zum Hauptinhalt
Die Türken sind ganz wild auf Autos.

© dpa

Auto-Mekka am Bosporus: In der Türkei entstehen riesige Auto-Kaufhäuser

Von einer Auto-Dichte wie in Deutschland ist die Türkei noch weit entfernt. Doch das Land holt auf. Am Rand von Istanbul wächst derzeit ein gigantisches Einkaufszentrum: ein Paradies für Autokäufer.

Für 150 Millionen Dollar baut Bilge Calikli Arpaci einen Traum – einen Traum, von dem die Managerin hofft, dass er Millionen von Autokäufern anziehen wird: Neu- und Gebrauchtwagen für jeden Geschmack und Geldbeutel in mehr als 500 Geschäften auf drei Stockwerken. Versicherungen, Banken und Notare für Finanzierung und Papierkrieg. Zuberhörläden für die richtigen Assessoires. Werkstätten für Reparaturen. Eine 800 Meter lange Teststrecke auf dem Dach. Das ist „Autopia“, Arpacis Projekt eines gigantischen „Auto-Kaufhauses“. Doch nicht in einer klassischen Autonation wie den USA oder Deutschland entsteht „Autopia“, sondern am westlichen Stadtrand von Istanbul. Die Türken geben Gas.

„Das ist auf der ganzen Welt einzigartig“, sagt Arpaci, die Generaldirektorin von „Autopia“. Unter einem Dach finde der Kunde auf fast 120.000 Quadratmetern alles, was er haben wolle. Wenn es sein muss, auch ein Fahrrad oder eine Motorjacht. Nach der Eröffnung Ende kommenden Jahres erwartet „Autopia“ sechs Millionen Besucher im Jahr, das entspricht rund acht Prozent der türkischen Gesamtbevölkerung. Ausruhen können sich die Kunden in einem von 55 Cafes und Restaurants.

Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass ein Projekt wie „Autopia“ ausgerechnet in der Türkei entsteht, einem Land, das dem Westen lange rückständig und arm vorkam. Doch die Türken haben einen fast zehnjährigen Wirtschaftsaufschwung hinter sich, der das Land gründlich verändert hat. Der frühere „kranke Mann am Bosporus“ sitzt heute als Mitglied bei den G-20 mit am Tisch. Das Pro-Kopf-Einkommen der Türken kann sich mit dem der Südosteuropäer messen. Im ersten Quartal erzielte das Land das europäische Rekordergebnis von 11,7 Prozent Wachstum. Wäre die Türkei heute schon Mitglied der Europäischen Union, dann stünde sie von der Wirtschaftskraft her in der EU an sechster Stelle.

Knapp 2000 neue Autos am Tag

Das Auto wird zum Symbol dieses neuen türkischen Wohlstands. Immer mehr Türken können sich einen eigenen Wagen leisten, darunter auch Normalverbraucher, die früher nicht einmal an eine solche Anschaffung denken konnten.

Von einer Auto-Dichte wie in Deutschland ist das Land zwar noch weit entfernt, doch die Aufwärtsentwicklung ist unübersehbar. Vor zehn Jahren rollten 8,3 Millionen Fahrzeuge über türkische Straßen – seitdem hat sich die Zahl fast verdoppelt und liegt derzeit bei 14,5 Millionen. Jedes Jahr werden rund eine halbe Million Neuwagen und 2,5 Millionen Gebrauchtwagen im Land verkauft. In den ersten vier Monaten des Jahres schwoll der Verkehrsstrom um rund 225.000 zusätzliche Fahrzeuge an, das sind knapp 2000 neue Autos pro Tag. Neben Personenwagen finden vor allem Kleintransporter reißenden Absatz, und noch ist kein Ende des Booms zu erkennen. Nach Schätzung der Ankaraner Regierung besitzen drei von vier türkischen Privathaushalten noch kein eigenes Auto.

Günstige Voraussetzungen

Nicht zuletzt mit Hilfe von „Autopia“ soll das anders werden. Von ihrem Büro in einem Glaspavillon an der Baustelle des Einkaufszentrums im Istanbuler Stadtteil Beylikdüzü aus koordiniert Arpaci als Generaldirektorin des Projekts den Verkauf der geplanten Geschäfte an Interessenten. Rund 30 Prozent der Fläche hat sie wenige Monate nach Baubeginn schon vergeben, und zwar zu Preisen, die bei rund 350.000 Dollar pro Ladenfläche beginnen. Die zwei Bauunternehmen, die „Autopia“ hochziehen, betreiben mehrere herkömmliche Einkaufszentren in Istanbul und setzen darauf, dass die Türken in den kommenden Jahren ihre Liebe zum Auto fleißig in Neuwagen umsetzen.

Die Voraussetzungen erscheinen günstig. „Wir sind eine junge Gesellschaft“, sagt Arpaci. Jeder zweite Türke ist unter 29 Jahre alt. „Wenn das Pro-Kopf-Einkommen weiter wächst, sind die Potentiale riesig.“

Nicht nur die Macher von „Autopia“ haben das erkannt. Istanbul hat bereits ein „Auto-Kaufhaus“, allerdings werden dort nur Gebrauchtwagen gehandelt. Wenige Kilometer von der „Autopia“-Baustelle entfernt wird derzeit ein weiterer Autotempel hochgezogen, für die kommenden Jahre ist der Bau von mindestens vier weiteren Kfz-Kaufhäusern in Istanbul, Bursa, Izmir und Ankara vorgesehen.

Auch das Straßennetz wächst

Die Idee für Auto-Kaufhäuser entstand teilweise aus der Not. Ein neues türkisches Gesetz schreibt die Verlegung von Gebrauchtwagenläden aus den Stadtzentren an die Peripherie vor. Da liegt es nahe, den Händlern eine zentrale neue Heimat außerhalb der Innenstadt anzubieten. Inzwischen melden sich bei Arpaci auch auch aus dem Ausland neugierige Interessenten. Geschäftsleute aus mehreren europäischen und nahöstlichen Staaten haben sich „Autopia“ angesehen und überlegen, ob sie mit Unterstützung der Türken in ihren Heimatländern ähnliche Projekte in Angriff nehmen sollen.

In der Türkei selbst bemühen sich die Behörden unterdessen, mit dem Auto-Boom einigermaßen Schritt zu halten. In den vergangenen Jahren erweiterten sie das Verkehrsnetz um 11.000 Straßenkilometer, besonders durch den vierpurigen Ausbau von Überlandstraßen. Istanbul, wo jedes dritte Auto der Türkei zu Hause ist, plant eine dritte Autobahnbrücke über den Bosporus nebst einem neuem Autobahnring, um dem Verkehrsinfarkt zu entgehen. Dass die neue Brücke und die Autobahn auf Dauer reichen werden, glaubt niemand. Der Kolumnist Ahmet Celik rechnete seinen Lesern in der Zeitung „Habertürk“ kürzlich vor, dass auch „Autopia“ den steigenden Auto-Bedarf nicht abdecken wird. „In den kommenden Jahren werden wir noch viele neue Auto-Kaufhäuser sehen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false