zum Hauptinhalt
L'Aquila

© dpa

L’Aquila: Stadt der Tränen

Die italienische Stadt L’Aquila nimmt Abschied von den Erdbebenopfern. Tausende Menschen geben ihren Angehörigen das letzte Geleit. Derweil erschüttern Nachbeben die Region.

205 Särge liegen auf den Pflastersteinen im Hof einer Polizeikaserne von L’Aquila. 185 große sind es aus hellbraunem Holz und 20 kleine, weiß lackiert. Die kleinen, die hat man auf die großen gestellt. Es sind die Särge jener Kinder, die beim Erdbeben am Montag ums Leben gekommen sind. Im Tod sollen sie ihren Müttern und Vätern nahe bleiben.

Einige Tausend Menschen haben sich am Freitag Mittag in der Kaserne versammelt, um ihren Angehörigen das letzte Geleit zu geben. Es hätten noch viel mehr sein können, hätte der italienische Zivilschutz nicht allen entfernten Trauernden dringend davon abgeraten, in die Katastrophenregion zu reisen. Zu groß wären die Organisationsprobleme im erschütterten L’Aquila gewesen, auch bebt die Erde weiter – wahrscheinlich, wie Experten meinen, noch für vier oder sechs Monate.

Aus dem Vatikan hat Papst Benedikt XVI. gleich zwei Vertreter geschickt: als hierarchisch höchsten den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, der die Messe hält und in der Predigt von einem „Ostern der Wiedergeburt“ spricht, dazu seinen persönlichen Sekretär Georg Gänswein, der den „tröstlichen apostolischen Segen“ Benedikts überbringt. An der Seite Bertones feiert der Erzbischof von L’Aquila die Messe mit, Giuseppe Molinari, der den Zusammenbruch seines Palastes selbst nur mit knapper Not überlebt hat.

Alle Spitzenpolitiker Italiens sind da, Staatspräsident Giorgio Napolitano, die beiden Parlamentspräsidenten, Regierungschef Silvio Berlusconi und viele mehr. Doch die Politiker schweigen an diesem Trauertag; Berlusconi geht, vielfach umarmt und sichtlich mitleidend, als stiller Trostspender durch die Reihen der Hinterbliebenen.

Mit der Fassung ringt, unentwegt, auch Massimo Cialente. Er ist Bürgermeister von L’Aquila, hat am Montag sein Haus verloren und schläft seither im Auto. Der Donnerstag, das war für Cialente der schlimmste Tag. Da musste er per Dekret seine gesamte Stadt für unbewohnbar erklären.

Immer wieder blenden die Fernsehkameras die Fahne der 750 Jahre alten Abruzzenmetropole ein. „Immota manet“ haben sie, erdbebentrotzig, schon vor ein paar Hundert Jahren als Wahlspruch draufgeschrieben: „Unerschütterlich bleibt sie stehen.“ Dazu passt, als wäre es so gewollt, das Motto der italienischen Finanzpolizei an der Kasernenwand, das über dem Altar immer wieder aufleuchtet: „Nec recisa recedit“, „Auch verwundet weicht sie nicht zurück.“

Dabei ist L’Aquilas Zukunft erst einmal verschoben. Bis Ostern sollen zunächst die Bergungs- und Sicherungsarbeiten weitergehen; noch immer gelten 20 bis 30 Personen als vermisst. 289 Namen umfasste die Totenliste am Karfreitag; 180 Personen liegen mit teils schweren Verletzungen in entfernten Krankenhäusern.

Das Spital von L’Aquila selbst, erst im Jahr 2000 eingeweiht, ist am Montag so schwer beschädigt worden, dass es bis auf weiteres nicht genutzt werden kann. Die Nachbeben – mehr als 70 allein am Gründonnerstag – haben bisher die statischen Überprüfungen verhindert. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass im „San Salvatore“ ausgerechnet die neuesten Teile am meisten gelitten haben; sie sind zwischen 2001 und 2003 erbaut worden und hätten den damals schon verschärften Sicherheitsnormen genügen müssen. Stattdessen sind Träger, Pfeiler und Zwischendecken zusammengebrochen. Die Staatsanwaltschaft geht dem Verdacht nach, mangelhafter Beton oder fehlerhafte Stahlarmierung könnten schuld an diesem Debakel sein. Italiens Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“ weist darauf hin, dass der barock-neoklassizistische Vorgängerbau des „San Salvatore“ in seinem Kern nicht nur das große Erdbeben von 1703 überstanden hat, sondern dass unter seinen Eingangssäulen auch heute „nicht ein einziges herabgefallenes Stück Putz liegt“.

Unterdessen hat in L’Aquila die statische Überprüfung privater Wohnbauten begonnen. Ersten vorsichtigen Schätzungen nach könnte, bei den erwarteten positiven Ergebnissen, etwa ein Drittel der zuletzt 29 000 Evakuierten in ihre Häuser zurückkehren. Die anderen müssen mit einem monate- oder jahrelangen Leben in Zelten oder Baracken rechnen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false