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Das BASF-Werk in Ludwigshafen ist einer der größten Industriestandorte weltweit.

© imago stock

„2023 kommt es zur Feuerprobe“: Inflationsgeld und Preisbremsen wirken zumindest bei Chemiearbeitern

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE, fordert Hilfen für die energieintensiven Industrien. Zudem seien 100 Milliarden Euro für die Transformation nötig.

Beschäftigte in der chemischen Industrie kommen vergleichsweise gut durch die Energiekrise. Die Gewerkschaft IG BCE rechnet für eine Durchschnittsfamilie damit, dass allein die im Januar ausgezahlte erste Tranche des tariflichen Inflationsgelds (1500 Euro) die Energie-Mehrkosten für 2023 abdecken werde.

„Das zeigt, wie sich soziale Verantwortung von Tarifparteien und Bundesregierung für die Menschen auszahlt“, sagte der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis, der auch Co-Vorsitzender der von der Bundesregierung eingesetzten Gaspreiskommission war, am Montag in Hannover. Vassiliadis sprach von einem „Milliarden Euro schweren Inflations-Bollwerk“.

Die rund 580.000 Beschäftigten in der Chemie bekommen in diesem Januar neben der steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie von 1500 Euro eine Erhöhung der Tarifentgelte um 3,25 Prozent. In einem Jahr gibt es dann weitere 1500 Euro und nochmal 3,25 Prozent Aufschlag.

Dreimal so teuer wie in den USA

Über die Situation der energieintensiven Industrien äußerte sich Vassiliadis besorgt. Zwar seien die Energiepreise zuletzt stark gesunken, pendelten sich aber auf einem Niveau ein mit Preisen, die gut dreimal so hoch seien wie etwa in den USA. In der Chemie-, Papier-, Glas-, Keramik- oder Aluminiumindustrie bestimmten derzeit Produktionsdrosselungen, Verlagerungs- und Stilllegungspläne das Bild.

„2023 kommt es zur Feuerprobe“, sagte Vassiliadis und forderte staatliche Hilfen. „Wir können die Industrien nicht transformieren und grün machen, wenn sie tot sind.“ Die Energiepreisbremsen für die Industrie drohten zum Ladenhüter zu verkommen, weil sie an zu viele regulatorische Hürden geknüpft seien. Die Bundesregierung müsse hier im Einvernehmen mit der EU-Kommission schnell nachsteuern.

Wir brauchen schnell ein Perspektivtreffen beim Bundeskanzler, um Weichen für die Branchen zu stellen.

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE

Neben wettbewerbsfähigen Energiepreisen bedürfe es aber auch schlüssiger Konzepte für die klimagerechte Transformation der Idustrie. Gerade in der Chemie, dem drittgrößten Industriezweig hierzulande, müsse geklärt werden, welche Zukunftsfelder man besetzen wolle und welche Technologien und Infrastruktur dafür nötig seien.

„Dazu brauchen wir jetzt schnell ein Perspektivtreffen beim Bundeskanzler, um Lösungen für die akuten Verwerfungen zu finden und die Weichen für die Branche in diesem Jahrzehnt zu stellen“, forderte Vassiliadis.

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie.

© dpa/Britta Pedersen

Entscheidend sei, die Krise jetzt zur Transformation zu nutzen und damit klimagerechte Modernisierung mit der Zukunftssicherung von Standorten und Beschäftigung zu verbinden. Vassiliadis legte dazu einen Aktionsplan vor, der unter anderem staatliche Anschubhilfen von 100 Milliarden Euro für Transformationsinvestitionen vorsieht.

Die EU müsse Regularien beim Wettbewerbs- und Beihilferecht abbauen und gleichzeitig ähnlich wie die USA mit ihrem Inflation Reduction Act (IRA) Großinvestitionen in die Transformation fördern. „Wir müssen klotzen statt kleckern – mit massivem Einsatz von Mitteln aus anderen, nicht ausgeschöpften EU-Fördertöpfen“, forderte der Vorsitzende der IG BCE, der auch Präsident des Verbunds europäischer Industriegewerkschaften ist.

Mehr Resilienz in der Arzneiversorgung

In vielen Industrien sei Europa inzwischen extrem abhängig von anderen Weltregionen. Dazu gehöre die Arzneimittelproduktion, wo unzählige Wirkstoffe und Generika von wenigen Lieferanten aus Asien stammten. Aktuelle Lieferengpässe würden allein in Deutschland derzeit 330 Medikamente betreffen. „Die Politik hat in diesem regulierten Markt Fehlanreize gesetzt, sie muss dringend gegensteuern“, meinte Vassiliadis.

Für eine nachhaltige Arzneimittelversorgung sei unter anderem der Aufbau einer strategischen Arzneimittelreserve sowie eine europäische Produktion besonders versorgungskritischer Wirkstoffe erforderlich. Versorgungssicherheit wünsche er sich als zusätzliches Abschreibungskriterium sowie redundante Produktionsstätten in Europa, da es für manche Medikamente nur eine Herstellung weltweit gebe.

Die IGBCE ist mit mehr als 580.000 Mitgliedern die zweitgrößte Industriegewerkschaft Deutschlands nach der IG Metall mit 2,2 Millionen Mitgliedern. Im vergangenen Jahr verlor die Chemiegewerkschaft rund 10.000 Mitglieder. „Wir sind demografisch besonders herausgefordert“, sagte Vassiliadis dazu.

Dennoch sei er „frohgemut, dass wir an der zukünftigen Gestaltung des Landes und der Unternehmen weiter mitwirken“. Die IG BCE gestaltet die Arbeitsverhältnisse für gut 1,1 Millionen Beschäftigte in mehr als einem Dutzend Branchen, darunter Chemie/Pharma/Biotech, Energie/Rohstoffe/Bergbau, Kunststoff/Kautschuk, Papier, Keramik oder Glas. .

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