zum Hauptinhalt
Antiquierte Planung? Der CleanTech Business Park Berlin-Marzahn (Wolfener Straße) ist mit 90 Hektar das größte zusammenhängende Areal für produzierende Unternehmen in Berlin. Seit 2015 sollen sich hier in 22 Autominuten Entfernung vom Alexanderplatz große produzierende Unternehmen aus dem Bereich der umwelt- oder energierelevanten sauberen Technologien ansiedeln.

© Promo

Industriegebiete: Statt der Schornsteine rauchen nun die Köpfe

Berlin braucht weder Wohn-, Gewerbe- oder Industrieflächen, sondern eine Vision der Stadt der kurzen Wege. Ein Plädoyer für moderne Stadtentwicklung

Los Angeles war die perfekte Stadt des letzten Jahrhunderts. Alles hat hier seinen Platz, und zwar genau den richtigen: Die Angelenos wohnen nahe dem Meer oder auf den kühleren Hügeln, kaufen an schier endlosen Straßen ein, wo fast jeder Shop seinen eigenen Parkplatz hat, und arbeiten an den Rändern der Stadt, das gilt dort selbst für die Traumfabriken Hollywoods. Die einzelnen Gebiete sind in Los Angeles durch ein enges Netz von Highways miteinander verbunden, die Fläche der Stadt entspricht der des Bundeslandes Schleswig- Holstein.

Autooptimierte Städte wie Los Angeles standen Pate, als man in Berlin und anderswo nach dem zweiten Weltkrieg die Flächennutzungspläne (FNP) festlegte. Man wollte die Menschen dort, wo sie wohnen, vor Lärm und Gestank schützen und Firmen dort, wo sie produzieren, vor Beschwerden aus der Nachbarschaft. Die individuelle Mobilität ermögliche die Trennung konfligierender Nutzungen. Ein Industriegebiet erlaubt deshalb keinerlei Wohnen (und wenn es doch entsteht, muss es trotz Wohnungsnot abgeräumt werden – wie gerade auf dem Bayer Campus Wedding geschehen). Ein Wohngebiet wiederum erlaubt nicht einmal ein größeres Lager. Im sogenannten Baunutzungsplan (BNP) erfolgte 1960/61 die Gebietsfestlegung für das gesamte Stadtgebiet vom ehemaligen Westberlin. Sie gilt großteils noch bis heute.

Eine Weltstadt wie Berlin braucht urbane Gebiete mit Mischnutzungen

Seither ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Statt der Schornsteine rauchen in der urbanen Produktion mittlerweile die Köpfe. Individualverkehr ist kein Freiheitsversprechen mehr, sondern eine Bedrohung der Aufenthaltsqualität in der Stadt, unseres Klimas – und für jeden Fahrradfahrenden. Reine Schlafstädte wie die Gropiusstadt oder das Märkische Viertel standen in Berlin und anderswo lange für Segregation und nicht für Heimat oder Lebensqualität. Der Handel findet zunehmend weniger auf großen Flächen wie den Elektromärkten oder Kaufhäusern statt, weil gerade das Internet Vollständigkeit im Zweifel besser kann. Letztlich findet keiner Innenstädte gut, die nach Feierabend gespenstisch menschenleer werden.

Woanders bewundern wir gemischte Quartiere und urbane Gebiete, ehemalige Industriezonen, die sich in einer Mischnutzung gewandelt haben. Im Urlaub flanieren wir über stillgelegte Gütertrassen der High Line im ehemaligen Meatpacking District von New York, fotografieren uns in Brooklyns Dumbo, finden die Vermischung von Kunst, Wohnen und Start Ups rings um die Old Trueman Brewery und ihre ehemaligen Zulieferer in Shoreditch und Spitalfields im Osten Londons aufregend, oder lassen uns in Paris die dort propagierten 15-Minuten-Städte zeigen, also Orte in denen Wohnen, Arbeiten und Einkaufen immer fußläufig sind. Wieso geht das nicht zu Hause in Berlin?

Berlin war strukturell dem Ruhrgebiet vergleichbar

Berlin war Anfang des letzten Jahrhunderts eine Art Ruhrgebiet. Andere Metropolen wie Hamburg, Leipzig, Frankfurt und München definierten sich über Handel, die eng zusammenliegenden Städte Berlins produzierten dagegen, dass es nur so krachte. AEG, Siemens, Borsig und viele mehr machten Groß-Berlin zur „Elektropolis“ und ließen in der märkischen Provinz eine Weltstadt entstehen. Spätestens mit der Teilung der Stadt wäre das vorbei gewesen.

Viel Produktion wurde in Westberlin aber durch staatliche Zuschüsse gehalten, im Osten der Stadt spielten Bodenpreise und damit einhergehende Kosten ob des anderen Wirtschaftssystems keine Rolle. Mit der Wiedervereinigung war es mit den Subventionen vorbei. 1991 machte die industrielle Produktion Berlins laut Statistischem Bundesamt noch 25,9 Prozent der Wirtschaftskraft aus, heute sind es knapp 14 Prozent. Tendenz fallend.

„Aus irgendeinem Grunde glaubt Berlin, dass die Produktion zurückkommen wird und hält die ehemaligen Flächen frei“, staunte schon Gregor Gysi als er 2002 kurz Wirtschaftssenator unserer Stadt war. Die Wirtschaftsverwaltung bei ihm im Hause wachte damals wie heute über die im FNP und BNP ausgewiesenen Industrie- und Gewerbegebiete und verteidigt diese mit Zähnen und Klauen.

