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125 Jahre Coca-Cola: Von einer, die das Rezept stehlen wollte

Coca-Cola wird am Sonntag 125 Jahre alt. Was mit der Rezeptur eines Apothekers begann, ist bis heute ein wohlgehütetes Geheimnis. Joya Williams wollte es stehlen. Das ist ihr schlecht bekommen.

Wenn Joya Williams Pech hat, und es spricht einiges dafür, dass sie zumindest kein Glückspilz ist, dann wird der morgige Sonntag, an dem Atlanta seine weltberühmte Firma zum 125. Jubiläum hochleben lässt, noch immer nicht der Tag sein, an dem auch nur die Hälfte ihrer Haftstrafe vorbei ist.

Joya Williams wird an diesem Tag, wie an den vergangenen 1081 Tagen auch, im Carswell-Gefängnis in Texas sein und Gott weiß was tun, und in Atlanta werden sie Fähnchen schwenken und Karussell fahren. Vielleicht hört sie davon in den Nachrichten oder sieht im Fernsehen Bilder. Es werden Nachrichten und Bilder aus ihrer Heimatstadt sein, und die Coca-Cola-Company zum Mittelpunkt haben, den Konzern, dem sie ein Allerheiligstes entrissen hat: eine Rezeptur.

Das hat sie sich getraut, und es ist ihr nicht gut bekommen. Dabei muss sie doch gewusst haben, wen sie herausfordert.

Coca-Cola ist ein Gigant, milliardenschwer und multinational, der größte Getränkehersteller der Welt. Der Schriftzug ist ikonografisch, der Name seit Jahren unangefochten die wertvollste Marke der Welt, und es ist auch der Name, der wie kein anderer für das wohlgehütete Betriebsgeheimnis steht. Seit am 8. Mai 1886 der Apotheker John Stith Pemberton in seiner Apotheke erstmals seine Erfindung ausschenkte, damals noch zur Linderung von Kopfschmerz und Depression, gibt es auch die Geschichte vom Rezept, das in einem Safe in der Sun Trust Bank in Atlanta liegt, und die Legende von den jeweils nur zwei Menschen, die es kennen, die deshalb nie im selben Flugzeug fliegen dürfen.

Diesen Mythos nähren sie im Konzern, ungeachtet fortschreitender lebensmittelchemischer Analyseverfahren, die so eine Coke durchaus in ihre Bestandteile zerlegen könnten. Und so folgte auch im März das prompte Dementi, als ein Radiosender meldete, er habe das Rezept in einer Zeitungsausgabe der „Atlanta Journal Constitution“ von 1979 gefunden, das seinerseits einen Auszug aus einem Rezeptbuch veröffentlicht habe, das einem Freund John Pembertons gehört haben soll. Auch das wurde von Coca-Cola für falsch erklärt.

Die Mitarbeiter des Konzerns werden streng ausgewählt und auf Vertraulichkeitsstandards, den „Code of Business Conduct“, eingeschworen. Fast 140 000 Menschen arbeiten weltweit für die Coca-Cola-Company, und 14 Monate lang gehörte zu denen auch Joya Williams. Doch dann griff sie am 24. November 2005 zum Telefonhörer, rief ihren Bekannten Edmund Duhaney an, den sie beim Thanksgiving-Dinner mit seiner Frau und den drei Kindern störte, und teilte mit, sie habe eine persönliche Angelegenheit mit ihm zu besprechen.

Joya Williams, eine Pfarrerstochter, war zu dem Zeitpunkt 41 Jahre alt und – wie ihr Vater später Journalisten sagen würde – nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit froh, wieder einen gut bezahlten Job zu haben. Sie arbeitete als Assistentin von Javier Sanchez-Lamelas, einem Marketing-Direktor, der sich um die Weiterentwicklung der Classic-Coke durch Variationen wie Diät-Coke, Cherry, Zero, Vanilla zu kümmern hatte.

Im Dezember besuchte Edmund Duhaney dann Joya Williams in ihrem Appartement in Norcross im Norden Atlantas, wo Williams ihm eröffnete, dass sie im Büro geheime Unterlagen kopiert habe. Sie zeigte ihm was sie hatte und sagte: Das werde den Wettbewerbern wohl etwas wert sein.

Vermutlich hatte sie Duhaney als Komplizen ausgesucht, weil der bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Aber das lässt sich nur ahnen. Wie sich überhaupt viel nur ahnen lässt, denn die Anwältinnen, die Joya Williams später vor Gericht vertraten, wollen sich näher nicht äußern. Laut eines Berichts des „Atlanta Magazine“ hat Joya Williams Edmund Duhaney im Sommer 2005 kennengelernt, auf der Party anlässlich seiner Haftentlassung. Duhaney war wegen Kokainbesitzes im Gefängnis gewesen. Dort hatte er auch Ibrahim Dimson kennengelernt, der das Trio am Ende komplett machen würde.

