Serie mit der einsamen Insel in der Karibik: Zwei Dutzend Menschen kämpfen nach einem Flugzeugabsturz ums Überleben. Die Älteren erinnern sich: "Verschollen" auf RTL. 2004, als ganz Deutschland mit Nicole, Berthold und Marita in fiesen Folgen wie "Durst", "Schwanger" oder "Dicke Fische" mitfieberte.

Damals, als es YouTube noch nicht gab und die Titel sämtlicher guter Serien noch auf einem Bierdeckel Platz fanden, hatte sich in der Branche rumgesprochen, dass Disney mit "Lost" an einer großen Sache dran sei. Die schickten ein riesiges Ensemble monatelang nach Hawaii, drehten die Szenen auf Film statt auf Video, und für die Musik engagierten sie Orchestermusiker!

Dschungel in Ossendorf

Weil Pro7 der Konkurrenz die Rechte am Original weggeschnappt hatte, beschloss man bei RTL kurzerhand, die gleiche Idee selbst umzusetzen - oder das, was man für die Idee hielt. Denn was genau die Geschichte war, wusste damals keiner, nur: Flugzeugabsturz, einsame Insel.

Ich weiß noch, wie ich damals, vier Wochen nach Beginn meines ersten Jobs als Autor bei einer RTL-Show, ins Büro kam und im Vorbeigehen den Satz hörte: Wahnsinn, wie gut man den Dschungel im Ossendorfer Studio nachgebaut habe. In der Mittagspause, habe ich zum ersten Mal nach Praktika gesucht. Nicht in Ossendorf, sondern in Hollywood.

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Fast 15 Jahre später bin ich selbst das, was man in den USA Showrunner nennen würde. Ich war Autor bei "Switch Reloaded" und der "heute-show", habe für das ZDF die Serie "Eichwald MdB" entwickelt und geschrieben und an vielen anderen Ideen mitgearbeitet, die nicht oder noch nicht auf dem Bildschirm gelandet sind. Aber dann sitze ich wieder vorm Fernseher oder Laptop, schaue deutsche Serien, schaue amerikanische Serien - und verstehe nicht, warum die Klassenunterschiede so groß sind. Es gibt nur einen Weg, eine Antwort auf diese Frage zu finden: hinfahren.

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Sunset Boulevard ist eine der berühmtesten Straßen von L.A.
Sunset Boulevard ist eine der berühmtesten Straßen von L.A.

© Jessica Pons

Gleich mein erster Termin in Los Angeles ist praktisch um die Ecke meiner Unterkunft: einfach die Straße runter, links auf den Sunset Boulevard und dann dem Straßenverlauf für 11.382 Hausnummern folgen. Die Stadt hat in ihrer Geschichte zwei Mal richtig Glück gehabt: mit Ölquellen, noch bevor die ersten Felder in Texas entdeckt wurden. Und mit der Filmindustrie, die L.A. fast unbeschadet durch die "Great Depression" der 30er getragen hat. Sunset ist eine der berühmtesten Straßen der Stadt: Angelegt im 18. Jahrhundert von Farmern, die auf ihr das Vieh vor sich hergetrieben haben. Hier sitzt heute Netflix und macht das Gleiche mit Fernsehsendern.

"Who are you here for?", fragt die Frau am Eingang mich zum dritten Mal, nachdem sie meinen Namen in der Besucherliste nicht findet. Mit der deutschen Einladungsmail, die ich ihr auf meinem Smartphone zeige, kann sie wenig anfangen, aber immerhin: Das kleine Netflix-Logo in der Fußzeile sieht offenbar ungefälscht genug aus, um mir einen Besucherausweis zu drucken.

Sieben Sorten Nussmilch

"Ich bin drin", schreibe ich Lucas, setze mich in der Lobby auf eine Couch mit Blick auf eine Vitrine mit Emmys, den wichtigsten Fernsehpreisen.

Als ich Lucas das erste Mal getroffen habe, saßen wir in Mainz beim ZDF in einem fensterlosen Konferenzraum. Wir waren zu fünft, das war wichtig, weil man vorher beim Hausdienst Bescheid sagen musste, für wie viele Leute Sauerstoff in den Raum gepumpt werden sollte. Danach gab es in der Kantine Nudeln mit Tomatensoße.

