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Griechen-Rettung: "Das ist doch nur eine Galgenfrist"

Immer neue Sparrunden zermürben die Griechen. Das soziale Netz ist dünn – viele stehen vor dem Elend.

Es ist noch früh, aber die Schlange ist schon lang vor der Geschäftsstelle der staatlichen Elektrizitätswerke im Athener Vorort Ano Glyfada. Ungeduldig warten die Menschen, dass die Schalter öffnen. Die meisten haben ihre Stromrechnung in der Hand. Wie Vyron Nikolopoulos. „Ich bin ein Opfer der Krise“, sagt der 72-Jährige. Er ist Rentner, wie viele hier. Sie könnten ihre Rechnung auch bei der Bank oder auf dem Postamt bezahlen. Aber sie haben nicht genug Geld. Sie wollen über einen Nachlass verhandeln. Oder einen Zahlungsaufschub.

825 Euro bekam Nikolopoulos vor der Krise im Monat. Jetzt sind es wegen der Rentenkürzungen nur noch 715 Euro. „Hier, sehen Sie“, sagt der Alte und zeigt zitternd die Stromrechnung: 326 Euro. Davon gehen 240 Euro auf das Konto der Immobilien-Sondersteuer, mit der die Regierung Haushaltslöcher stopfen will. Nikolopoulos bewohnt mit seiner Frau eine 60 Quadratmeter große Eigentumswohnung. Die Steuer wird mit der Stromrechnung eingezogen. Wer nicht zahlt, dem wird der Strom abgedreht. „Ich weiß nicht, wo ich das Geld auftreiben soll“, sagt der Rentner. „Wenn die uns den Strom kappen, erfrieren wir.“

Die Griechen im Jahr drei der Krise: ein gedemütigtes, verzagtes Volk, zermürbt von immer neuen Hiobsbotschaften. Weil die Wirtschaft schrumpft, steigen Defizit- und Schuldenquoten. Der Finanzminister zieht die Steuerschraube immer weiter an und streicht noch mehr Ausgaben.

Gerade wurde Griechenland vor der Pleite bewahrt, wieder einmal. „Das ist doch nur eine Galgenfrist“, sagt Evanthia Zigouli. Auch die 74-Jährige steht vor der Geschäftsstelle, um einen Zahlungsaufschub beim Strom zu erbitten. „Bei uns kommt von den Hilfsgeldern doch kein einziger Euro an.“ Sie bekommt 490 Euro Rente, 60 Euro weniger als früher.

Sie hätte wohl mehr Geld, wenn die Bürokratie effizienter arbeiten und nicht manche deren Schwäche ausnutzen würden. Mehr als 60.000 Phantomrentner gab es bis vor kurzem. Die meisten waren längst tot, Hinterbliebene kassierten weiter. Andere bezogen unter verschiedenen Namen mehrere Renten. Inzwischen seien die dubiosen Zahlungen eingestellt, sagt die Regierung.

Evanthia Zigouli kennt die Vorwürfe. „Alle schlagen jetzt auf uns ein, auf die ‚Betrüger‘ und die ‚Pleite-Griechen‘“, sagt sie verbittert. Bisher hat ihr Sohn sie unterstützt. „Aber seit vier Wochen ist er arbeitslos, der weiß jetzt nicht einmal, wie er seine Frau und seine beiden Kinder durchbringen soll.“

Mehr als jeder fünfte Grieche ist ohne Job. Im November kletterte die Arbeitslosenzahl erstmals über die Marke von einer Million. Nur jeder Dritte bekommt Arbeitslosengeld. Zu den Bedingungen, die an das neue Hilfspaket geknüpft sind, gehört die Senkung des Mindestlohns von 751 auf 586 Euro. Und die Löhne werden eingefroren, bis die Arbeitslosenquote unter zehn Prozent sinkt. Experten sagen: Das kann mehr als eine Dekade dauern.

Weil die Arbeitslosenhilfe an den Mindestlohn gekoppelt ist, sinkt sie von 461 auf 360 Euro. Sie wird maximal ein Jahr lang gezahlt. Eine Sozialhilfe oder Grundsicherung gibt es nicht. Im Laufe dieses Jahres werden deshalb mehr als 250.000 Menschen aus der Arbeitslosenhilfe herausfallen. „Auf uns kommt eine Lawine des Elends zu“, sagt Ada Alamanou. Sie arbeitet für die Hilfsorganisation „Klimaka“. Obdachlosigkeit gab es früher kaum. „Jetzt gibt es allein in Athen geschätzt 20.000 Menschen, die kein Dach mehr über dem Kopf haben.“

Was das bedeutet, ist in der Hauptstadt zu besichtigen. Immer häufiger begegnet man Menschen, die im Müll nach Verwertbarem wühlen. Der Radiosender „Skai“ ruft täglich zu Spenden auf, um Bedürftige mit Kleidung und Decken zu versorgen.

Welche Schicksale sich hinter den Statistiken verbergen, weiß auch Nikitas Kanakis von der Hilfsorganisation „Ärzte der Welt“, die Bedürftige in Krankenstationen kostenlos behandelt. „Wir sind mit einer humanitären Krise konfrontiert“, sagt der Zahnarzt Kanakis.

So weit, dass er um Essen betteln muss, ist Vyron Nikolopoulos noch nicht. Ihm fehlt nur das Geld für den Strom. Nach zwei Stunden tritt er aus der Filiale der Elektrizitätsgesellschaft. Die Rechnung hat er noch in der Hand, unbezahlt. „Die Angestellte war sehr verständnisvoll“, berichtet er. Aber viel Hoffnung hat sie ihm nicht machen können. „,Letztlich müssen Sie bezahlen‘, hat sie mir gesagt.“ Nur einen Aufschub hat Nikolopoulos herausgehandelt – eine Galgenfrist.

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