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Der mächtigste Betriebsrat tritt ab: Osterloh wechselt bei VW die Seiten

Bernd Osterloh ist ein Machtfaktor bei VW. Nun wird er Vorstand der Lkw-Tochter. Mit Daniela Cavallo bekommt der Konzern erstmals eine Betriebsratschefin.

Berlin - Im Wolfsburger Zirkus sind schon viele vom Trapez gefallen. Große Namen waren dabei, Piëch und Pischetsrieder, Hartz und Winterkorn. Einer hat sie alle überlebt. Und ist aufgetreten wie der Zirkusdirektor. Betriebsratschef Bernd Osterloh entwickelte im Laufe der Jahre eine Robustheit, die er mit forschen bis rüden Auftritten zur Schau stellte. Ihm konnte oder wollte keiner am Zeug flicken. Auch nicht im extrem turbulenten Jahr 2015, als der oberste Arbeitnehmervertreter sich auf dem Höhepunkt der Dieselbetrugkrise vor den Vorstandsvorsitzenden stellte. Damals war Osterloh als Personalvorstand im Gespräch, doch die Großaktionäre aus den Familien VW und Porsche hatten Bedenken.

Nun kommt es eine Nummer kleiner: Der 64-jährige Osterloh, gelernter Industriekaufmann und seit 44 Jahren für Volkswagen tätig, kümmert sich künftig um das Personal der VW-Tochter Traton mit den Lkw-Marken MAN und Scania. „Wir werden mit Bernd Osterloh die vor uns liegenden Aufgaben bewältigen", ließ Traton-Chef Matthias Gründler am Freitag mitteilen, konkret die „fortlaufende Restrukturierung und künftige Ausrichtung von MAN“.

Gründler muss mit dem Neuzugang leben. Der VW- und Traton-Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch, wie Osterloh ein langjähriger Weggefährte und Vertrauter von Martin Winterkorn, hat die Personalie gemeinsam mit Konzernchef Herbert Diess beschlossen. Diess wird seinen größten Kritiker los, der auch im Aufsichtsrat eine wichtige Rolle spielte, und Osterloh ordnet ein Jahr vor der Betriebsratswahl die Nachfolge an der Betriebsratsspitze. Mit Daniela Cavallo, seit zwei Jahren seine Stellvertreterin, steht erstmals eine Frau an der Spitze der Arbeitnehmervertretung, die hierzulande die Interessen von 300 000 Beschäftigten vertritt. Er freue sich sehr auf die Zusammenarbeit mit Cavallo, teilte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil mit. „Sie ist durchsetzungsstark und sachorientiert, sie ist klug, und sie hat das richtige Gespür“, meinte Weil. Der SPD-Mann kennt sich aus, weil er als Vertreter des VW-Aktionärs Niedersachsens eine Schlüsselfunktion im Aufsichtsrat besitzt. Wenn sich Weil und die Arbeitnehmerbank zusammentun, können sie die Kapitalseite überstimmen.

Am 25. September 2015 war die Lage unübersichtlich. Der frühere IG Metall- Chef Berthold Huber leitete kommissarisch den Aufsichtsrat, seitdem Ferdinand Piëch („Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“) im Frühjahr das Mandat niedergelegt hatte. Huber plädierte an jenem 25. 9. mit Nachdruck für den Rücktritt Winterkorns, Weil schloss sich an, und nach viel Zaudern und Zögern auch Wolfgang Porsche. Osterloh hielt sich bedeckt, aber hätte gerne den von ihm hochgeschätzten „Wiko“, wie Winterkorn in Wolfsburg genannt wurde, vor den Folgen des Dieselgate gerettet. Aber da war nichts mehr zu retten.

Zehn Jahre zuvor war Osterloh im Zusammenhang mit einem anderen Skandal ins Amt gekommen: VW-Betriebsratschef Klaus Volkert musste 2005 wegen Luxus- und Lustreisen ebenso zurücktreten wie der damalige Arbeitsdirektor und Personalvorstand Peter Hartz. Osterloh rückte auf an die Betriebsratsspitze und legte sich bald mit VW-Markenvorstand Wolfgang Bernhard an: ein ähnlich forscher Typ wie Osterloh. Vorstandschef Bernd Pischetsrieder hatte den hochbegabten Bernhard eingestellt, nachdem der sich im Daimler-Vorstand mit Jürgen Schrempp überworfen hatte.

Piëch wiederum hatte Pischetsrieder 2002 nach Wolfsburg geholt, aber 2006 schoss er ihn wieder ab mit der Aussage in einem Interview, dass man den Konzern nicht gegen die Belegschaft führen könne. Piëchs Attacke war mit den Arbeitnehmervertretern ebenso abgesprochen wie der Nachfolger von Pischetsrieder: Martin Winterkorn. Es folgte eine überaus erfolgreiche Zeit – bis im Herbst 2015 der Dieselbetrug aufflog. Der Konzern wackelte. Eigentliche sollte Osterloh damals als neuer Arbeitsdirektor in den Vorstand wechseln. Doch die Familien Piëch und Porsche überlegten es sich anders: In schwerer Zeit, so das Kalkül, könne Osterloh als starker Betriebsratschef nützlicher sein denn als Vorstandsmitglied.

Selbstverständlich war Osterloh beteiligt, als vor drei Jahren der Winterkorn- Nachfolger Matthias Müller wegen chronischer Entscheidungssschwäche durch den früheren BMW-Manager Herbert Diess ersetzt wurde. Der zu Überheblichkeit neigende Diess knöpfte sich vor allem die renditeschwache Kernmarke VW vor, Osterloh hielt laut dagegen. Vor knapp einem Jahr sah es so aus, als würde Diess den Machtkampf nicht überleben, doch der Aufsichtsrat entzog ihm nur die Verantwortung für die Kernmarke. Die beiden Kontrahenten machten ihren Frieden – auch weil Osterloh die strikte Orientierung von Diess auf Elektroautos goutierte.

Am Freitag verabschiedete sich Osterloh mit viel Selbstlob aus dem Betriebsrat: „Alle die Jahre stand ich für einen klaren Kurs und unmissverständliche Aussagen.“ Im Kampf gegen den Übernahmeversuch von Porsche (2010) habe er ebenso in der ersten Reihe gestanden wie beim Einsatz für das VW-Gesetz, das die strategische Rolle von Niedersachsen sichert. Und selbstverständlich ist der Patron überzeugt von der Wahl seiner Nachfolgerin. Cavallo sei „führungsstark, empathisch und so strategisch denkend, dass sich viele noch wundern werden“, ließ sich Osterloh mit Blick auf Diess zitieren. Die 46-Jährige hat bei VW eine kaufmännische Ausbildung absolviert, qualifizierte sich weiter zur Betriebswirtin und wurde 2002 in den Betriebsrat gewählt. So bald als möglich soll sie Osterloh auch im Aufsichtsrat ersetzen.

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