Lucas sieht müder aus als damals. Sein früherer Job hat ihn durch die ganze Bundesrepublik geführt, sein neuer verschafft ihm Kollegen in zwei Zeitzonen: Wenn in den deutschen Produktionen, die er betreut, die Leute Feierabend machen, kommen die Kollegen in Hollywood gerade vom Frühstück. Das ist gratis, wie Lucas erklärt, wie eigentlich alles bei Netflix: Die große Kantine hält zu jeder Uhrzeit das passende Essen bereit, und falls man gerade keine Zeit hat für den langen Weg mit dem Aufzug - kein Problem, alle zwei Etagen gibt es eine kleinere Kantine. In Kühlschränken stapeln sich Tiefkühlpizzen, sechs oder sieben Sorten Nussmilch. Daneben Kaffeemaschinen, Saftspender, Teller mit Keksen.

Ich sitze vorm Fernseher und verstehe nicht, warum die Klassenunterschiede so groß sind.
Ich sitze vorm Fernseher und verstehe nicht, warum die Klassenunterschiede so groß sind.

© Jessica Pons

Lucas sieht aber auch wacher aus. Beim ZDF brauchte er bis zu 20 Unterschriften, um eine Produktion in Auftrag zu geben, anschließend lagen fertige Filme oder Serien manchmal ein Jahr rum, bis ein Sendeplatz gefunden wurde. Netflix dagegen will alles lieber früher als später - die meisten Leute, die uns in den Fluren begegnen, sind jung und haben es eilig.

Klar, das hier ist keine öffentlich-rechtliche Anstalt, sondern schuldenfinanzierter Turbokapitalismus. Über 10 Milliarden Dollar an "Debt and Obligations" hat Netflix in der Bilanz stehen. Die ganze Firma ist eine riesige Wette auf die Zukunft des Fernsehens. Erst wird der Markt erobert, dann irgendwann später Geld verdient. Kein Wunder also, dass das Essen gratis ist, wenn dafür die Leute bis in den späten Abend bleiben. Und trotzdem: Als ich zurück zum Auto laufe, drehe ich mich noch mal um und schaue hoch zu dem roten Logo im 15. Stock. Soviel Energie wie hier habe ich in deutschen Sendern nie gespürt.

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In Berlin gibt es den "Boulevard der Stars", eine platte Kopie des "Hollywood Walk of Fame". Jahrelang war dieser Boulevard für mich der in Beton gegossene Beweis für die Provinzialität des Berliner Stadtmarketings. Jetzt stehe ich auf dem Original und merke: Hier ist es noch trostloser. Den Hollywood Boulevard säumt eine lange Reihe zweigeschossiger Gebäude, die so aussehen, als hätten Bautrupps einen Zettel mit der gewünschten Anzahl an Schaufenstern in die Hand bekommen und dann einfach mal gemacht. So sieht er also aus, der Gipfel des Film- und Fernseh-Ruhms.

Nur knapp attraktiver als der Bahnhof Zoo in den 80ern: der Hollywood Walk of Fame.
Nur knapp attraktiver als der Bahnhof Zoo in den 80ern: der Hollywood Walk of Fame.

© Jessica Pons

Ich entdecke Marilyn Monroes Stern - gleich vor einem McDonald's. Ein paar hundert Meter weiter passiere ich einen Mann, der sich an der Hauswand erleichtert. Ich trete über das Rinnsal, das knapp an Orson Welles vorbeifließt, schaue auf das große Schild an der Hauswand und weiß: Hier bin ich richtig.

Vor Jahren habe ich eine Reportage über den Schauspieler Steve Carell gelesen. "Give me five alternatives!", sagt ihm dort während eines Filmdrehs der Regisseur, woraufhin Carrell fünf verschiedene Enden der gleichen Szene improvisiert, die allesamt lustig sind. Wo lernt man sowas, habe ich mich damals gefragt.

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Anfängerkurse und Meisterklassen

"Alright, people, welcome to Standup 101!" Chris ist Lehrer bei "Second City", einer Theaterschule mit Schwerpunkt auf Impro-Comedy. Die Absolventenliste liest sich wie der Wikipedia-Eintrag zu berühmten Comedians der letzten 50 Jahre: Bill Murray, John Belushi, Amy Poehler, Tina Fey, Stephen Colbert. Adam McKay, der für HBO die Serie "Succession" produziert und gerade mit "Vice" für einen Oscar nominiert ist, hat hier seine Karriere begonnen, ebenso Bob Odenkirk aus "Better Call Saul".

