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Kölln Müsli: 30 Prozent weniger Zucker, fast gleich viele Kalorien.

© Mike Wolff

Zucker in Lebensmitteln: Der große Schwindel

Zucker taucht unter vielen Namen auf. Deshalb essen die Menschen mehr davon als sie glauben. Aber auch zuckerfreie Lebensmittel haben oft jede Menge Kalorien.

Wenn es um Zucker geht, kennt Nena keinen Spaß. Zucker sei eine „legale Droge“ und könne Kinder abhängig machen, schimpfte die Sängerin vergangenes Jahr zur Vorweihnachtszeit, als landauf, landab Mütter Vanillekipferl in Puderzucker wälzten. Nena, inzwischen nicht nur Mutter, sondern auch Oma, glaubt, dass die süßen Kristalle die Nerven der Kinder schädigen. Deshalb hat sie den Stoff aus ihrer Küche verbannt und durch den Zuckeraustauschstoff Xylit ersetzt.

Auch Leo will keinen Zucker mehr. Er hat zwar keine Angst vor Nervenschäden, fürchtet aber um seine Figur. Auf Bonbons will der Elfjährige dennoch nicht verzichten. Deshalb kauft er „zuckerfreie“ Lutschbonbons mit Stevia. Oder besser gesagt mit Steviolglykosiden, denn die reinen Stevia-Blätter sind in der EU nicht zum Verzehr zugelassen. Steviolglykoside enthalten keine Kalorien. Trotzdem stecken auch in Leos Bonbons Kalorien. Denn die Süßigkeiten enthalten neben Stevia auch die Zuckeraustauschstoffe Isomalt und Sorbitsirup. Diese haben zwar nur halb so viele Kalorien wie Zucker, sind aber zu Leos großer Enttäuschung – anders als Süßstoffe wie Stevia, Aspartam oder Saccharin – nicht komplett kalorienfrei.

WIE ZUCKER VERSTECKT WIRD

Zucker hat ein schlechtes Image in Deutschland. Er macht Karies und gilt als Kalorienbombe. Zucker ist schuld, dass immer mehr Kinder und Erwachsene unnötigen Speck mit sich herumtragen, sagen die Kritiker. 50 Gramm Zucker, der Lebensmitteln zugesetzt wird, gestehen uns Ernährungsexperten am Tag zu, verzehrt wird jedoch das Doppelte.

Doch viele bekommen gar nicht mit, wie viel Zucker sie in sich hineinstopfen. Denn die Lebensmittelhersteller sind findig, wenn es darum geht, Zucker zu verstecken. Und sie haben dafür den Segen des Gesetzgebers. Denn Zucker taucht in der Zutatenliste – ganz legal – unter vielen Namen auf: als Saccharose (Haushaltszucker), Maltose (Malzzucker), Laktose (Milchzucker), Fruktose (Fruchtzucker), Glukose (Traubenzucker), Invertzucker (Fruktose-/Glukose-Gemisch), Dextrose, Maltodextrin oder Dextrine.

In der Zutatenliste muss stets der Stoff als erster genannt werden, der am stärksten vertreten ist. Die Vielfalt der Süßmacher sorgt aber dafür, dass bei vielen Lebensmitteln „Zucker“ erst am Ende der Liste auftaucht, obwohl sie in Wirklichkeit wahre Zuckerbomben sind. „Der Zucker rutscht nach hinten“, kritisiert Sophie Herr vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Ehrlicher sind da die Nährwerttabellen. „Dort wird der gesamte Zuckeranteil angegeben“, sagt Heidrun Franke, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Brandenburg. Auch Zutaten, die von Natur aus Zucker enthalten wie Honig, Rosinen oder Süßmolkepulver, tauchen hier auf, ebenso sämtliche Kalorien. Das Problem: Noch sind diese Angaben freiwillig. Erst ab dem 13. Dezember 2016 sind die Nährwerttabellen nach der EU-Lebensmittelverordnung gesetzlich vorgeschrieben. Im Bundesverbraucherministerium verteidigt man das Versteckspiel mit dem Zucker. „Die separate Auflistung der unterschiedlichen Zuckerarten im Zutatenverzeichnis ist grundsätzlich sinnvoll, da es beispielsweise sensiblen Menschen Hinweise auf Fruchtzucker gibt“, betont eine Sprecherin auf Anfrage.