Sie weiß viele Wirtschaftsförderer in den Bezirken an ihrer Seite. Legitimerweise will man auf jeden Fall vermeiden, dass ob Mangel an Flächen Industrie und Handwerk aus der Stadt verdrängt werden. Die Sorge ist berechtigt, denn in Berlin wächst die Wirtschaft stärker als anderswo. Seit 2009 sind wir regelmäßig über dem Durchschnitt des Bundes, aktuell sind wir mit 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum selbst in der Krise an der Spitze.

Logistikimmobilien, die wie graue Schuhkartons aussehen, gehören der Vergangenheit an. Eine positive Wahrnehmung der Immobilie ist entscheidend für die Integration und Akzeptanz im Quartier.

© Foto: Verdion

Die Wirtschaft braucht also Platz – aber diesen sucht sie nicht in klassischen Industriegebieten. Mittlerweile dominiert nicht mehr Produktion, sondern Dienstleistung (von Gesundheit bis Tourismus) unsere Berliner Wirtschaft. Unsere verbliebenen, produzierenden Industrien stellen in der Regel keine Autos mehr her oder gerben Textilien, sie produzieren mehrheitlich Ideen. Und wenn doch, erfolgen Ansiedlungen vor den Toren der Stadt und nicht in den hierfür vorgehaltenen Industriegebieten (siehe dazu auch den Beitrag über Logistikimmobilien auf der folgenden Seite). Dort tummeln sich stattdessen Gebrauchtwarenhändler.

Das im Bauplanungsrecht vergleichsweise neue „Urbane Gebiet“ wäre für Berlin ideal

Egal ob New York, London, Paris oder Berlin – die größte, produzierende Branche heißt jeweils Kultur und Kreativwirtschaft und das sowohl was Umsatz als auch was Beschäftigung angeht. Sie findet man in der Regel nicht an der Autobahnausfahrt neben einer Schutthalde, sondern mitten im Leben, so wie man das in Williamsburg, Brooklyn, Spitalfields, Shoreditch oder eben im Meatpacking District erleben kann. Das Konzept des „Urbanen Gebiets“ wäre auch in Berlin ein Bringer. Es ermöglicht die Verschränkung von Gewerbe, Industrie, Kultur (somit auch Clubs) und Wohnen. Die Idee ist laut § 6a BauNVO, dass „urbane Gebiete ... dem Wohnen sowie der Unterbringung von Gewerbebetrieben und sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen, die die Wohnnutzung nicht wesentlich stören“, dienen.

Es geht um die Wiederherstellung einer städtischen Struktur

In den vorgehaltenen Industriegebieten sind Nutzungen der Kultur- und Kreativwirtschaft nur eingeschränkt zulässig. Flächenkonversionen bedürfen einer Änderung des jeweiligen Bebauungsplans und dagegen stemmt sich die Wirtschaftsverwaltung. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen hat demgegenüber mit dem Wohnungsbau eine in der wachsenden Stadt brandaktuelle Agenda. Aus gutem Grund drängt man deshalb – wo immer es geht – auf Umwandlung von Gewerbe- und Industriegebieten zu Gunsten einer Wohnnutzung. Das, was eine Weltstadt wie Berlin braucht, liegt aber gezielt dazwischen. Es ist das „Urbane Gebiet“.

Manchmal trauen wir uns bereits etwas: So entstehen in der Siemensstadt 2.0 und in dem Neuen Gartenfeld (beides Spandau) sowie im Georg-Knorr-Park (Marzahn) gemischte Quartiere. Das sieht dann so aus, dass man auf einem ehemaligen Industrieareal Wohnen, Flüchtlingsunterkünfte, aber auch Handwerksbetriebe (in Form einer so genannten Meistermeile) miteinander verschränkt, wie zum Beispiel in den Marienhöfen (Tempelhof-Schöneberg). Mit wenig Versiegelung gelingt das, indem man sich traut, vertikal zu denken und in die Höhe zu bauen. Selbst Handwerksbetriebe haben keine Angst vor mehrstöckigen Gebäuden – Lastenaufzüge haben sich schon lange bewährt.

Um was es geht, ist nicht mehr oder weniger als die Wiederherstellung einer normalen, städtischen Kultur und Struktur. Erst durch den Siegeszug des Autos wurde die Trennung zwischen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Erholen vollzogen. Sie ist unlogisch, ineffizient und heutzutage eigentlich auch unnötig.

Die Planung der autogerechten Stadt war ein Fehler

Die „Autogerechte Stadt“ war ein Irrweg und auch die klassische Industrieproduktion hat sich deutlich verändert. Automatisierung führte dazu, dass weniger Menschen in der Produktion arbeiten und deshalb Ballungsräume für sie gar nicht notwendig sind. Just in Time-Produktion ermöglichte, dass rings um Fabriken kein enges Cluster an Zulieferern entstehen muss, der Platz also anders genutzt werden kann. Jahrhunderte zuvor war alles zusammen – nur der Köhler musste vor der Industriellen Revolution ob seiner Emissionen ab in den Wald.

In Berlin wurde meist im Vorderhaus gewohnt und im Hinterhaus gearbeitet. Das Modell ist immer noch attraktiv, denn die Produktion heute stinkt und kracht nicht mehr, sondern sprudelt vor Ideen.

Lasst uns für unsere Stadt der Zukunft von der Vergangenheit und anderen Metropolen lernen!

Mathias Hellriegel ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Tim Renner ist Musikproduzent und SPD-Politiker. Beide arbeiten in Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false