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Wirtschaft: Fürsorgliche Belagerung

Die Belastungen für die Bürger werden 2007 wieder steigen. Das ist fatal für das Vertrauen der Verbraucher

Es geht nicht anders, stöhnt der Bundesfinanzminister. Die Erhöhung der Steuern ab Januar müsse sein, man wolle doch „Zukunft gewinnen“. Den Staat drückten 1500 Milliarden Euro Verbindlichkeiten, jammerte Finanzminister Peer Steinbrück jüngst im Parlament, das sei ein „unglaublicher Schuldenberg“. Auf 40 Milliarden Euro pro Jahr summierten sich allein die Zinsen, „von einer Entschuldung sind wir weit entfernt“. Obendrein, warnte der Sozialdemokrat, sei sein Etat 2007 „von Risiken umzingelt“.

Aber den meisten Bundesbürgern dürften Steinbrücks Argumente bekannt vorkommen. Mit bestechender Regelmäßigkeit werden sie von Finanzministern bemüht, wenn die Staatskassen wieder einmal leer sind. Dieses Mal steigen die Mehrwert- und die Versicherungssteuer, auch die Sozialversicherung wird teurer, und viele Vergünstigungen fallen weg. Noch 112 Tage bleiben den Deutschen bis zur größten Steuererhöhung in der Geschichte der Republik – dann wandern mindestens 23 Milliarden Euro extra von Bürgern und Firmen in die Staatskassen.

Zufrieden mit dem Finanzminister ist nur die EU. Das Verfahren wegen zu hoher Haushaltsdefizite wird ausgesetzt.

Bund, Länder und Kommunen greifen immer ungenierter zu. Noch 1960 mussten die Bürger nur moderate 41,2 Prozent ihres Einkommens für Steuern und Sozialabgaben berappen. Im kommenden Jahr werden es 52,2 Prozent sein – mit steigender Tendenz. Und in Einzelfällen ist die Belastung noch dramatischer. „Trotz der Steuersenkungen seit dem Jahr 2000 nimmt sich der Staat noch immer mehr als die Hälfte der erwirtschafteten Einkommen“, bilanziert Volker Stern vom Bund der Steuerzahler. Er hat ausgerechnet, wen der Fiskus im Laufe der Jahre am stärksten belastet hat. Ergebnis: „Bei fast allen Arbeitnehmern sind die Belastungen gestiegen – nur sehr hohe und sehr niedrige Einkommen wurden entlastet.“ Generell habe es bei der Steuer „eine Umverteilung von oben nach unten“ gegeben – trotz aller Reformen und Sozialkürzungen.

Ein wenig Milderung gab es nur durch die Senkung der Tarife seit dem Jahr 2000. Doch selbst diese Entlastung, von der rot-grünen Regierung als „größte Steuerentlastung der Geschichte“ gepriesen, wird bald aufgezehrt sein. Denn die indirekten Steuern, etwa die Tabak- oder die Mehrwertsteuer, wurden seit 1999 um 21,2 Milliarden Euro pro Jahr erhöht – das sind zwei Drittel der Entlastungen durch die Reform 2000. Hinzu kommt das, was Finanzexperte Stern „heimliche Steuererhöhungen“ nennt. Die Einkommen haben sich seit 1958 etwa verzehnfacht – wegen des progressiven Tarifs ist die Steuerbelastung der Bürger aber überproportional gestiegen. Folge: Durchschnittsverdiener zahlen heute Sätze, die ursprünglich für besser Betuchte gedacht waren. Bis 2001 hat sich der Staat stillschweigend über die Jahre 61 Milliarden Euro gesichert, die ihm im Prinzip gar nicht zustehen.

Neben den Steuern drücken den Bürger auch die Kosten der Sozialsysteme. So erhöhte der Staat nicht nur die Beiträge gegenüber 1970 um fast zwei Drittel. Er setzte auch die Höchstbeträge herauf, die von Besserverdienern zu zahlen sind – zwischen 1970 und heute um den Faktor neun.

Gleichwohl werden die Leistungen mit jeder neuen Reform gekürzt – etwa in der Krankenversicherung. Zuzahlungen zu Medikamenten, eine Praxisgebühr für Arztbesuche oder die Kosten für eine neue Brille müssen die Patienten, anders als früher, heute selber aufbringen. Mussten die Versicherten 1995 noch 42 Cent von jedem im System ausgegebenen Euro tragen, waren es 2004 schon 49 Cent, hat das Statistische Bundesamt ermittelt.

Auch Müllabfuhr, Stromlieferanten oder Wasserversorger halten die Hand auf. 1980 nahmen alle Dörfer und Städte in der Republik 6,7 Milliarden Euro an Gebühren ein. Bis 1995 verdreifachte sich das Aufkommen nahezu auf knapp 19,9 Milliarden – um seither wieder abzubröckeln. Das liegt aber nicht daran, dass die Betriebe sparsamer geworden sind, heißt es beim Deutschen Städtetag. Wegen der zunehmenden Privatisierung von Kommunalbetrieben würden deren Gebühren nur nicht mehr von der offiziellen Statistik erfasst, obwohl sie munter weiter klettern.