WENIGER ZUCKER, GLEICHE KALORIEN

Was können Schlankheitsbewusste tun, um dem Dilemma zu entgehen? Die Idee: Wenn sich der Zucker versteckt, muss man Lebensmittel kaufen, die weniger Zucker oder gar keinen enthalten. Doch die Rechnung geht oft nicht auf. Denn statt des Zuckers treiben dann andere Stoffe die Kalorienzahl hoch.

Mehr Kalorien bringen die "zuckerfreien" Cookies mit im Vergleich zu normalen Keksen.
Mehr Kalorien bringen die "zuckerfreien" Cookies mit im Vergleich zu normalen Keksen.

© Mike Wolff

Beispiel: Müsli. 30 Prozent weniger Zucker enthält das zuckerreduzierte Schoko-Müsli der Firma Kölln. Dennoch spart man pro Portion gerade einmal drei Kalorien. Das liegt an den Frukto-Oligosacchariden – langkettige Mehrfachzucker, die Lebensmittel süßen, stabilisieren und als Füllstoffe dienen.

Beispiel: Kekse. In 100 Gramm der „zuckerfreien“ Choco Cookies aus dem Hause Coppenrath stecken sogar acht Kalorien mehr als in den „normalen“ Schokokeksen von De Beukelaer. Der Grund: Zwar ist der Zucker durch kalorienärmere Zuckeraustauschstoffe ersetzt worden, dafür haben die Cookies aber einen deutlich höheren Fettanteil, der für den nötigen Geschmack sorgt.

Fast gleich viele Kalorien haben beide Cappuccinos. Was an Zucker fehlt, wird durch Fett wieder ausgeglichen.
Fast gleich viele Kalorien haben beide Cappuccinos. Was an Zucker fehlt, wird durch Fett wieder ausgeglichen.

© Mike Wolff

Beispiel: Cappuccino. Auch hier dasselbe Spiel. Der „ungesüßte“ Kaffee von Krüger bringt fast ebenso viele Kalorien mit wie sein zuckerhaltiger Bruder. Was beim Zucker gespart wird, kommt über den höheren Fettanteil wieder zurück.

Ernährungsexpertin Franke wundert das nicht. Zucker ist nämlich nicht so leicht zu ersetzen. Denn Zucker süßt nicht nur, sondern gibt Lebensmitteln auch Struktur und Körper. Zucker stabilisiert und konserviert. Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit, Xylit oder Maltit können das nicht. „Hier muss man Füllmittel zusetzen, und die haben wieder Kalorien“, weiß die Verbraucherschützerin. Das gilt auch für Stevia. „Stevia bringt keine Masse“, sagt Janine Schlenker von der Stiftung Warentest. Doch das ist nicht der einzige Nachteil. Viele Menschen mögen den lakritzartigen Beigeschmack nicht, den Stevia hat. „Deshalb wird Stevia oft in Verbindung mit Zucker eingesetzt“, weiß Schlenker. Und auch das Dosieren fällt mit dem Supersüßer schwer.

EIN BISSCHEN ZUCKER

Was tun? „Ein bisschen Zucker darf schon sein“, findet Testerin Schlenker. „In Maßen ist Zucker in Ordnung“, findet auch Heidrun Franke von der Verbraucherzentrale Brandenburg. Kritischer als Zucker sieht Franke seinen kalorienfreien Ersatz, die Süßstoffe. Obwohl komplett kalorienfrei, sind sie sehr süß und werden daher gern in Kinderlebensmitteln eingesetzt. „Die Kinder werden frühzeitig an übertriebene Süße gewöhnt“, kritisiert Franke. Das verdirbt den Geschmack. Und, Achtung, auch Zuckeraustauschstoffe wie das von Nena gelobte Xylit sind nicht ohne: „Sie können in größeren Mengen abführend wirken“, warnt Schlenker.

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