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Gefahr für die Versorgung? Auf den deutschen Zahnarzt-Markt drängen immer mehr Fremdinvestoren.

© Julian Stratenschulte/dpa

Immer mehr Fremdinvestoren im Geschäft: Gutachter sehen Gefahren für Zahnversorgung

Experten warnen vor immer mehr Fremdinvestoren in der Zahnversorgung. Zwei Gutachten kommen zu dem Befund, dass dadurch das Patientenwohl gefährdet ist.

In zwei dicken Gutachten warnen Experten vor negativen Auswirkungen von investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) auf die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland. Beide Studien – ein versorgungspolitisches Gutachten des Berliner IGES-Instituts und ein Rechtsgutachten von Helge Sodan, Staats- und Verwaltungsrechtler an der Freien Universität Berlin und Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht – kommen zu dem Befund, dass aufgrund einer „weiterhin dynamische Ausbreitung von iMVZ“ politischer Handlungsbedarf bestehe.

Die Gutachten zeigten „klar und nachvollziehbar, dass die von iMVZ ausgehenden Gefahren für die vertragszahnärztliche Versorgung trotz der Regelung im Terminservice- und Versorgungsgesetz fortbestehen“, sagte Wolfgang Eßer, der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), von der die Studien in Auftrag gegeben waren. Der Anteil der iMVZ an der Versorgung belaufe sich inzwischen auf mehr als ein Fünftel aller MVZ im zahnärztlichen Bereich. Dabei leisteten die investorengetragenen Zentren kaum einen Beitrag zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung, sie ließen sich gerade nicht in strukturschwachen und ländlichen Regionen nieder.

Während sich Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) „nahezu proportional zu den jeweiligen Bevölkerungsanteilen“ verteilten, zeige sich bei den investorenbetriebenen Zentren „eine deutliche Konzentration auf großstädtische Standorte, die sich durch eine überdurchschnittlich einkommensstarke sowie jüngere und weniger von Pflegebedürftigkeit betroffene Bevölkerung auszeichnen“, heißt es in der IGES-Studie. Dabei handle es sich „in den weitaus meisten Fällen um Planungsbereiche, die einen hohen zahnärztlichen Versorgungsgrad aufweisen“. Des weiteren zeige sich „nahezu durchgängig“, dass iMVZ höhere Umsätze generierten, die im Bereich von konservierend-chirurgischen Leistungen „vor allem aus Mengenausweitungen“ und beim Zahnersatz-Bereich aus einer Umsatzausweitung bei  Neuversorgungen resultierten. „Die These, dass iMVZ einen Beitrag zur Sicherung der zahnärztlichen Versorgung in ländlichen, strukturschwachen und von Unterversorgung bedrohten Regionen leisten ist zurückzuweisen.“

Gesetzliche Regelung bremst die Ausweitung bisher nicht

Dabei hatte Gesundheitsminister Jens Spahn mit dem im Jahr 2019 beschlossenen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) schon einmal versucht, die Ausweitung von zahnärztlichen Versorgungszentren zu begrenzen. Das Gesetz sieht unter anderem eine gestaffelte Beschränkung der Gründungsbefugnis von Krankenhäusern für solche MVZ vor. Entscheidend ist dabei dabei der Versorgungsgrad des jeweiligen Planungsbereiches. Neugründungen über Kliniken sind seither nur noch möglich, wenn ihr Versorgungsanteil im jeweiligen Planungssektor zehn Prozent nicht übersteigt. In überversorgten Regionen liegt die Quote sogar bei nur fünf Prozent, in unterversorgten sind 20 Prozent die Grenze. Ungeachtet dieser Regelung steige der Anteil investorengetragener MVZ jedoch weiter ungebremst an, klagen die Kassenzahnarzt-Funktionäre.