Doch trotz aller Einschnitte ist der Staat nicht auf hartem Sparkurs. Für alle Sozialleistungen, vom Kindergeld bis zur Witwenrente, hat der Staat im vergangenen Jahr 8436 Euro pro Einwohner ausgegeben. Im Jahr 2000 waren es noch 7850 Euro. Die Politiker waren großzügiger, als es die Verhältnisse erlaubt hätten: Seit 1960 ist das Bruttoinlandsprodukt um 1447 Prozent gewachsen – die Summe der Sozialausgaben aber um 2134 Prozent.

Dass trotzdem viele das Gefühl haben, mit immer weniger Geld auskommen zu müssen, hat mit Psychologie zu tun. „Es gibt eine asymmetrische Wahrnehmung bei den Leuten“, sagt Gustav Horn, Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Die durchaus beträchtlichen Steuersenkungen der vergangenen Jahre registrierten die Konsumenten nicht so aufmerksam wie höhere Lasten etwa durch die Ökosteuer. Schwerer aber wiege, dass die Löhne seit zehn Jahren weniger stiegen als die Produktivität. „Die Bürger haben real weniger in der Tasche, und sie merken, dass die Verteilung immer mehr zu ihren Ungunsten ausgeht.“ Das hinterlasse Spuren – etwa beim Konsum, der mittlerweile schwächer sei als im lange von Deflation gebeutelten Japan. Deshalb komme auch die Kaufnachfrage nicht in Fahrt. Ein Problem, das noch lange nachwirken wird, glaubt Horn. „Erst ein mehrere Jahre dauernder Aufschwung mit stärker steigenden Löhnen wird den Leuten das Vertrauen zurückgeben.“

Wer Kinder hat, muss seit jeher weniger Steuern zahlen und bekommt Kindergeld vom Staat. Zudem haben die verschiedenen Bundesregierungen – auch auf Druck des Bundesverfassungsgerichts – die Belastungen der Familien sowie der Geringverdiener gesenkt. Ein verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen hatte 1970 nur 30,6 Prozent an Steuern und Abgaben zu zahlen. 2005 war die Belastung auf 26,5 Prozent gesunken – der Abstand zum Single mit gleichem Einkommen hat sich damit über die Jahre verdreifacht. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird die Familien nicht überproportional belasten, sagen Ökonomen – die ermäßigten Steuersätze auf Lebensmittel sorgen für sozialen Ausgleich. Allerdings ist dieser Haushaltstyp Statistikern zufolge selten geworden.

Arbeiten beide Eltern, ist von einer Entlastung wenig zu spüren: Die Belastungsquote legte von 33,2 Prozent für 1970 auf 37,6 Prozent für 2005 zu – beim aktuellen Jahresverdienst von 40 500 Euro. brö

Seit dem Jahr 1970 steigen die staatlichen Belastungen für Alleinstehende generell – egal, ob sie normal oder deutlich mehr als der Durchschnitt verdienen. 1970 musste ein Arbeitnehmer ohne Kinder und mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen nur 38,1 Prozent seines Geldes dem Staat und den Sozialversicherungen überlassen. 2005 waren es – beim aktuell gültigen Durchschnittslohn von rund 27 000 Euro – bereits 48,9 Prozent. Bei Beschäftigten, die das Doppelte des Durchschnitts verdienen, stieg die gesamte Belastungsquote durch Steuern, Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungsbeiträge gar von 41,7 auf 56,2 Prozent.

Besonders ungeniert greift der Staat bei zusätzlich verdientem Geld zu – also etwa bei einer Lohnerhöhung: Für 500 extra verdiente Euro flossen im Jahr 1970 immerhin schon 48,3 Prozent an den Fiskus und die Sozialkassen. 2005 war die von Steuerexperten als Grenzbelastung bezeichnete Quote schon bei 62,2 Prozent angekommen. brö

Oft arbeiten beide Partner, wenn keine Kinder im Haus sind. Dann verdienen sie entsprechend gut, auch dank des Ehegattensplittings. Ein Paar, dessen Einkommen im Jahr 1970 dreimal so hoch wie der Durchschnitt war, musste damals 35,7 Prozent seines Geldes beim Finanzamt und bei den Sozialversicherungen abliefern. Bis 2005 summierten sich die Steuern und Abgaben eines solchen Paares auf insgesamt 52,3 Prozent des Bruttoeinkommens, das aktuell bei etwa 81 000 Euro liegt. Das ist schon ein leichter Rückgang gegenüber dem Ende der Neunzigerjahre – 1997 erreichte die Quote mit 54,9 Prozent den höchsten Wert nach dem Krieg.

Der Grund: „Eine zunehmende Umverteilung hat stattgefunden zwischen den Haushalten ohne Kinder und denen mit Kindern“, stellt der Bund der Steuerzahler fest. Der sogenannte Halbteilungsgrundsatz, den das Verfassungsgericht zeitweise postuliert hatte und der den Zugriff des Staates auf die Hälfte des Einkommens begrenzte, spielt bei den Juristen heute keine Rolle mehr. brö

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