Man kann hier ganz unten anfangen, mit Kursen für absolute Anfänger, und sich dann Semester für Semester nach oben arbeiten. Wer lang genug dabei ist und es in eine der offiziellen Meisterklassen schafft, ist nur noch eine glückliche Casting-Entscheidung von der großen Karriere entfernt. Auch das ist eins der Geheimnisse der amerikanischen Unterhaltungsindustrie: Dass es für jeden noch so unwahrscheinlichen Berufstraum einen klaren Weg gibt.

"The Second City" wurde 1958 als Komödientheater in Chicago gegründet, damals die zweitgrößte Stadt der USA.
"The Second City" wurde 1958 als Komödientheater in Chicago gegründet, damals die zweitgrößte Stadt der USA.

© Jessica Pons

"Okay, let's start with some improvisational standup!" sagt Chris. "I'll give you a random word, and you just riff on it. Two minutes!"

Hier im Kurs sind wir zu zwölft, neun Leute sind vor mir dran. Okay, denke ich, ich bin zwar kein Muttersprachler. Aber zwei oder drei werden sich schwerer tun als ich, schließlich bin ich vom Fach. Dann steht der erste auf, kriegt das Stichwort "Kurze Hosen" und erzählt, fast ohne nachzudenken, drei witzige Beobachtungen.

Okay, denke ich. Zufall. Geht auf keinen Fall so weiter.

Tut es natürlich doch.

Dann stehe ich vor der Gruppe, schaue zu Chris und bekomme meinen Begriff: "Firefighters". Ich atme tief durch, greife das Mikro und ...Sagen wir so: Niemand ist an diesem Abend mit dem Gefühl nach Hause gegangen, deutschen Humor bisher unterschätzt zu haben.

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"Awesome, Stefan!"

Als ich am nächsten Morgen erneut nach Hollywood aufbreche, habe ich kaum geschlafen. Zu viel Adrenalin hatte ich im Blut nach dem Standup-Kurs - und zu viele zu späte Ideen zu Feuerwehrleuten. Trotzdem bin ich hellwach. Heute besuche ich meine erste Hollywood-Produktion: Für eine Münchner Firma habe ich im Sommer die deutsche Version einer großen amerikanischen Sitcom entwickelt. Das Praktikum in L.A. habe ich nie in die Tat umgesetzt, aber das hier, heute, ist mindestens genauso gut: ich darf ein paar Stunden lang die Autoren des Originals besuchen.

Ich bin beeindruckt: Durch dieses Tor sind schon Jerry Seinfeld und Mary Tyler Moore zur Arbeit gegangen.
Ich bin beeindruckt: Durch dieses Tor sind schon Jerry Seinfeld und Mary Tyler Moore zur Arbeit gegangen.

© Jessica Pons

Die Gebäude im CBS Studio Center sind wie so oft in Los Angeles das Gegenteil von dem, was man erwartet: Alles wirkt provisorisch, das meiste ist aus Holz gebaut, selbst die Studiohallen. Zum einen ist das erdbebensicherer, zum anderen plant hier niemand für die Ewigkeit. Und trotzdem: Als ich vor der Baracke mit den Autorenbüros parke, schicke ich ein Foto von meinem Besucherausweis an einen Kollegen in Deutschland. In den 70ern wurde ein paar Meter hinter mir die "Mary Tyler Moore Show" gefilmt, die das Genre revolutionierte, später dann Serien wie "Seinfeld", "Will & Grace" und "Parks and Recreation". Das hier ist heiliger Boden für mich.

"So great to have you!", sagt mir Dan, der das hier wirklich nicht machen müsste. Er hat die Show mit erfunden, seit Jahren ist er als Showrunner praktisch Chefautor und Produzent, was bedeutet: Er ist Millionär. 22 Folgen produziert er jedes Jahr, an den Büchern arbeiten mehr als 15 Autorinnen und Autoren. Als Dan mich herein winkt, sitzen alle auf Sofas verteilt in einem riesigen Raum.

"This is Stefan", ruft Dan, "he's going to do the German version!"