Eßer fordert, dass die mit dem TSVG eingeführte Regelung „passgenau fortentwickelt“ werden müsse. Auch darin erhält er Bestärkung durch die Gutachter. Die TSVG-Regelung beschränke „nicht den Versorgungsanteil, der insgesamt auf die Praxisform (i-)MVZ in Krankenhausträgerschaft entfällt“, betont die IGES-Studie. Theoretisch sei sogar immer noch „eine hundertprozentige Abdeckung der zahnärztlichen Versorgung durch (i-)MVZ mit Krankenhausgründern möglich, solange jedes einzelne Krankenhaus den gesetzlich eingeräumten Versorgungsanteil nicht überschreitet“, so die Autoren. „Vor dem Hintergrund der festgestellten Auffälligkeiten im Leistungs- und Abrechnungsgeschehen und den daraus resultierenden möglichen Risiken für die Versorgung sollten über das TSVG hinausgehende gesetzliche Maßnahmen in Betracht gezogen werden.“

„Gefahren für Patientenwohl und Versorgungsqualität“

Dieser Meinung ist auch der zweite Gutachter, Helge Sodan. „Die bisherige Rechtslage greift die Gefahren, die durch die Beteiligung von Investoren an der vertragszahnärztlichen Versorgung hervorgerufen werden, nicht oder nur ungenügend auf“, schreibt er. Aus der Beteiligung von Finanzinvestoren an der vertragszahnärztlichen Versorgung ließen sich „Gefahren für das Patientenwohl und für die Versorgungsqualität ableiten“. Grundlage für diese Prognose seien „Auffälligkeiten des Abrechnungsverhaltens von investorenbetriebenen zahnärztlichen MVZ im Vergleich zu Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften, Erfahrungen aus dem europäischen Ausland, Verlautbarungen von Finanzinvestoren oder diesen nahestehenden Beratungsunternehmen sowie die bisherige Entwicklung investorenbetriebener zahnärztlicher MVZ in der vertragszahnärztlichen Versorgung“. 

Das Abrechnungsverhalten von investorenbetriebenen zahnärztlichen MVZ lasse „im Vergleich zu demjenigen von Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften darauf schließen, dass in diesen Versorgungszentren eine renditeorientierte Behandlung der Versicherten erfolgt“.

Konkret gehe es vor allem darum, die Konzentration von iMVZ in urbanen, bereits gut bis überversorgten Regionen zu beschränken, betont KZBV-Chef Eßer. Außerdem sei es „zwingend notwendig, mehr Transparenz über die Eigentümer- und Beteiligungsstrukturen von iMVZ zu schaffen“. Dazu sollte aus der Sicht des Funktionärs ein verpflichtendes MVZ-Register geschaffen und in die Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte spezifisch auf MVZ zugeschnittene Eignungskriterien aufgenommen werden. „Angaben von gesellschaftsrechtlichen Eigentümerstrukturen auf Praxisschild und Website von MVZ müssen verpflichtend werden. Hierfür benötigen wir dringend entsprechende Rechtsgrundlagen.“

Union sperrt sich gegen MVZ-Register

Der Rechtswissenschaftler Sodan sieht das genauso. „Die Herbeiführung von Transparenz“, so schreibt er, „könnte einen erheblichen Beitrag zur Abwehr investorenspezifischer Gefahren für die vertragszahnärztliche Versorgung leisten“. Für die Erstellung eines zahnärztlichen MVZ-Registers bestehe „ein Bedürfnis“. Bereits existierende Register wie das Handelsregister oder das Transparenzregister seien „zur Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung sowie zur Beurteilung investorenspezifischer Gefahren nicht geeignet“.

Widerstand gegen die Register-Forderung kam bisher vor allem aus der Union. Ein solcher Überblick wäre, warnte deren Gesundheitsexperte Erwin Rüddel vor kurzem im Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health, „mit deutlichem bürokratischen Aufwand für die MVZs und die Selbstverwaltung verbunden“. Außerdem würde damit das eigentliche Ziel verfehlt: Als Eigentümer von MVZ tauchten dort dann nicht die Investoren auf, sondern nur die entsprechenden Trägerstrukturen wie zum Beispiel ein Krankenhaus. Man müsse einem solchen Register dann also auch noch die Eigentümerstrukturen aller deutschen Kliniken hinzufügen.

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