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Fribourg: Lebenskunst am Röschtigraben

In Fribourg haben die Menschen Glück: Sie dürfen schlemmen und werden nicht dick. Es gibt so viele Treppen. Und Berge ringsherum.

Die Kathedrale St. Niklaus hat zwei Pforten, eine rechts, eine links. „Die Leute gehen rechts hinein, lassen ihre Sorgen drinnen und gehen befreit auf der linken Seite wieder hinaus“, sagt Stadtführer Gérald Caboussat lächelnd. Innen gibt es nicht nur ein gewaltiges gotisches Hallengewölbe zu bestaunen, es führt auch eine Wendeltreppe zum Turm. „Wollen Sie hinauf?“ fragt Caboussat. Na, klar. Ungefähr bei Stufe 200 bereut die Flachländerin den spontanen Entschluss. „Knapp die Hälfte ist geschafft“, tröstet der gut 70jährige Fribourger und stapft munter voraus, kein bisschen außer Atem. Oben, auf der Aussichtsplattform, wartet die Belohnung. Unten schachteln sich die Häuser der mittelalterlichen Altstadt, begrenzt von trutzigen Türmen. Malerisch schlängelt sich die Saane hindurch. Ehrwürdige Steinbrücken sind zu sehen und auch zwei moderne, die sich auf hohen Stelzen übers Tal spannen. In der Ferne erheben sich majestätische Berge. „Es sind nur die Voralpen“, sagt Caboussat, gibt aber zu: „Eine gewisse Höhe haben sie schon.“

37 000 Einwohner leben in der Stadt der Westschweiz, nur eine halbe Zug- stunde von Bern entfernt. Vermutlich sind die meisten Fribourger so fit wie Caboussat. Denn in dieser Stadt geht es ständig rauf und runter. „1500 Treppen haben wir“, sagt der Stadtführer stolz. Und weil manchen Bewohnern das pure Gehen darauf nicht reicht, veranstalten sie einmal im Jahr ein „Treppenrennen“. Bequeme Menschen nehmen das Funiculaire, liebevoll „Füni“ genannt, um von der modernen Oberstadt ins historische Zentrum am Fluss zu gelangen. Um 1890 wurde diese Standseilbahn gebaut – und noch immer funktioniert sie nach einem raffinierten Prinzip. Sie wird mit Abwasser betrieben. Die Flüssigkeit wird in den Tank des oberen Wagens gefüllt, und der zieht mit seinem Gewicht dann den unteren herauf. „Ökologischer geht es nicht“, freut sich Caboussat.

Unten spaziert man durchs Mittelalter, kann zahlreiche gotische Fassaden bewundern. Am Fluss steht ein seltsames Denkmal: Ein dunkler und ein heller Stein sind von einem Stahlband umschlossen. „Das ist der Röschtigraben“, erklärt der Stadtführer. Wenn es um eine Abstimmung gehe und die Deutschschweiz wieder mal anders votiert hat als die französische Schweiz, heißt es unisono im Land: „Ach, das war wieder der Röschtigraben.“ Man spricht Französisch und Deutsch in der Region – und Bolze. So nennt man den vorherrschenden Dialekt, der Deutsch und Französisch lustig vermischt. So heißt es zum Beispiel fürs Saubermachen nicht wie im Französischen „Je fais le ménage“, sondern „Je fais la Putz.“ Zweisprachig sind auch die Gassen ausgewiesen. So wird die Rue des Forgerons zur Schmiedgasse, die Rue d’Or zur Goltgasse und die Grand-Rue ist schlicht die Reichengasse. Zwischendurch passiert der Spaziergänger schon mal bunte Bauerngärten, in denen nicht nur Blumen prunken, sondern auch Obstbäume stehen und Gemüse angebaut wird .

Der Anblick von knallroten Tomaten, knackigem Salat und Kräuterbeeten zur Mittagszeit macht Appetit. Und dann zeigt sich, dass die Fribourger Gourmets sind. Zwölf Restaurants sind mit Gault Millau Hauben ausgezeichnet, auch Michelinsterne wurden vergeben. Sollte die Auberge aux Quatre Vents noch nicht prämiert worden sein, wird es höchste Zeit. Oben auf einem Hügel liegt das einladende Gasthaus, inmitten eines großen Gartens. Dort, bei schönem Wetter mit den Füßen im Gras, können die Gäste speisen – und Kunst betrachten. Allerlei Skulpturen sind da, aber das schönste ist der Brunnen, an dem groteske Wesen das Wasser in immer neue Bahnen lenken.

