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Technische Geräte messen, wie sich Doktorandin Kerstin Eisenhut im Stadtraum fühlt.

© Christian Kielmann

Urbaner Alltag aus mentaler Sicht: Machen Städte krank?

Das neue Forschungsfeld der Neuro-Urbanistik untersucht, wie widerstandsfähige Städte gestaltet werden können, in denen Menschen gerne leben.

Von Patricia Pätzold

Autos zischen vorbei, Menschen hasten zwischen den Häuserschluchten umher, Hupen und Fahrradklingeln dringen an ihr Ohr. Kerstin Eisenhut steht auf einer Verkehrsinsel mitten in Berlin. Ihr Outfit wirkt höchst futuristisch: Aus ihrer schwarzen Haube ragen Kabel, im Nacken sitzt ein kleiner Kasten, der ihre Hirnaktivitäten misst. Eine Mini-Kamera am Bügel der dicken Brille verfolgt ihre Augenbewegungen, und in ihrer Hand kleben verkabelte Sensoren, die Hautreaktionen messen. Unter dem Pullover versteckt, misst weitere Technik die Herzaktivität. Die Doktorandin Kerstin Eisenhut ist Teil eines weltweiten Projekts, das die Auswirkungen dicht bebauter und verkehrsreicher Metropolen auf die mentale Gesundheit des Menschen untersucht.

„Stadtbewohner:innen tragen ein hohes Risiko, mental zu erkranken“, sagt Klaus Gramann. „Die Wahrscheinlichkeit, an Schizophrenie zu erkranken, ist für Großstädter:innen deutlich erhöht im Vergleich zu ländlicher wohnenden Menschen.“ Klaus Gramann, Professor für Biopsychologie und Neuroergonomie, leitet an der TU Berlin das BeMoBIL (Berlin Mobile Brain/Body Imaging Lab). In diesem weltweit größten Labor seiner Art kann Gramann Gehirnaktivitäten von Personen messen, die sich aktiv in ihrer natürlichen Umwelt bewegen.

Zusammen mit Angela Million, die das TU-Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen leitet, verantwortet er den TU-Part des umfangreichen Verbundprojekts „Exploring and Designing Urban Density. Neurourbanism as a Novel Approach in Global Mental Health“. Es ist eines von vier Projekten zur „Globalen Gesundheit“, die mit insgesamt rund 5,4 Millionen Euro für drei Jahre durch die Berlin University Alliance (BUA) gefördert werden. Beteiligt sind außer der TU Berlin die Charité und die HU Berlin.

Die Forscher:innen entwickeln interdisziplinär die Datenbank „Research Platform Neurourbanism“ (RPN). Diese soll internationale Forschungskooperationen fördern und als zentrale Datenquelle dienen, um zu erforschen, wie sich städtische Dichte und Umweltfaktoren auf die psychische Gesundheit auswirken.

Starker sozialer Stress in Städten

Die voranschreitende Urbanisierung mit gleichzeitiger Verdichtung der Städte ist eine der wichtigsten gesundheitsrelevanten Entwicklungen weltweit. 55 Prozent der Weltbevölkerung leben heute in Städten, bis 2050 rechnen die Vereinten Nationen mit 68 Prozent. Das Leben in der Stadt verspricht oft leichteren Zugang zu Bildung, gesundheitlicher Versorgung und ökonomischer Stabilität.

Doch es gibt Anzeichen, dass das vermehrte Auftreten psychischer Probleme auf den stärkeren sozialen Stress zurückzuführen ist. „Es ist allerdings völlig unklar, welche konkreten Bedingungen zu diesem sozialen Stress beitragen: die Dichte an Menschen, die Infrastruktur, die Architektur, soziale, kulturelle oder auch klimatische Faktoren“, erklärt Gramann den Ansatz, der Wissenschaftler:innen aus den unterschiedlichsten Disziplinen in dem neuen Forschungsfeld der Neuro-Urbanistik zusammenführt. „Nicht erforscht ist ebenso, ob ein Umfeld auf Menschen mit unterschiedlichen genetischen Merkmalen gleich wirkt.“

So werden Männer und Frauen mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland, Nigeria, Australien, Chile und dem Libanon untersucht und befragt. Mithilfe der bereits entwickelten App „Urban Mind“ kann ihr emotionaler Zustand auch online erhoben werden, zum Beispiel bei Stadtspaziergängen, am Bildschirm oder mit einer Virtual-Reality-Brille, die Proband:innen in eine quirlige städtische Umgebung oder in eine entspannte natürliche Gegend mit viel Grün und Wasser versetzt.

Testfeld auf dem TU-Campus

Doch ebenso interessiert die Forscher:innen die Reaktion auf reale architektonische Umgestaltungen. Hier hat TU-Professorin Angela Million den Hut auf. Die Neuro-Urbanistik ist auch für die Stadtplanerin außergewöhnlich: „Dieser intensive Dialog zwischen so verschiedenen Disziplinen wie Stadtgestaltung, Kunst und Medizin war vorher nicht gegeben“, sagt sie.

Die Stadtplaner:innen erstellen zum Beispiel sogenannte „behavioural maps“. Sie halten zeichnerisch und fotografisch fest, wie Menschen sich im Raum verhalten, befragen sie und entwickeln daraus Ideen für verschiedene räumliche Interventionen. „Unser erstes Testfeld wird hier auf dem TU-Campus entstehen. Mit Studierenden, externen Künstler:innen und Landschaftsplaner:innen generieren wir Ideen, die bereits diesen Sommer in diesen Raum implantiert werden. Befragungen sollen zeigen, ob das den emotionalen Zustand der Menschen ändert.“

Die Ergebnisse finden dann ebenfalls Eingang in die neue Plattform RPN. Gemeinsam ist allen Forscher:innen: Sie wollen das Konzept für widerstandsfähige und gesundheitsfördernde Städte finden.

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