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1990, in der Jerusalemer Straße in Berlin-Mitte: Die DDR wird entsorgt.

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25 Jahre nach der Währungsunion: Der Osten Deutschlands liegt zurück

Überholen ohne einzuholen? Nach der Einführung der D-Mark brach die DDR-Wirtschaft zusammen. Ein Armenhaus ist der Osten aber nicht geworden.

Für West-Mark hat es in der DDR fast alles gegeben. Für die Mark der DDR dagegen nicht. Und so bauten sich Sehnsüchte auf zwischen Rostock und Plauen. Am 1. Juli 1990 ersetzte mit der Wirtschafts- und Währungsunion die westdeutsche Währung die DDR-Mark. Aber die Hoffnung, nun mit der kräftigen DM in der Tasche bald so stark zu sein wie der Westen, zügig aufzuholen bei Wirtschaftskraft und Wohlstand,  binnen weniger Jahre in den blühenden Landschaften zu leben, die Kanzler Helmut Kohl in Aussicht stellte – sie trog. Viele Ostdeutsche konnten auch mit der neuen Währung ihre Konsumträume nicht erfüllen, denn zu ihrem Ende hin produzierte die DDR-Wirtschaft, die alles andere als konkurrenzfähig war, vor allem viele Arbeitslose.

Ein schnelles Wirtschaftswunder, wie in den 50er Jahren im Westen, blieb in den Jahren nach 1990 aus. Die Wirtschaft der DDR war zu marode und der Westen zu stark für ein schnelles Einholen. Nüchterne Köpfe wussten das damals schon, und viele Ostdeutsche machten sich auch keine Illusionen, was die Zukunft ihrer Heimat anging. Sie kannten den Zustand ihrer Betriebe schließlich. „Manche Erwartungen waren viel zu hoch“, resümiert der Ökonom Oliver Höltemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Aufholprozesse dieser Art dauerten weit länger, als man 1990 vielfach angenommen habe. Holtemöller nennt die USA als Vergleichsbeispiel: Der wirtschaftlich schwache und rückständige Süden habe nach dem Bürgerkrieg fast hundert Jahre gebraucht, um an den starken Norden anzuschließen. So gesehen ist Deutschland nach einer Generation schon deutlich weiter. „Im Rahmen dessen, was man vernünftigerweise annehmen konnte, stehen die Ost-Länder heute nicht schlecht da“, lautet Holtemöllers Fazit.

 Massiver Investitionsrückstand

Die DDR-Unternehmen erreichten am Ende nur noch etwa 40 Prozent des westdeutschen Produktivitätsniveaus, der Investitionsrückstand war massiv. Nur sehr wenige DDR-Betriebe waren nach 1990 in der Lage, unter den neuen marktwirtschaftlichen Verhältnissen rentabel zu arbeiten. Der Rest musste saniert und herangeführt werden, wobei 30 Prozent der Unternehmen auf der Strecke blieben. Andererseits aber wurden neue Betriebe gegründet, eröffneten westdeutsche und ausländische Unternehmen im Osten neue Fabriken und Niederlassungen, machten sich viele Ostdeutsche selbständig und gründeten Unternehmen. Das war der dynamische Teil der ostdeutschen Wirtschaft, der den Zusammenbruch der DDR-Ökonomie einigermaßen auffing – auch dank eines recht guten Ausbildungsniveaus, das der Osten bis heute halten konnte. Die zügige Modernisierung führte im konkurrenzfähigen Teil der Ost-Wirtschaft recht schnell zu einem relativ hohen Produktivitätsniveau – oft höher als im Westen. Es war eine Ironie der Geschichte, dass Walter Ulbrichts einstige Parole - „überholen, ohne einzuholen“ - nun in einem Teil der ostdeutschen Wirtschaft tatsächlich wahr wurde. Die „verlängerten Werkbänke“ der West-Konzerne waren die Entwicklungskerne einer neuen Unternehmenslandschaft.  

Doch dieses kleine Wirtschaftswunder ging an vielen Ostdeutschen vorbei, die der Anpassungsschock in seiner ganzen Härte traf. Trotz der Abwanderungswelle in den ersten drei Jahren (vor allem Jüngere gingen) stieg die Arbeitslosigkeit in der Spitze auf 20 Prozent. In anderen Regionen Europas und der Welt (der Fall der Mauer setzte auch die Globalisierung frei) wurde billiger produziert als in der ehemaligen DDR, weshalb selbst sanierte Betriebe sich nicht immer halten konnten – etwa in der Werftenindustrie. Der Aufholprozess, gemessen an der Wirtschaftsleistung, der in den ersten Jahren sehr dynamisch war (man kam ja von einem sehr tiefen Niveau)  stockte schon Mitte der 90er-Jahre, der Abstand zum Westen hat sich seither kaum noch verändert, und es gibt derzeit wenig Aussicht, dass die Annäherung wieder deutlich an Fahrt gewinnen könnte. 

 Kein Armenhaus

Ein Vierteljahrhundert nach der Wirtschafts- und Währungsunion ist der Osten dank der massiven Finanztransfers dennoch kein Armenhaus. Und im europäischen Vergleich stehen die Ost-Länder eher in der Mitte als unten – ihre Wirtschaftskraft ist nahezu doppelt so stark wie die Tschechiens und Polens. Einige Regionen haben den Anschluss an Westdeutschland schon geschafft. Brandenburg etwa ist ökonomisch nicht mehr weit von Schleswig-Holstein, dem strukturschwächsten West-Land,  entfernt. Potsdam, Dresden oder Leipzig können sich durchaus mit wohlhabenden Städten im Westen messen.

