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Luftiger Ausguck. Der „Skywalk“ über den Hannoverschen Klippen wurde gerade erst eröffnet – und bietet einen großartigen Blick über die Weser.

© Lerchenmüller

Urlaub in Westfalen: 80 Burgen, 25 Klöster und beste Hausmannskost

Westfalen ist zwar ein relativ unbekanntes, aber doch ein respektables Urlaubsziel, in dem so manches touristische Schätzchen zu entdecken ist. Das Juwel darunter ist zweifelsohne Corvey.

Ansgar Westerwelle ist ein glücklicher Bäcker. Anders als seine Kollegen fängt er erst morgens um acht mit seiner Arbeit an. Und er holt keine tiefgekühlten Teiglinge aus der Truhe, sondern heizt erst mal den Steinbackofen an. Schon seit fünf Jahren formt der Mann seine Laibe im Westfälischen Brotmuseum in Nieheim, zwischen 20 und 120 Stück pro Tag, je nachdem, welcher Besucherandrang zu erwarten ist. Daneben schiebt Westerwelle ein paar Bleche mit Kuchen und Schnecken ins Rohr, und im Advent natürlich jede Menge Stutenkerle, jene lustigen Hefeteigburschen mit Rosinenaugen und weißer Tonpfeife. Vor allem aber ist er dazu da, Auskunft zu geben über eines der ältesten Handwerke der Welt.

Das westfälischste aller Brote aber, das kulinarische Markenzeichen, kann Westerwelle hier leider nicht herstellen: Pumpernickel, diese schuhcremeschwarzen, süßlichen Blöcke aus Roggenschrot, werden nämlich nicht gebacken, sondern zwischen 16 und 24 Stunden in geschlossenen Kästen gegart – so lange hält kein Steinbackofen die Hitze. Dieses „klebrige Zeug“, soll Napoleon übrigens angewidert ausgerufen haben, sei ja gerade mal „bon pour Nickél“ – also gut genug für Nickél, sein Pferd. Na ja, nur einer von zahllosen Erklärungsversuchen zum Ursprung des Wortes, der ungeklärt bleibt. Daneben erfährt der Besucher, dass ein „Eigenbrötler“ jemand war, der sich dem Tratsch und Klatsch der öffentlichen Backhäuser verweigerte.

Informationen gibt es auch über die unterschiedlichen Getreidesorten und nicht zuletzt bekommt der Besucher auch einen kurzen Einblick in die Knetautomaten und Backstraßen der Brotfabriken von heute. Ganz ähnlich ist auch das Konzept der anderen drei Museen des Westfalen Culinariums, die das Städtchen Nieheim in sieben renovierten Fachwerkhäusern eingerichtet hat. Es geht um Bier und Schnaps, um Schinken und Käse, und die nahrhafte Materie ist jeweils mit kurzen Filmen, Anekdoten, kleinen Spielen und historischen Ausstellungsstücken appetitanregend aufbereitet.

Der Museumsladen schließlich hat alles Gute aus dem Land der Doppelnamen noch einmal versammelt: Knochenschinken aus Steinheim-Rolfzen, Pumpernickel aus Herzebrock-Clarholz, Honig aus Brakel-Bellersen. Und im Restaurant kann man ausprobieren, was es mit dem nordrhein-westfälischen Nationalgericht auf sich hat. „Wenn ’en Pott hast, kannst es auch kochen“, lautet das Rezept. Pfefferpotthast ist lange, sehr lange geschmortes Rindergulasch in einer sämigen Soße mit grünem Pfeffer – kulinarische Raffinesse ist des Westfalen Sache nicht. Er mag es eher kräftig und er hat gern viel davon.

Westfalen ist zwar ein relativ unbekanntes, doch ein respektables Urlaubsziel, in dem so manches touristische Schätzchen zu entdecken ist. Der Landkreis Höxter etwa hat Anteile sowohl am Teutoburger Wald als auch am Weserbergland. Viel Fachwerk schmückt die Dörfer, und die Bauernhöfe überbieten sich geradezu mit ihren prächtig geschnitzten Toreinfahrten. Das Land ist hügelig und erlaubt dennoch einen weiten Blick. Vom luftigen, eben eröffneten sogenannten Skywalk auf den Hannoverschen Klippen etwa bietet sich ein großartiges Panorama über die ruhig dahinfließende Weser, 80 Meter tiefer: Links liegt Hessen, rechts grenzt Niedersachsen an, im Rücken erstreckt sich Westfalen. Und hoch über dem Atomkraftwerk Würgassen, das bis 2014 endgültig zurückgebaut sein soll, drehen sich munter die Windräder.