Das stimmt so nicht, will ich einwenden, noch hat kein Sender was unterschrieben, werde aber von der amerikanischen Euphorie überstimmt.

"Awesome, Stefan!", schallt es mir entgegen.

"Okay", sagt Dan. "What do you wanna know?"

Ich schaue mich um. Ein Dutzend Pinnwände voller Karteikarten, das Modell eines neuen Drehorts, fünf oder sechs Türen zu weiteren Räumen.

"Everything?", frage ich.

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Autoren und ein Zimmer? Haben wir doch auch!

Seit ein paar Jahren führt, wenn irgendwer über die Geheimnisse moderner Serien diskutiert, kein Weg am Writers' Room vorbei - jenem Raum, in dem die Autoren gemeinsam an Handlungsbögen, Figuren und Dialogen arbeiten. Ohne den, da sind sich alle einig, geht gar nichts. Sobald es irgendwo in Deutschland ein Büro gibt, in dem mindestens zwei Autoren sitzen, kommt inzwischen ein Produzent vorbei und schraubt ein Schild mit der Aufschrift "Writers' Room" an die Tür. In der Presseerklärung zur Serie wird später von den amerikanischen Arbeitsmethoden geschwärmt. Nur ist ein echter Writers' Room viel komplexer, als der Name ahnen lässt. "Autoren und ein Zimmer", denkt man in Deutschland. "Das haben wir doch auch alles!"

"And this room is mainly for rewrites...", sagt Dan, nachdem wir bereits zehn Minuten in vier anderen Räumen verbracht haben. Einer von Dans Co-Produzenten geht zusammen mit fünf Kollegen ein Drehbuch durch. Für jeden Witz, lerne ich, sammelt die Gruppe vier oder fünf Alternativen. Das Drehbuch wird so von 30 Seiten auf über 60 Seiten aufgeblasen und erst ein paar Tage später, mit etwas Abstand, wieder runter gekürzt. Für jede Folge gibt es eine klare Urheberschaft: Wer die Idee für die Folge hat, schreibt die erste Fassung, verantwortet die Auswahl der Überarbeitungen und sitzt später als Producer mit beim Dreh.

Mit jeder Studiohalle, jeder Autorin, jedem Assistenten und Co-Producer wird mir klarer: Das hier ist nicht nur schlauer organisiert als in Deutschland, sondern vor allem viel, viel größer.
Mit jeder Studiohalle, jeder Autorin, jedem Assistenten und Co-Producer wird mir klarer: Das hier ist nicht nur schlauer organisiert als in Deutschland, sondern vor allem viel, viel größer.

© Jessica Pons

Der Writers' Room, stelle ich fest, ist kein Raum. Sondern ein Prinzip. Während bei deutschen Serien die Autoren meist weder räumlich noch zeitlich Teil der Produktion sind - es wird erst geschrieben, dann irgendwann viel später gedreht - sitzen sie hier im Zentrum. Sie kennen die Schauspieler, die Regisseure, die Leute vom Set. Wenn ein Schauspieler eine Idee hat, kann er mit den Autoren reden und umgekehrt. Überhaupt kann jeder mit jedem reden. Wenn bei uns gefragt wird, ob ein Autor oder ein Regisseur Showrunner einer Serie sein soll, geht es meist darum, wer im Zweifel das letzte Wort hat.

"Das ist Goethes Schuld", hat mir mal ein Professor erklärt. "Geniekult." In Deutschland denke man: Alles, was im weitesten Sinne Kultur ist, muss das Produkt eines einzelnen, meist schwierigen Künstlers sein. Ein echter Showrunner aber ist kein Alleinherrscher. Sondern ein kluger Manager, der delegieren kann.

Drei Millionen Dollar pro Folge

"Let me show you the set!", sagt Dan, führt mich eine Treppe hinunter, über die Straße und in eines der Studios hinein. "This is for a new episode", sagt er und zeigt auf einen langen Hochhaus-Flur, der gerade gebaut wird. "Awesome!", sage ich. Na toll, denke ich. Bei der letzten Serie, die ich geschrieben habe, war ich wochenlang damit beschäftigt, die Bücher den zur Verfügung stehenden Drehorten anzupassen.

