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Mit speziellen Kollektoren wird in Chile Wasser aus Nebel eingefangen.

© picture alliance / dpa / Uni Münster

Innovation gegen Dürre und Hitzewellen: Trinkwasser aus dem Nebelfänger

Trockenheit und Hitzewellen machen weltweit vor allem Bewohnern ärmerer Regionen zu schaffen. Eine Idee aus Chile schafft Abhilfe.

Von Frederico Füllgraf

Wer auf der Panamericana-Autobahn von der chilenischen Hauptstadt Santiago aus in Richtung Norden fährt, wird nach 400 Kilometern unter der gleißenden Sonne bei Einbruch der Dunkelheit von einem plötzlichen Temperatursturz überrascht. Dichte, tiefhängende Nebelschwaden treiben von der Küste landeinwärts, in Richtung der trockenen, hügeligen Einöde. „Camanchaca“ nennen die indigenen Quechua und Aymara den Nebel. Ein klangvolles Wort, das so viel bedeutet wie „derjenige, der Heiserkeit oder Erkältung verursacht“, oder „der, der bei Dunkelheit eintrifft“.

Die Technik ist inzwischen international verbreitet

Auf manchen Hügeln erheben sich große, geheimnisvolle Strukturen im Nebel. Ihre Umrisse – eine Art Maschenwerk zwischen zwei Pfeilern gespannt – ähneln denen eines Volleyballnetzes. Dass sie auch aus der Nähe nicht genau zu erkennen sind, liegt an den Nebelschwaden, die sie umgeben. Das ist kein Zufall. Die Netze, die sich auf Anhöhen von mindestens 700 Metern über dem Meeresspiegel in der Windrichtung des antreibenden Nebels befinden, fangen ihn ab, um ihn quasi zu melken.

Fachleute bezeichnen diese Technik als „Fog Harvesting“, Nebel-Ernte. In Chile nennt man die Nebelfänger Atrapanieblas. Sie sichern ländlichen Gemeinden, die von der öffentlichen Wasserversorgung abgeschnitten sind und gleichzeitig von drastischen Klimaveränderungen wie Dürre und Wüstenbildung betroffen sind, den Zugang zu Trinkwasser von guter Qualität. Und das weit über Chile hinaus, wo die Nebelfänger einst erfunden wurden: Im Nachbarland Peru versorgen die Anlagen, die auf den Hügeln der Hauptstadt Lima installiert sind, verarmte Familien mit 400.000 Litern Wasser am Tag.

nus den Nebelwolken wird Wasser gewonnen.

© Marco Antonio Carcuro Moncada / Marco Antonio Carcuro Moncada

Die Häufigkeit von Dürren wird künftig zunehmen

Wie bedeutsam diese Technik ist, machte die Ansprache der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas auf der jüngsten COP27-Umweltkonferenz in Ägypten deutlich. „Prognosen deuten darauf hin, dass extreme Wetterereignisse die Häufigkeit, Intensität und Dauer von Hitzewellen erhöhen werden“, sagte Rojas dort im November. „Es sind Steigerungen von Dürre-Häufigkeit, sowie Sturmfluten und Strandverluste zu erwarten.“

Ihr eigenes Land ist davon besonders stark betroffen: Chile erlebt seit dem Jahr 2007 eine anhaltende gefährliche Dürre-Periode. Knapp ein Viertel des Staatsgebiets (rund 756.000 Quadratkilometer) befindet sich im Zustand der Wüstenbildung, gut die Hälfte ist von chronischer Dürre betroffen. Lagunen und Stauseen trocken aus. Knapp die Hälfte aller chilenischen Gemeinden wurden bereits zu Wasser-Notstandsgebieten erklärt.

250
Liter Wasser kann ein Nebelkollektor am Tag sammeln.

Ein Physiker hatte die Idee, eine Geografin machte sie populär

Die Nebelfänger waren eine Erfindung des chilenischen Physikers Carlos Alberto Espinosa Arancibia. Er reagierte damit auf einen Strom- und Wasserausfall im Jahr 1956 in Antofagasta im Norden des Landes. Espinosa kam auf die Idee, die natürliche Nebelbildung als Mittel gegen künftige Wassernotstände zu nutzen.