Der Künstler, so scheint’s, hat sich einiges von Jean Tinguely abgeschaut, dessen Kinetikwerke in einem Museum zu sehen sind. Ein altes Tramdepot ist zur „Espace Jean Tinguely – Niki Saint Phalle“ geworden. Denn auch die Kunst seiner Ehefrau, zum Beispiel einige ihrer berühmten Nanas, sind hier ausgestellt. Niki hatte sich sofort in Jeans Arbeiten verliebt. „Dein Atelier sah aus wie ein riesiger Schrotthaufen voll wunderbarer verborgener Schätze“, sagte sie rückblickend.

Während Fribourgs Altstadt das Mittelalter konserviert, ist die Oberstadt geprägt vom Betonstil der 70er Jahre. Der Schweizer Stararchitekt Mario Botta immerhin hat die langweiligen Formen aufgelockert. Das von ihm entworfene Gebäude der Kantonalbank (1978-81) setzt mit halbrunder Glasfassade ein Zeichen am viel befahrenen Boulevard de Pérolles. Aber, zwischen Allerweltsbauten eingezwängt, kann Bottas Werk nicht wirken. In Fribourgs geschäftlichem Zentrum wächst beim Besucher die Sehnsucht nach der Bilderbuchschweiz. Und die liegt nah. Eine halbe Stunde braucht der Überlandbus nach Bulle, dort nimmt man den Zug und steigt in Gruyères wieder aus. Genau, dort kommt der herzhafte Käse her, auch wenn er sich am Ende ohne „s“ schreibt. In einer Schaukäserei kann man sehen, riechen und schmecken wie die dicken runden Laibe entstehen und reifen. Draußen auf den Almwiesen muhen jene Kühe, deren Milch später zum Gruyère wird.

Gut beschilderte Wanderpfade erschließen die Region, aber die meisten Touristen zieht es ins autofreie Städtchen. Ein trutziges Schloss gehört dazu und Dutzende alte Häuser, denen man beim Herausputzen klugerweise noch ordentlich Patina gelassen hat. Vor allem reifere Jahrgänge verschiedener Nationalitäten schlendern durch Gruyères. Dazwischen taucht plötzlich ein Pärchen auf mit ungewöhnlich blasser Haut, ganz in Schwarz gekleidet. „Ja, die Gruftie-Szene kommt auch zu uns“, sagt Laura Braissant vom örtlichen Fremdenverkehrsamt lächelnd. Nicht wegen der Bilderbuchansichten allerdings, sondern aufgrund von Hansruedi Giger.

Der Schweizer Künstler entwirft fantastisch-schaurige, surrealistische Werke, die hier in einem Museum zu sehen sind. Seine Figuren und die Ausstattung für den Film „Alien“ haben ihm 1978 den Oskar eingebracht. Seit einigen Jahren gibt es am Museum auch eine Giger Bar, ein schräger, ein finsterer Ort. Man kann Platz nehmen in Skelettstühlen, in der Ecke steht ein metallenes Monster, eine riesige Raupe aus Polyester hängt von der Decke, die Musik ist düster. An der Theke sitzt ein alter Mann, neben seiner Tasse Kaffee liegt ein bleicher Totenschädel. „In der Nähe ist ein Seniorenheim“, sagt Laura Braissant schmunzelnd. Die Giger Bar sei so etwas wie das Stammcafé der Bewohner. Schweizer, so scheint’s, mögen es eben „speziell“.

Speziell im süßen Sinne ist die Schokoladenfabrik Cailler im nahe gelegenen Broc. Besucher können hier die Geschichte der Schokoladenherstellung studieren und soviel probieren, dass sie am Ende, im Shop, kaum noch Appetit haben auf die süßen Produkte. Aber ein paar edel verpackte Souvenirs müssen es doch noch sein. In Fribourg lächeln sie nur darüber. „Die beste Schokolade haben wir doch in unserer Stadt“, sagt die Dame vom Tourismusbüro und deutet stolz auf die Blechschachteln der Manufaktur Chocolat Villars. Um soviel Genuss zu verkraften, muss ein Fribourger nicht zum Wandern in die Berge fahren. Er hat ja seine Treppen.

Auskunft: Schweiz Tourismus, Telefon: 00800 / 100 200 30 (gratis), E-Mail: info@myswitzerland.com, im Internet: www.myswitzerland.com

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