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Börsenkriminalität: Hinter den Aktenbergen

Insiderhandel ist strafbar, doch lange ist kein Vorstand oder Aufsichtsratschef mehr angeklagt worden. Die Ermittler sind überfordert.

Berlin/Frankfurt am Main - Nachfragen führen nicht weiter, Staatsanwältin Bettina Vetter antwortet immer gleich: „Die Ermittlungen dauern nach wie vor an.“ Seit mehr als drei Monaten blättert die Staatsanwaltschaft Stuttgart in einem Berg von Akten, die die Polizei im Juni bei der Fluggesellschaft Air Berlin beschlagnahmt hat. Das Ziel der Wühlarbeit: Belege für den Verdacht zu finden, dass Topmanager des Berliner Unternehmens unerlaubte Insidergeschäfte mit Aktien getätigt haben (siehe Kasten). Eine Notiz, ein Aktenvermerk würden ausreichen – doch so weit sind die Staatsanwälte noch nicht.

Gerade erst mit der Arbeit angefangen haben Justiz und Finanzaufsicht im Insiderverdachtsfall beim deutsch-französischen Luftfahrtkonzern EADS. Hier dürfte erst in Jahren mit Ergebnissen zu rechnen sein. Denn während bei Air Berlin sechs Verdachtsfälle bearbeitet werden, sind bei EADS bis zu 1200 Manager und die Großaktionäre Daimler und Lagardère ins Visier der Ermittler geraten.

„Die Verfahren dauern viel zu lange“, kritisiert Michael Kunert von der Schutzvereinigung der Kapitalanleger. Dies belaste nicht nur die Justiz, sondern auch die Unternehmen und deren Aktionäre. Letztere können zum Beispiel zivilrechtliche Schadenersatzansprüche gegen Insider oft leichter durchsetzen, wenn ein Strafverfahren abgeschlossen wurde. „Uns fehlt sonst häufig der Einblick ins Unternehmen“, sagt Jasmin Dezsö, Anwältin in der Kanzlei Rotter, die EADS-Aktionäre vertritt. Außerdem gingen Insider nicht selten mit krimineller Energie und Raffinesse ans Werk. „Dumm sind die auch nicht.“

Schon seit Jahren bemängeln Experten, dass die Ermittlungsbehörden zu schlecht ausgestattet sind, um die gestiegene Zahl von Insiderverdachtsfällen effizient bearbeiten zu können. „Mit mehr Leuten würden wir auch mehr schaffen“, sagt die Stuttgarter Staatsanwältin Claudia Krauth. Mehr als 100 Verfahren landen pro Monat auf ihrem Schreibtisch. Doch Personal allein ist nicht alles. Auch Spezialkenntnisse über den Kapitalmarkt und den Wertpapierhandel sind gefragt – und selbst bei den Schwerpunktstaatsanwaltschaften häufig Mangelware.

Selbst der oberste Aufseher Deutschlands, Jochen Sanio, beklagte unlängst, dass „viel zu viele Insiderverfahren im Sande verlaufen“. Seine Behörde, die Finanzaufsicht Bafin, leitete 2006 insgesamt 51 neue Verfahren ein. Allerdings wurden erheblich weniger Verfahren bei den Staatsanwaltschaften abgeschlossen. Nach 199 im Jahr 2004 waren es im vergangenen Jahr nur noch 71. Davon wurden 42 eingestellt, 17 gegen Zahlung einer Geldauflage. Nur elf Mal gab es Urteile wegen Insiderverstößen; Vorstände oder Aufsichtsräte fanden sich unter den Verurteilten nicht. Nur in einem Fall kam es zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. In einem Fall blieb dem Insider ein Gewinn von mehr als 100 000 Euro. Abschreckend wirkt das nicht.

Dabei arbeiten die Bafin-Späher eigentlich sehr genau. 1000 auffällige Kursbewegungen beobachten sie jedes Jahr, häufig vor Übernahmen oder Ad-hoc-Mitteilungen. Zwei Millionen Aktienkäufe und -verkäufe laufen Tag für Tag über ihre Computer. Jedes Wertpapiergeschäft wird gemeldet: Welche Börse wurde genutzt, wann wurde gehandelt, geschah dies im Kundenauftrag oder auf eigene Rechnung? Über Filter geben die Rechner Hinweise auf Auffälligkeiten. Gab es bei guten Nachrichten im Vorfeld große Käufe oder umgekehrt bei schlechten Neuigkeiten Verkäufe, prüfen die Aufseher genauer. Auch Hinweise von Dritten sind Anlass für die Bafin nachzuschauen. Gibt es einen begründeten Verdacht, muss die Bank Namen nennen. Bestätigt sich der Verdacht auf einen Insiderverstoß, schaltet die Bafin die Staatsanwaltschaft ein.

Börsianer erkennen die Bemühungen zur Eindämmung von Insidergeschäften an. „Ein Kavaliersdelikt ist das nicht mehr. Die Bafin hat aufgerüstet“, sagt Fidel Helmer, Börsenchef beim Bankhaus Hauck & Aufhäuser. Trotzdem wünscht auch er sich eine höhere Erfolgsquote. Auch Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler bedauert, dass viele Untersuchungen im Sande verlaufen. Etwa die im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Ex-Daimler-Chef Schrempp im Sommer 2005. Die Frage, ob auch der Fall EADS nicht zuletzt wegen seiner politischen Dimension irgendwann zu den Akten gelegt wird, ist offen. Die Bundesregierung jedenfalls beteuert ihr Interesse. „Es ist ein wichtiges Unternehmen“, sagt der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg.

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