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Knaller oder Flop. Die Meinungen der Geldanlage-Profis über den Verlauf des Jahres 2012 gehen weit auseinander. Für den Dax werden im Schnitt 6860 Punkte erwartet. Foto: pa/dpa

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Angst vor Prognosen

Nach den Turbulenzen 2011 wagen nur wenige Experten einen Ausblick auf 2012.

Die Sieger stehen fest: Öl, Gold und amerikanische Blue Chips. Anleger, die 2011 darauf gesetzt haben, können zufrieden sein. Während Europa unter der Staatsschuldenkrise litt und Asien unter seiner schwächelnden Konjunktur oder den Folgen von Fukushima, gewann Öl je nach Sorte um elf bis 16 Prozent an Wert, Gold um 16 Prozent, der Dow-Jones-Index um 6,2 Prozent. Dass alle drei Anlageklassen in Dollar notiert sind, hat dem Euro-Anleger indes fast nichts gebracht: Denn die von manchen schon totgeglaubte gemeinsame Währung hielt sich auf Jahressicht gegenüber der Weltleitwährung Dollar extrem stabil. Das Euro-Minus liegt bei weniger als einem Prozent.

An den meisten anderen Märkten herrschte 2011 Katzenjammer. Sämtliche europäische Leitindizes, die meisten asiatischen Börsen, Rohstoffe und Staatsanleihen wackelten gewaltig. Mit einem Minus von gut 15 beziehungsweise 12 Prozent gehörten die erste und die zweite deutsche Börsenliga von Dax und M-Dax noch zu den besseren Kandidaten. Der Dax stellte die Nerven der Anleger jedoch auf die Probe: Gestartet bei 6914 Punkten lag er bis Mai zehn Prozent vorne, stürzte bis September um fast 25 Prozent ab, um sich bis Jahresende wieder um etwa 16 Prozent zu erholen. Der Euro-Stoxx verlor unterm Strich sogar 19 Prozent, der griechische Aktienindex mehr als die Hälfte.

Doch auch in der Krise waren gute Gewinne möglich. Zwar gingen Banken, Versicherungen, Versorger und Zykliker in die Knie, doch war mit defensiven Werten einiges zu holen: Merck, Fresenius oder Beiersdorf schafften bis zu 27 Prozent Plus. Dagegen verlor die Commerzbank mehr als 70, Metro, Lufthansa und Thyssen-Krupp über 40 Prozent.

Ein turbulentes Jahr liegt auch hinter Deutschlands Energiewirtschaft. Während die Klassiker Eon und RWE mit ihren hohen Kernkraftanteilen unten dem für 2022 beschlossenen Atomausstieg litten, konnten vor allem Solarwerte angesichts hoher Überkapazitäten und heftiger Konkurrenz aus Asien nicht profitieren. Ob Solarworld, SMA Solar, Centrotherm oder Q-Cells – die Jahresverluste liegen bei 40 bis 80 Prozent.

Das Ergebnis eines Jahres der Achterbahnfahrten: Aktien sind in Europa um ein Drittel bis die Hälfte günstiger als im langfristigen Mittel, die Dividendenrenditen liegen im Schnitt bei vier Prozent und bieten erheblich mehr als Staatsanleihen mit vergleichbarem Risiko. Die Verschuldungen der großen börsennotierten Unternehmen liegen auf 15-Jahres-Tief. Rohstoffe – von Silber über Weizen und Kupfer bis zu Nickel und Kaffee – sind billiger als vor zwölf Monaten. Der Markt hat den Abschwung also bereits eingepreist.

Beim Blick in die Glaskugel herrscht angesichts attraktiver Fundamentaldaten unter den Experten größtenteils Optimismus. Vor allem die Aktien gut geführter Konzerne könnten sich 2012 zur Alternative zu Festgeld, Gold und Anleihen, also zu den neuen sicheren Häfen entwickeln, glauben etwa die Strategen der Deutschen Bank. Die Bank prognostiziert ein gutes Aktienjahr mit bis zu zweistelligen prozentualen Kursgewinnen, vor allem bei US-amerikanischen und chinesischen Aktien sowie Papieren mit nachhaltiger Dividendenentwicklung.