Je länger ich mit Dan herumlaufe, desto mehr Frustration mischt sich in meine Begeisterung. Mit jeder Studiohalle, jeder Autorin, jedem Assistenten und Co-Producer wird mir klarer: Das hier ist nicht nur schlauer organisiert als in Deutschland, sondern vor allem viel, viel größer.

Als Dan und ich wieder vor meinem Auto stehen, habe ich eine letzte Frage. Was sein Budget sei, pro Folge? "Three Million", sagt er. Wenn meine Produzenten und ich die Sendung in Deutschland verkaufen, müssten wir für das gleiche Geld nicht eine Folge drehen, sondern zehn.

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Im linken Teil dieses Gebäudekomplexes werden die Oscars verliehen, rechts gibt es Sneaker im Ausverkauf. Architektonisch handelt es sich um eine Mischung aus Ring-Center und Phantasialand.
Im linken Teil dieses Gebäudekomplexes werden die Oscars verliehen, rechts gibt es Sneaker im Ausverkauf. Architektonisch handelt es sich um eine Mischung aus Ring-Center und Phantasialand.

© Jessica Pons

"So, who's having a good time?"

Als ich das nächste Mal ein Fernsehstudio betrete, ist fast ein Monat vergangen. Ich sitze im Publikum von "Last Man Standing", wo ein Animateur versucht, mich und etwa hundertfünfzig andere Leute in Stimmung zu bringen. "Last Man Standing" ist, ähnlich wie "Friends", "Seinfeld" oder "The Big Bang Theory", eine sogenannte "Multi Camera Sitcom". Die Kulisse ist ähnlich wie im Theater zu einem Zuschauerraum hin geöffnet. Die meisten Serien und Filme sind mit nur einer Kamera gedreht, die sich in jedem Take auf nur einen Schauspieler oder ein Detail konzentriert. Sind alle zufrieden, wird die Kamera auf den nächsten Schauspieler bewegt und wieder gefilmt. Die fertige Szene entsteht später, im Schnitt. Hier dagegen stehen fünf Kameras vor den Kulissen, ein bisschen wie bei einem Fußballspiel. Auch hier ist genau abgesprochen, welche Kamera welche Aufgabe hat, aber alles ist viel flüssiger, dynamischer. Die Schauspieler sehen sich gegenseitig, das Kamerateam steht am Bühnenrand, nicht zwischen ihnen. Und vor allem: Es gibt direktes Feedback.

Das Lachen ist echt

"Das Lachen ist echt?", werden mich deutsche Freunde später fragen, die mit den synchronisierten Versionen all dieser Serien groß geworden sind. Was hierzulande für viele wirkt wie ein billiger Kniff, um lauen Witzen auf die Beine zu helfen, ist in Wahrheit das Kernelement dieser Serien.

Multi-Camera-Shows werden Szene für Szene gefilmt, in chronologischer Reihenfolge. Wie beim Theater sieht man der Geschichte beim Entstehen zu. Mit dem Unterschied, dass hier jede Szene zwei oder drei Mal gefilmt wird. Manchmal geht einfach etwas schief, manchmal werden Details im Schauspiel verändert - und manchmal ganze Witze ausgetauscht, weil sie bei uns, beim Publikum, durchgefallen sind.

"Don't give me that!", ruft einmal Tim Allen, der in den 90ern der Star der Serie "Hör mal wer da hämmert" war und seit 2011 "Last Man Standing" produziert, als wir in einer Szene mitleidvoll seufzen. Im nächsten Take lachen wir absichtlich zu laut, was wiederum Allen zum Lachen bringt.

Ich tue mich lange schwer, mein nüchternes Deutschsein abzulegen zwischen all der fröhlichen Awesomeness. Aber dann merke ich irgendwann: Was hier passiert, ist wahnsinnig konsequent. Weil es uns Zuschauer so sehr in den Mittelpunkt stellt, dass wir physisch - durch unsere Reaktionen und den Einfluss, den das auf die Schauspieler hat - Teil der Geschichte werden.

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Die Bibliothek der Filmschule,  die ich in den Nullerjahren mal besucht hatte, war sehr gut ausgestattet mit allem, was nichts mit Serien oder Humor zu tun hatte.
Die Bibliothek der Filmschule,  die ich in den Nullerjahren mal besucht hatte, war sehr gut ausgestattet mit allem, was nichts mit Serien oder Humor zu tun hatte.

