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Aufbruch und Stillstand. Die griechischen Fährschiffer verlängerten am Sonntag ihren Streik. Derweil entspannt sich die Lage der öffentlichen Finanzen.

© dpa

Griechenland: Frühling im Schuldenstaat

Die Haushaltssanierung in Athen kommt voran, die Märkte fassen langsam wieder Vertrauen – doch die Rezession lähmt das Land noch. Immer mehr Griechen leben an der Armutsgrenze.

In nur sechs Monaten als Chef des griechischen Finanzministeriums hat Giannis Stournaras geschafft, was seinen Amtsvorgängern seit zehn Jahren immer wieder missglückte: Erstmals seit 2003 hat Griechenland im vergangenen Jahr seine Haushaltsziele erreicht. Besser noch: Das Land hat die Vorgaben zum Defizitabbau sogar um 600 Millionen Euro übertroffen. Gegenüber dem Vorjahr konnte das Defizit um 31,1 Prozent zurückgefahren werden.

Noch deutlicher sind die Fortschritte der Haushaltskonsolidierung beim sogenannten Primärsaldo abzulesen. Er klammert den Schuldendienst aus und ist damit die aussagekräftigere Kennziffer für die Haushaltsführung. Hier war das Defizit sogar eine Milliarde geringer als veranschlagt. In diesem Jahr hofft Finanzminister Stournaras, erstmals seit Jahrzehnten einen kleinen Primärüberschuss ausweisen zu können. Das wäre ein wichtiges Signal an die Finanzmärkte.

Während noch Mitte vergangenen Jahres die Angst vor einem „Grexit“ umging, einem Ausscheiden (exit) Griechenlands aus dem Euro, setzen die Anleger jetzt auf „Grecovery“, die wirtschaftliche Erholung (recovery) des Landes. Abzulesen ist der Stimmungswandel vor allem an den Renditen der griechischen Staatsanleihen. Die Risikoaufschläge gehen stetig zurück. Wurde der im Februar 2023 fällige Bond noch im Mai 2012 zu einem Kurs von unter 14 Prozent gehandelt, notiert das Papier aktuell bei 55 Prozent des Nennwerts. Charles Dallara, der frühere Chef des internationalen Bankenverbandes IIF, glaubt, dass Griechenland früher als erwartet, nämlich schon 2014 statt 2016, an die Finanzmärkte zurückkehren könnte. Auch Panagiotis Thomopoulos, Präsident des griechischen Bankenrettungsfonds HFSF, ist zuversichtlich: „Zum ersten Mal seit Beginn der Krise sehen wir, dass Griechenland Vertrauen zurückgewinnt“, sagt Thomopoulos. „In einigen Monaten werden wir seriöse Investoren mit langfristigen Plänen gewinnen“, hofft der Banker.

Vertrauen gewinnt Griechenland nicht nur, weil die Euro-Partner inzwischen ein klares Bekenntnis zur Rettung des Landes abgegeben und weitere Hilfskredite freigegeben haben. Auch die relative politische Stabilität, die seit der Wahl vom Juni und der Bildung der von Antonis Samaras geführten Dreiparteienkoalition eingekehrt ist, sowie der Reformkurs der Regierung sorgen für Zuversicht. Jetzt gab es weitere positive Signale: In vier jüngst publizierten Meinungsumfragen liegt die konservative Nea Dimokratia von Samaras wieder vor der radikal-linken Oppositionspartei Syriza, deren Aufstieg damit einstweilen gebremst scheint. Finanzminister Stournaras äußert Zuversicht: 2013 sei das letzte Jahr der mittlerweile sechsjährigen Rezession, in der zweiten Jahreshälfte werde das Land die Talsohle durchschreiten, um 2014 zu einem stetigen Wachstum zurückzukehren: „Ich sehe Licht am Ende des Tunnels.“

Aber bevor es bergauf geht, geht es erst noch einmal weiter bergab. 2013 wird das griechische Bruttoinlandsprodukt erneut um 4,5 Prozent schrumpfen, so die Prognose der Regierung. Damit hat Griechenland seit Beginn der Krise bereits ein Viertel seiner Wirtschaftskraft eingebüßt. Kein Land Westeuropas hat seit Kriegsende eine so lange und tiefe Rezession durchgemacht. Für das erste Quartal 2013 erwartet die Athener Industrie- und Handelskammer 36 000 Insolvenzen – 400 pro Kalendertag.

Tiefe Spuren hinterlässt der wirtschaftliche Absturz auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote liegt bei fast 27 Prozent. Unter den bis 24-Jährigen sind sogar sechs von zehn ohne Job. Hinter der Statistik stehen menschliche Tragödien, gescheiterte Karrieren, zerstörte Lebensentwürfe. Weil das Arbeitslosengeld – 360 Euro – nur maximal ein Jahr gezahlt wird und es danach keinerlei Sozialhilfe oder Grundsicherung gibt, stehen von den 1,3 Millionen Arbeitslosen mehr als eine Million Menschen ohne Einkommen da – und ohne gesetzliche Krankenversicherung. Mehr als jeder fünfte Bewohner des Landes, so eine Statistik von Eurostat, lebt an der Armutsschwelle. 250 000 Bedürftige kommen Tag für Tag zu den Armenspeisungen der Kirche, weil sie nicht einmal mehr Geld für eine warme Mahlzeit haben. Über 50 000 Familien können die Stromrechnungen nicht mehr bezahlen, sie haben bei der Elektrizitätsgesellschaft Anträge auf Stundung gestellt.

Finanzminister Stournaras mag optimistisch sein. Die meisten Griechen sind es nicht. Im jüngsten Politbarometer, einer monatlichen Umfrage des Instituts Public Issue, sagen fast acht von zehn Griechinnen und Griechen, dass sie mit ihrem Leben unzufrieden sind. Und zwei Drittel glauben, dass sich ihre persönliche Situation 2013 weiter verschlechtern wird.

Auf zahllosen Demonstrationen und mit Streiks haben die Griechen ihrem Unmut bereits auf der Straße Luft gemacht. Zuletzt legten die griechischen Seeleute, die in der Küstenschifffahrt beschäftigt sind, ihre Arbeit nieder. Am Sonntag beschlossen sie, ihren seit vier Tagen andauernden Streik um weitere 48 Stunden zu verlängern. Sie protestieren damit gegen Personalmangel, Lohnkürzungen, ausstehende Bezahlung der Reedereien für geleistete Arbeit und hohe Arbeitslosigkeit. Betroffen sind vor allem Inseln, die keinen Flughafen haben. Sie sind praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Der internationale Fährverkehr zwischen Italien und Griechenland läuft dagegen normal, teilte die Küstenwache mit.

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