Schon 2011 verhalfen zwei Drittel der 30 Standardwerte im Dow Jones den Anlegern zu guten Gewinnen: McDonald’s stieg um 30 Prozent, IBM um 27, Pfizer um 24, Intel um 17 Prozent. In Europa rechnet die Deutsche Bank vor allem in den ersten Wochen des Jahres noch mit großen Schwankungen. Der Kontinent werde – mit Ausnahme von Deutschland – in eine leichte Rezession abkippen. Die Schuldenkrise werde die Kurschancen europäischer Aktien in den ersten Monaten begrenzen. Im zweiten Halbjahr sei jedoch mit steigenden Kursen zu rechnen. Der Dax, sagt Cheftstratege Ulrich Stephan, könne 2012 bis auf 6600 Punkte steigen.

Die Fondsgesellschaft Fidelity, einer der größten Vermögensverwalter der Welt, rät den Anlegern, sich über die negativen Schlagzeilen hinaus für eine mittelfristige Erholung zu positionieren. „Die Verunsicherung über die Krise in der Euro-Zone wird nicht ewig dauern“, glaubt Michael Clark, Manager des Fidelity European Dividend Fund, der für 2012 vor allem multinationale Konzerne mit starker Präsenz in Fernost bevorzugt.

Skeptisch bleiben die Strategen der Commerzbank, deren Aktie neben Heidelberger Druck, der Tui, Wacker Chemie, Solarworld, Praktiker und Aixtron zu den Jahresverlierern gehört. Angesichts vieler Fragezeichen sei es schwierig, eine Empfehlung für eine Depotstruktur abzugeben, die „das ganze Jahr funktioniert und positive Renditen abwirft“, warnt Chris-Oliver Schickentanz, Chefstratege der Commerzbank. Weil die Schwankungen in allen Assetklassen immer extremer würden, sich zudem immer mehr nichtkommerzielle Marktteilnehmer wie Notenbanken am Geschehen beteiligten, gelte 2012 aus Sicht der Bank mehr denn je: Wer sein Risiko reduzieren wolle, dürfe nicht nur bei Aktien vorsichtig sein, sondern überall. Folglich sei eine breite Streuung über Aktien, Anleihen, Festgelder, Immobilien und Rohstoffe wichtiger denn je. Der Dax könne auf 6200 Punkte steigen, aber auch auf 5200 fallen. Sollte die Schuldenkrise eskalieren, seien sogar 20-prozentige Verluste denkbar.

Auch andere Institute halten sich mit allzu konkreten Prognosen zurück und schlagen Szenarien vor: Silvia Quandt Research etwa sieht den Dax 2012 im Hoch bei 7500 Punkten. Sollte das maximal „zehn- bis 15-prozentige Risiko“ eines Verfalls der Euro-Zone Realität werden, seien aber auch 4000 Punkte denkbar. Wenig Sorgen macht sich die Mehrheit der Vermögensverwalter. In einer Umfrage unter 50 bankenunabhängigen Profis tippten 54 Prozent auf Dax-Stände von mehr als 7000 Punkten im kommenden Jahr. 15 Prozent sehen sogar die Marke von 8000 Zählern fallen. Im Schnitt liegen die Prognosen bei 6860 Punkten, also etwa 1000 Punkte über dem aktuellen Niveau.

Beim Goldpreis halten sich Optimisten und Pessimisten in etwa die Waage. 47 Prozent glauben an steigende Notierungen, während 38 Prozent auf einen Rückgang unter 1500 Dollar je Feinunze setzen. Relativ einig sind sich sowohl Banken wie Vermögensverwalter in puncto Anleihen: Statt Volkswirtschaften Geld zu leihen, werde es mehr Sinn machen, in die Verschuldung von Unternehmen zu investieren. 76 Prozent der Vermögensverwalter empfehlen Unternehmensanleihen ausgewählter Blue Chips, aber nur 18 Prozent Staatsanleihen.

Die Vermögensverwalter von Schroders bringen die Sorgen und Hoffnungen für 2012 auf den Punkt: Das kommende Jahr werde ein „Wei-Ji-Jahr“, sagt Virginie Maisonneuve, die Leiterin des Bereichs globale und internationale Aktien. Wei Ji sei chinesisch und bedeute nicht nur „Herausforderung“, sondern auch „Chance“.

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