© Jessica Pons

"Remember when Rachel and Joey kissed each other?", fragt mich ein paar Tage später Roger. Roger war früher Regisseur bei "Friends", ich treffe ihn mitten in Downtown L.A., wo er in einem netten Wolkenkratzer wohnt. Und klar erinnere ich mich: "Friends" war eine meiner Lieblingsserien.

"Well, when we shot that episode", erzählt er, "they were supposed to end up together."

"What?", frage ich entgeistert. "But they're like brother and sister!"

"Exactly."

Als die leidenschaftliche Kussszene damals auf der Bühne gedreht wurde, sei ein Raunen durchs Publikum gegangen. So laut, dass die Showrunner die Aufzeichnung unterbrochen hätten, um mit den Zuschauern zu reden.

"Don't you want them to be a couple?"

"NO!"

Und dann, vor Ort, haben Sie das Drehbuch umgeschrieben. In der Folge, wie ich und hunderte Millionen Menschen sie kennen, küssen sich beide, relativ ungelenk. Und entscheiden gleich darauf, dass das keine gute Idee sei.

Natürlich, da sind Roger und ich uns einig, geht es nicht darum, immer die Geschichte zu erzählen, die der Zuschauer sich wünscht. Und so nah dran zu sein am Publikum, so schnell arbeiten zu müssen, ist Stress. Aber es ist auch eine riesige Chance.

"You know it has never been done in Germany?", frage ich ihn.

"You should do it!", sagt er.

Irgendwo in dieser Skyline ist Roger zuhause, der ehemalige "Friends"-Regisseur.
Irgendwo in dieser Skyline ist Roger zuhause, der ehemalige "Friends"-Regisseur.

© Jessica Pons

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Als ich zwei Tage später im Terminal auf meinen Heimflug warte, sehe ich am Horizont ganz klein das Hollywood-Zeichen. Drei Monate habe ich es gemieden, auf keinem einzigen meiner Fotos taucht es auf. Jetzt leuchtet es im kalifornischen Licht, hinter einem dicken Streifen Smog und einem Haufen Baumüll, der lieblos eingezäunt am Rande des Rollfelds liegt.

Sechs Schüler und ein Formular braucht man in Kalifornien, um eine Schule zu gründen. Berufsbezeichnungen wie "Zimmermann" oder "Schweißer" sind nicht geschützt - man kann einfach loslegen.

Wer mitten in L.A. glaubt, sein Haus solle aussehen wie ein Schloss in Südfrankreich, muss keinen Streit mit dem Bauamt befürchten. Wo wir uns in Deutschland an Regeln und Zeugnissen festhalten, regiert in den USA der tiefe Glauben an das Recht auf Selbstverwirklichung. Die Amerikaner sind mutiger - mit allen Konsequenzen.

Kein Wunder, dass es in so einem Land weniger Angst davor gibt, abseitige Ideen auszuprobieren. Serien wie "Breaking Bad" zu produzieren, Comedy zu unterrichten, Autoren mehr Freiheit zu geben, sie Regie führen und produzieren zu lassen.

Solide sein - und mutig

Können wir als ganze Branche in den Spiegel schauen? In unsere blassen, nichtkalifornischen Gesichter, und in Zukunft fünfzig Prozent weniger deutsch sein? Im einen Augenblick solide - aber im anderen mutig?

Ich steige ins Flugzeug und erinnere mich an meine erste Stunde bei "Second City". An den kleinen, kalten Raum am hässlichen Hollywood Boulevard. Ich sitze da mit elf anderen Leuten, und alle sehen wir aus, als seien wir hier falsch. Und dann kommt Chris herein, unser Lehrer, bester Laune und mit quietschbuntem Strickpulli, und klatscht in die Hände.

"Let's do this!"

Stefan Stuckmann, Jahrgang 1982, war Showrunner für die ZDF-Politcomedy  "Eichwald MdB" und Chefautor der ARD-Sketchshow "Kroymann". Mit einem Stipendium des Medienboards Berlin-Brandenburg verbrachte er drei Monate  in der Villa Aurora in Los Angeles. Hierhin lädt die Bundesrepublik  jedes Jahr einen kleinen Haufen deutscher Künstler ein, damit die weit weg von der Heimat neue Dinge lernen können.

Stefan Stuckmann

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