Doch im Ganzen liegt der Osten zurück. Das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen erreicht nur 79 Prozent des westdeutschen Niveaus. Weil es nur wenige Konzernsitze im Osten gibt, liegt die Steuerkraft bei unter 50 Prozent. So werden die ostdeutschen Landeshaushalte noch lange über den Finanzausgleich angefüllt werden müssen. Allerdings haben die Ost-Länder in den vergangenen Jahren die Chance genutzt, die ihnen die hohen Zahlungen aus dem Westen boten: Die Etats sind insgesamt solider, vor allem Sachsen sticht mit seiner geringen Schuldenquote hervor. Dank der Solidarpaktmittel sind die staatlichen Investitionen seit zwei Jahrzehnten deutlich höher gewesen als im Westen, und weil das Aufholen bei der Infrastruktur, beim Straßenbau und Gewerbegebieten, bei Krankenhäusern und Schulbauten schon vor einigen Jahren weitgehend geschafft war, konnten die Ost-Länder haushaltspolitisch in den letzten Jahren nicht klagen. Mit dem neuen Finanzausgleich ab 2020 wird sich die Situation ändern, dann werden die Sondermittel deutlich geringer ausfallen.

 Klein- und Mittelbetriebe dominieren

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat gerade erst die geringe durchschnittliche Unternehmensgröße im Osten als Hemmfaktor ausgemacht. Holtemöller gibt jedoch zu bedenken: "Es ist nicht möglich, große Unternehmen für den Osten am Reißbrett zu konzipieren.“ „Es ist nicht möglich, große Unternehmen für den Osten am Reißbrett zu konzipieren.“ Es werden also weiterhin Klein- und Mittelbetriebe prägend sein. Der durchschnittliche Unternehmensumsatz liegt unter einer Million Euro – im Westen ist er doppelt so hoch. Es fehlen größere Forschungs- und Entwicklungsabteilungen als Impulsgeber. Der Großteil der ostdeutschen Betriebe produziert für das Inland – in den Export geht nur ein Drittel der Produktion. Im Westen liegt die Ausfuhrquote bei etwa der Hälfte. Zudem fehlt vielen ostdeutschen Unternehmen das nötige Kapital, um sich neue Märkte erschließen zu können und damit zu wachsen – auch hier hat der Westen einen dauerhaften Vorsprung. Viele Arbeitsplätze entstanden zudem in Dienstleistungsbetrieben. Der industrielle Sektor hat im Osten heute mit 15 Prozent einen deutlich geringeren Anteil an der Wertschöpfung als in Westdeutschland (etwa 25 Prozent). Er ist auch weniger produktiv und erreicht nur etwa drei Viertel des Westniveaus. Berlin ist mittlerweile die Wachstumslokomotive für den Osten, der Aufschwung der Hauptstadt strahlt aus. Und Mecklenburg-Vorpommern hat Bayern als Land mit den meisten Touristen abgelöst.

Schaut man sich die Privathaushalte an, ist auch hier der Rückstand zum Westen noch deutlich. Die Arbeiternehmereinkommen erreichen nur gut 78 Prozent des westdeutschen Niveaus. Dank niedrigerer Lebenshaltungskosten liegt die Kaufkraft je Einwohner bei mittlerweile 84 Prozent. Das bewegt sich freilich im Rahmen dessen, was auch in anderen Industriestaaten an regionaler Unterschiedlichkeit vorhanden ist.

 Die Abwanderung ist gestoppt

Immerhin: Eine Abwanderungsregion ist der deutsche Osten nicht mehr. Insgesamt haben die Ost-Länder seit 1990 knapp zwei Millionen Einwohner verloren. Mittlerweile halten sich Ab- und Zuwanderung jedoch die Waage. Dennoch sind die demographischen Aussichten nicht rosig: Die Ost-Bevölkerung ist überaltert, es gibt zu wenig Nachwuchs, den Unternehmen fehlen nicht selten Arbeitskräfte. Holtemöller setzt für die Zukunft nicht auf mehr Transfers und Subventionen, sondern empfiehlt der Politik, möglichst viel Geld in Bildung zu stecken. Die Schulabbrecherquoten seien zu hoch – in Sachsen-Anhalt etwa geht jeder achte Jugendliche ohne Abschluss ab.  Sie endeten irgendwann in der Arbeitslosigkeit, fürchtet der Wirtschaftsprofessor. Dabei haben die Ost-Länder durchaus gute Schulen, wie die Vergleichstests der letzten Jahre gezeigt haben. Wer also einen Abschluss hat, ist in der Regel gut ausgebildet. Darauf gelte es aufzubauen. Die niedrigeren Lohnkosten nützten den Ost-Ländern wenig, denn anderswo auf der Welt werde immer billiger produziert. Es komme auf Innovationen an, auf neue Produkte, und es müssten mehr Studenten aus dem Ausland angelockt werden, sagt Holtemöller. Investiert werden müsse in Köpfe - in der Hoffnung, dass so möglichst viele neue Unternehmen entstehen.

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