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Glänzende Aussichten hatte Vattenfall noch 2008 versprochen – bei der Eröffnung einer kleinen CCS-Testanlage in Spremberg. Foto: ddp

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Wirtschaft: Alles dreht sich um die Kohle

Vattenfalls CCS-Stopp spaltet Brandenburg und das ganze Land. Der Konzern muss nun Fördergelder der EU zurückzahlen.

Berlin/Potsdam - Mit seiner Ankündigung, die Pläne zum Bau eines CCS-fähigen Kraftwerkes zu begraben, hat Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka nicht nur Brandenburg in eine Identitätskrise gestürzt: Zwischen der Lausitz und Potsdam, aber auch bundesweit, streiten beide Lager nicht mehr über technische Details dieser Technologie zur Abscheidung und Einlagerung von Kohlendioxid (CO2). Jetzt geht es um große Sinnfragen: Brandenburg und Deutschland ohne Kohle, den Energieträger Nummer eins – wie kann das gehen? Und kann die Energiewende überhaupt gelingen ohne derartige Klimaschutztechnologien?

Der Finne Hatakka hatte am Montagabend in Cottbus angekündigt, dass sein Unternehmen die Investitionsentscheidung zum Bau eines Braunkohlekraftwerks für 1,5 Milliarden Euro in Jänschwalde zurückzieht und alle Versuche, abgeschiedenes CO2 testweise unter der Erde zu verpressen, vorerst aufgibt. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) warnte beim Berlin Maximal Club in Berlin davor, die Technologie abzulehnen: „Das kann sich eine Industrienation nicht leisten“. Schon der Ausstieg aus der Steinkohle sei problematisch gewesen. Es geht ihm auch um Standortpolitik: Vattenfall beschäftigt in der Region rund 5000 Mitarbeiter direkt und schuf 7000 Jobs im Umfeld. Hatte Hatakka nicht mehrfach gesagt: Ohne CCS gibt es kein neues Kohlekraftwerk? Die FDP-Fraktion im Potsdamer Landtag forderte eine Regierungserklärung zu CCS.

Im Landkreis Spree-Neiße, wo die Tagebaue stehen, wächst nun die Unruhe. Landrat Harald Altekrüger (CDU) warnte vor Versuchen, nach dem Atom- einen Kohleausstieg durchzusetzen, ohne dass es „eine grundlastfähige Alternative“ gebe. Dies hätte fatale Folgen für die Region, die nicht zuletzt wegen sinkender Einwohnerzahlen künftig auf die Kohleindustrie angewiesen sei. Vattenfall vergebe jährlich Aufträge in Höhe von 500 bis 800 Millionen Euro in der Region. Die Kommunen seien auch auf die Gewerbesteuern angewiesen. „Wenn wir die Kohle nicht mehr haben, wer sorgt dann für Verdienstmöglichkeiten?“, fragte Altekrüger – und gründete noch am gestrigen Dienstag mit anderen Kommunalpolitikern in Cottbus die Allianz „Pro Braunkohle“.

Joachim Ragnitz, Ost-Experte beim Ifo-Institut in Dresden, sagte: Egal, wie man zu CCS stehe, sei der Verlust einer von der EU geförderten 1,5 Milliarden-Investition „ein fatales Signal für den Investitionsstandort Ostdeutschland“. Da CCS „eine Vorzeigetechnologie sein sollte, kann das mittel- und langfristig negative Wirkungen für den Innovationsstandort haben.“ Für dünn besiedelte, strukturschwache Regionen sei es „immer noch besser, schmutzige Industrien zu haben als gar keine“, sagte Ragnitz.

Es gab auch Jubel: Umweltverbände und Bürgerinitiativen aus der Oder-Spree-Region um die Kleinstadt Beeskow, südöstlich von Berlin, begrüßten Hatakkas Ansage. Bei ihnen hätten Vattenfalls unterirdische Kohlendioxid-Endlagerstätten entstehen sollen. Die Erleichterung sei „groß, dass die Versenkungsprojekte gestorben und dass sich dieser Unsinn nicht durchgesetzt hat“, sagte Oder-Spree-Landrat Manfred Zalenga (parteilos). Zuspruch kam auch aus Berlin. „Nun ist zu hoffen, dass der Konzern nicht auf die klima- und umweltschädliche Braunkohleverstromung ohne CCS setzt. Denn dies bietet für die Zukunftsfähigkeit eines Energieunternehmens auf Dauer keine Perspektive“, sagte Oliver Krischer, Energieexperte der Grünen im Bundestag. Und die Umweltschutzorganisation Greenpeace in Hamburg teilte mit, dass sie – anders als Tags zuvor vom Tagesspiegel berichtet – ausdrücklich gegen CCS sei und auch sie das Projektende natürlich begrüße.

CCS ist praktisch gestorben. Das heißt, für Buchhalter zwischen Cottbus, Berlin und Brüssel beginnt die Arbeit jetzt erst. Sie müssen ausrechnen, wie viel Geld der Energiekonzern an die EU-Kommission zurücküberweisen muss. Die hatte Vattenfall im Rahmen ihres Energiestrukturfonds EEPR 180 Millionen Euro Beihilfen für Planung und Bau des Kraftwerks in Jänschwalde bewilligt. 45 Millionen davon seien bereits ausgezahlt worden – zur Vorfinanzierung, teilte eine Sprecherin der Kommission dem Tagesspiegel gestern mit. „Mit der Absage läuft nun eine Frist von 60 Tagen, in denen Vattenfall uns nachweisen muss, wie viel davon tatsächlich zweckgebunden ausgegeben worden ist. Das wird geprüft. Der Rest muss dann zurückgezahlt werden“, sagte sie. Vattenfall machte am Dienstag dazu keine näheren Angaben.Mitarbeit: Constance Frey

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