Als Duhaney im Februar 2006 bei Dimson in der Bronx von New York City anrief und ihm von Williams’ Plan erzählte, war der gleich elektrisiert und erklärte, sich die Dokumente anschauen zu wollen. Am 4. April trafen sich die drei in Norcross. Williams erklärte Dimson die Dokumente und sagte, diese Art Spionage sei üblich in „corporate America“, und dass Pepsi, der Hauptkonkurrent, daran bestimmt interessiert sein werde.

Damit war offenbar Einigkeit hergestellt, jedenfalls fuhren die Männer in den nächsten Wal-Mart und kauften Plastikfolien für die Dokumente und einen schwarzen Rollkoffer. Dimson, so beschloss das Trio, solle ein Schreiben an Pepsi schicken, den originalen Coca- Cola-Briefumschlag, den er dafür haben wollte, besorgte Williams aus ihrem Büro. Am 8. Mai 2006 schrieb Dimson den Brief an die Pepsi-Zentrale in Purchase, New York, adressiert an den Leiter der Abteilung „Innovationen“. Er sei ein hochrangiger Coca-Cola-Angestellter namens „Dirk“, schrieb Dimson, und habe „sehr detaillierte und vertrauliche Informationen über Coca-Colas Marketing-Kampagnen für die nächsten vier Jahre“ zu verkaufen. Anbei stand als Kontakt eine Telefonnummer, von der sich später herausstellte, das sie zu Dimsons Handy gehörte.

Wenn das schon nicht sonderlich raffiniert war, kam es nun noch dümmer. Denn Pepsi, statt sich über Dimsons Angebot zu freuen, leitete dessen Brief am 19. Mai an Coca-Cola weiter, und Coca-Cola informierte am 24. Mai das FBI, das nur einen Tag später seinen Undercover-Agenten Gerald Reichard mit der Lösung des Falls beauftragte.

Reichard nannte sich fortan „Jerry“, setzte sich mit Dimson in Verbindung, gab sich als Pepsi-Unterhändler aus und verlangte Beweise dafür, dass es wirklich um geheime Dokumente gehe. Am 26. Mai knatterte „Jerrys“ Faxgerät und heraus quollen 14 Seiten Papier mit dem Coca-Cola-Logo und den Stempeln „vertrauliche Information“ oder „streng geheim“. Am 30. Mai telefonierten „Jerry“ und „Dirk“ mehrfach, denn „Dirk“ wollte als Zeichen ernsthaften Interesses an dem Deal, dass „Jerry“ 10 000 Dollar auf ein Konto bei der Bank of America überweise. Am 6. Juni war „Dirk“ wieder am Telefon und bot neue Dokumente und ein Produktmuster an. Am 7. Juni installierte der Coca-Cola-Sicherheitsdienst zwei Kameras, die Joya Williams’ Arbeitsplatz überwachten.

Auf deren Bildern war den Justizbehörden zufolge zu sehen, wie die Angestellte, ihrem „Code of Business Conduct“ und auch sonstigen Vorschriften und Gesetzen zum Trotze, Aktenordner durchsuchte und Papiere in eine Plastiktüte stopfte, die sie dann in ihrer Handtasche versenkte. Außerdem zeichneten die Kameras auf, wie sie ein Produktmuster einsteckte.

Am 15. Juni meldete sich „Jerry“ bei „Dirk“, er habe das Geld, er wolle ihn sehen. Tags darauf trafen sich die Männer wieder am Hartsfield-Jackson International Airport, da war Dimsons Handy schon vom FBI verwanzt worden. Dimson überreichte „Jerry“ Akten und eine Glasflasche mit einem flüssigen Produktmuster und bekam im Gegenzug 30 000 Dollar und die Aussicht auf weitere 45 000 Dollar, wenn Pepsi das Muster getestet habe. „Jerry“ flog wieder ab.

Am 22. Juni nahm Dimson erneut Kontakt mit „Jerry“ auf und bot ihm 20 weitere Geheimdokumente an, der Preis für alles zusammen betrage 1,5 Millionen Dollar. „Jerry“ war einverstanden, und die Männer verabredeten sich für den 5. Juli. Diesmal fand das Treffen im Marriott Hotel in Atlanta statt und als „Jerry“ diesmal wieder abflog, waren Dimson, Duhaney und Joya Williams verhaftet.