Höxter hat sich selbst zum „Kulturlandkreis“ ernannt. Kultur? Aber ja! 80 Burgen und 25 Klöster untermauern den Anspruch. Das Juwel ist zweifelsohne Corvey, jene Abtei, die Kaiser Ludwig der Fromme 822 bauen ließ. Das Westwerk, die Sandsteinfassade mit den beiden Türmen stammt noch aus dieser Zeit, der schlossartige barocke Klosterbau wurde im 17. Jahrhundert errichtet. Fast 1200 Jahre alt sind also die Stufen aus der quadratischen Eingangshalle in den darüberliegenden Raum, mehrere deutsche Kaiser sind hier hinaufgestiegen. „Besonders unbeliebt hat sich Heinrich II. im Jahr 1015 gemacht“, erzählt Führer Wolfgang Unger. „Er wollte das Kloster reformieren. Die Mönche aber hielten überhaupt nichts von Armut, Keuschheit und Gehorsam – die meisten gingen einfach weg.“ Dann beginnt der Apotheker im Ruhestand zu singen, glockenrein und anrührend, und der gregorianische Choral hallt wider in dem kahlen Geviert mit den Rundbögen, und versetzt die Zuhörer in eine Zeit, als die Wände noch bunt ausgemalt waren mit Szenen aus der Odysseus-Sage, wie einige Überreste zeigen, und der Kaiser huldvoll in seiner Nische Platz nahm.

Im Klostergarten fand Heinrich von Fallersleben seine letzte Ruhe. Er kam 1860 als Bibliothekar an den Hof und kümmerte sich, da seine Frau bald starb, bis zu seinem Tod 1874 vor allem um Bücher, Bücher, Bücher. 75 000 geprägte Rücken hinter Glas lassen sich noch heute abschreiten wie eine literarische Ehrenformation.

Kultur satt also. Wie aber steht es mit der Kultur„landschaft“? Auch nicht zum Schlechtesten. Im Südwesten wechselt das rauschende Blütenweiß der Schwarzdornhecken mit dem kecken Grün der Buchenwälder und dem noch blassen Gelb der Rapsäcker. Hier veranstaltet Verena Arendes ihre Kräuterwanderungen und hat schon mal das Rezept für eine körperliche Grundreinigung parat: „Drei Stück am Tag, frisch gekaut, sind die richtige Dosis.“ Löwenzahnblüten, meint sie, putzen so richtig durch. Die lebhafte Sächsin, die vor ein paar Jahren hier eingeheiratet hat, bildet so etwas wie einen Kontrapunkt zu den Westfalen, die ja nicht gerade als Helden verbaler Kommunikation gelten. Die Wanderung mit ihr gerät zur unterhaltsamen Lehrstunde: Mädesüß liefert einen Tee gegen Erkältung. Gundermann, in Milch getaucht, ist gut gegen Halsschmerzen. Gänseblümchen sind bei Neurodermitis von Kindern nicht zu schlagen – in Eiswürfel eingefroren bilden sie einen absoluten Hingucker in Limonaden. Und ganz unmerklich ist dabei das Wisentgehege Hardehausen erreicht, in dem die fast ausgestorbenen Urrinder seit 1958 gezüchtet werden – mächtige Muskelpakete, die hinter dem Zaun spielerisch miteinander rangeln.

Am Desenberg, der wie ein riesiger Ameisenhügel aus der flachen Warburger Börde ragt, richtet die Kräuterfrau fix ein Kräuter-Picknick an: Sie streicht Bärlauchbutter auf Kräuterbrötchen, löffelt Wildkräuterpesto auf die Eier mit Giersch und streut noch ein paar Löwenzahnblüten über den Salat – der besseren Körperreinigung wegen. Es schmeckt, und es belegt noch einmal nachdrücklich, dass das sehr wohl zusammengeht: Leib und Seele, Natur und Geschichte, Land und Kultur – und das alles in Westfalen ...

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