Espinosa beobachtete die von der Atacama-Wüste erwärmten Passatwinde. Wenn sie die Küste erreichten, drückten sie das wärmere Oberflächenwasser des Pazifiks aufs offene Meer hinaus und machten kälteren Tiefenwasserströmungen Platz. Wenn die kreisenden Winde nun damit in Berührung kamen, sog die Luft deren Feuchtigkeit auf, kühlte sie dann ab, kondensierte sie und ließ sie durch die sogenannte Advektion in das Landesinnere zurückströmen. Dieses Phänomen kommt hier mindestens 210 Tage im Jahr vor. So tüftelte Espinosa als ersten Prototypen einen Zylinder aus, der engmaschig mit Perlonfäden bespannt ist. Diese Fäden nehmen die Wassertropfen auf und führen sie einem Tank zu.

Nach einem Pilotprojekt im Fischerdorf Chungungo, 550 Kilometer nördlich von Santiago, wurden die „Wolkenmelker“ jedoch in jüngster Zeit vor allem von der chilenischen Geografin Pilar Cereceda populär gemacht. Die Nebelkollektoren erhielten ein neues, rentableres Design. Zwischen zwei sechs Meter hohen Pfählen wird ein sechs mal vier Meter großes Netz aus feinen Polyethylenfäden gespannt. Eine solche Anlage kann pro Tag bis zu 250 Liter Wasser sammeln.

Extreme Wetterereignisse werden die Häufigkeit, Intensität und Dauer von Hitzewellen erhöhen.

Maisa Rojas, Umweltministerin von Chile

Hilfe für Gemeinden bei Wasserknappheit

Die ersten Nebelfänger dieser Art installierte Cereceda 2007 zusammen mit ihren Studenten in der Ortschaft Peña Blanca. Die „Wasser-Revolution“ erregte international Aufmerksamkeit. Die ländliche Gemeinde war nach jahrzentelangem industriellem Weizenanbau von Waldeinschlag, Bodenerosion und Klimawandel hart betroffen, ein Großteil ihrer Bewohner hatte als Klima-Flüchtlinge die Region verlassen.

Die Bewohner und die Wissenschaftler hatten ehrgeizige Ziele. Cereceda gründete eine Stiftung namens „Un Alto al Desierto“, auf Deutsch „Stopp die Wüste“, und warb um Fördergelder. Zusammen mit den in der Region verbliebenen 85 Bauernfamilien wurden Nebelstudien für das 100 Hektar große Reservat um den Hügel Cerro Grande entwickelt, auf dem mehrere Nebelfänger mit einer Tageskapazität von 1.500 Litern Wasser stehen.

500.000 Liter kommen so im Jahr zusammen. Sie tragen zur Bewässerung von 6.000 Hektar Ackerland bei, auf dem die Schafzucht wieder gedeiht. Das meiste Wasser fließt in ein einst von Dürre zerstörtes Reservat, in dem inzwischen wieder mindestens 30 vom Aussterben bedrohte Pflanzenarten wachsen.

Die Wiederaufforstung zog auch die Tiere wieder an. Mehr als 30 Vogelarten – darunter viele Zugvögel, allen voran der Kondor – sowie vier Säugetier- und vier Reptilienarten haben es sich inzwischen im Reservat heimisch gemacht.

„Ich würde das Leben hier für nichts eintauschen“, sagt die 55-jährige Ziegenzüchterin Claudia Rojas. Sie ist eine der Bewohnerinnen von Peña Blanca, die trotz des Klimawandels und der Niederschlagsmengen von jährlich 50 Millimeter – dem Grenzwert für Wüstenbildung – hiergeblieben ist und „aus der Not eine Tugend macht“.

Das Erfolgsmodell findet viele Nachahmer

Seit Jahren empfängt Claudia Rojas Delegationen aus dem In- und Ausland. Besonders gefällt ihr, dass auch immer wieder Kinder zu Besuch kommen.  Inzwischen gibt es hier eines der bedeutendsten Umweltbildungszentren Chiles, in dem Informationen zum Thema Wasserressourcen vermittelt werden.

„Die Kinder sind glücklich, wenn sie die Natur in ihrer ganzen Fülle erleben“, sagt sie. Gerade die jungen Gäste seien „sprachlos, wenn der Nebel den Hügel erreicht und sie sehen, wie das Wasser geerntet wird.“

Nach 15 Jahren resoluter Arbeit wirkt Peña Blanca inzwischen wie eine Oase in der Wüste. Und das mit weltweiter Ausstrahlung. Die Nebel-Ernte wird nun auch in anderen Ländern in Mittelamerika, auf den Kanarischen Inseln, in Israel, Namibia, Jemen und Nepal praktiziert und wird vom UN-Entwicklungswerk (UNDP) finanziell unterstützt.

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