Das FBI lobte Coca-Cola für dessen vorbildliche Reaktion auf die Bedrohung, Coca-Cola lobte Pepsi für dessen Beitrag zum guten Ende, und Pepsi, der ewige Zweite im Kampf um die bessere Cola, gab sich ehrenhaft: Wettbewerb könne böse sein, müsse aber legal und fair bleiben. Außerdem: Wie hätte Pepsi dagestanden, wenn je publik geworden wäre, dass man in Purchase, New York, auf Geheimnisverräter angewiesen ist, um mitzuhalten? Williams und ihre Komplizen lobte dagegen niemand, im Gegenteil.

Das „Time“-Magazin erinnerte daran, dass einer der ersten Werbeslogans von Coca-Cola „it’s a brain tonic“ gewesen sei, und dass das Trio mal lieber mehr davon getrunken hätte. Williams’ ehemaliger Vorgesetzter Sanchez-Lamelas äußerte ebenfalls grundsätzliche Zweifel an ihrer Cleverness. Und George Williams, der Geistliche und Vater von Joya, sagte, er könne die ganze Geschichte überhaupt nicht glauben. Seine Tochter! Würde so etwas nicht tun!

Dann trat das Gericht zusammen, und das war nochmal ein Pech für die Angeklagten. Denn den Vorsitz hatte J. Owen Forrester, der für ungewöhnliche Urteile bekannt war und diesem Ruf auch diesmal entsprach, indem er im Strafmaß für den angeklagten Ideenklau noch über das hinausging, was die Staatsanwaltschaft gefordert hatte.

Acht Jahre Haft lautet am 22. Mai 2007 das Urteil für Williams, obwohl sie bis dahin nicht aktenkundig gewesen war. Dimson bekam fünf Jahre, Duhaney handelte mit der Justiz eine geringe Strafe aus, dafür belastete er in seiner Zeugenaussage umfassend die beiden Komplizen.

„Dies ist eine Straftat, die von der Gesellschaft nicht toleriert werden kann“, sagte Richter Forrester, der die Bedeutung von Betriebsgeheimnissen für das Überleben von Unternehmen hervorhob und darauf verwies, dass nicht nur im Technologiesektor der Innovationsvorsprung von entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung sei, sondern dass das ebenso für die Lebensmittelbranche gelte. Das Gericht hatte für die Betriebsgeheimnisse von Coca-Cola sogar so viel Verständnis, dass auch während des Prozesses nichts über den Inhalt der vertraulichen Dokumente bekannt wurde.

Das ist vielleicht auch nicht so verwunderlich. Bei aller richterlichen Unabhängigkeit, besonders bei einem wie Forrester, muss man doch konzedieren, dass die Heimstätte des „United States District Court for the Northern District of Georgia“, die Stadt Atlanta nämlich, auch eine Coca-Cola-Stadt ist. In den 125 Jahren, die der Marktpremiere des Getränks, das damals noch grün und alkoholhaltig war, folgten, wurde nicht nur die Coca-Cola-Company reich und berühmt, sie ließ auch die Stadt, der sie immer die Treue hielt, daran teilhaben.

Coca-Cola hat hier Parks gebaut, Kinderbetreuung und Schulprogramme gestiftet, der ganzen Welt angeblich sogar den rotbemäntelten Weihnachtsmann erfunden, und an der Coca-Cola-Plaza 1 hat es die Coca-Cola-Welt gebaut, einen bunten Freizeitpark, der mehr als eine Million Besucher jährlich zählt, und für alle Einwohner unübersehbar prägt das Headquarter der Firma mit 123 Metern Höhe die Skyline der Stadt.

Joya Williams, die vor Gericht zunächst ihre Unschuld beteuerte und viele Tränen vergoss, habe Coca-Cola schaden wollen, sagte der Richter. Das sei nicht hinnehmbar. Das Berufungsgericht, an das sich Williams und Dimson noch wandten, sah das genauso und bestätigte die hohen Haftstrafen. Es sei dabei auch darum gegangen, klarzustellen, wie ernst die Justiz solcherlei Verbrechen nehme. So hat Joya Williams, zwar ganz anders als geplant, aber doch zur Verbreitung einer Art Formel beigetragen.

Weniger Eindruck als das betrügerische Trio dürfte in der Firmenhistorie von Coca-Cola das Produkt hinterlassen haben, das in den geheimen Unterlagen vorkam. Berichten zufolge hat es sich bei den Mustern um die neue Geschmacksrichtung Coca-Cola Blak gehandelt, eine Coke mit extra Koffein. Die Sorte, eine unter insgesamt 3500 im Portfolio des Konzerns, wurde noch 2006 in Frankreich auf den Markt gebracht und ist heute in Bulgarien, der Slowakei, Spanien und der Tschechischen Republik erhältlich. Sie erwies sich nicht direkt als Verkaufsschlager.

Im Internetauktionshaus Ebay werden Coca-Cola-Blak-Dosen und -Flaschen versteigert. Die Einstiegspreise liegen bei rund drei Euro. Gebote: null.

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