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Dachgeschosswohnungen in Berlin (Symbolbild)

© imago/Seeliger

Ausbau lindert Wohnungsnot in Berlin nur bedingt: Neue Dachgeschosswohnungen scheitern an Aufstellfläche für Feuerwehr

Neue Dachgeschosswohnungen sind Teil der Lösung bei der Bekämpfung des Wohnungsmangels in Berlin. Viele Genehmigungen scheitern aber am Veto der Feuerwehr.

Die Wohnung liegt in einem Haus mit Jugendstil-Fassade, im fünften Stock zwar nur, aber trotzdem geschätzt mindestens 20 Meter hoch. Das Haus hat einen Vorgarten, es liegt an einer Straße mit Kopfsteinpflaster, mächtigen Bäumen mit ausladenden Kronen und Gaslaternen zwischen den Stämmen. Eine vornehme Adresse in einer Seitenstraße in Tempelhof, der Bose-Park liegt gleich daneben.

Eine von vielen tausend Dachgeschosswohnungen in Berlin. Sie sind Teil der Lösung bei der Bekämpfung des Wohnungsmangels in der Hauptstadt. Aber dieses Potenzial wird nach Ansicht der Eigentümerschutzgemeinschaft „Haus & Grund“ viel zu wenig genützt.

Kai H. Warnecke, der Präsident von „Haus & Grund“, erklärte kurz vor der Bundestags- und Berlin-Wahl in einem vom Tagesspiegel moderierten Streitgespräch mit Kevin Kühnert, dem früheren Juso-Chef und jetzt stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD: „In Berlin könnten in Dachgeschossen 40 000 bis 80 000 neue Wohnungen innerhalb des S-Bahn-Rings entstehen. Das würde die Wohnungsprobleme in Berlin lösen. Die könnte man günstig bauen. Zum Beispiel wenn die alten, zu kurzen Feuerwehrleitern durch längere ersetzt würden, gäbe es keine Probleme mit teuren Rettungswegen. Das würde die Baukosten um bis zu 20 Prozent senken.“

Auf eine spätere Nachfrage rückte „Haus & Grund“ von dieser konkreten Zahl aber wieder ab. „Die Gesamthöhe der ersparten Baukosten ist kaum zu berechnen, da die Baukosten einer Dachaufstockung im Bestand sehr unterschiedlich sind“, sagte Matthias zu Eicken, Referent für Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik bei „Haus & Grund“.

Es sei jedoch „allgemein anerkannt, dass die bauliche Herstellung eines zweiten Rettungsweges über ein zusätzliches Treppenhaus oder einen Sicherheitstreppenraum ein erheblichen Teil der Gesamtkosten ausmacht und somit ein Kostentreiber beim Dachausbau ist“.

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Im vergangenen Jahr seien „laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg insgesamt 2382 Wohnungen infolge von Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden, zum Beispiel Dachgeschoss-Ausbauten oder Umnutzung, genehmigt worden“, sagte zu Eicken. „Das sind 14,1 Prozent weniger als 2019.“ Umnutzung bedeutet zum Beispiel: Eine ehemalige Arztpraxis ist zur Wohnung geworden oder eine ehemalige Sechs-Zimmer-Wohnung ist in zwei Wohnungen aufgesplittet worden, jede drei Zimmer groß. Die Zahl 2382 bezieht sich also nicht allein auf Dachgeschoss-Wohnungen. Die Zahl dieser Wohnungen wird vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg nicht separat erhoben.

Zahl der Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden ist 2021 bisher rückläufig

Für 893 weitere Wohnungen seien in Berlin für das erste Halbjahr 2021 Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden genehmigt worden, sagte zu Eicken. „Das sind 25,3 Prozent weniger als im 1. Halbjahr 2020.“ Aber: Die Länge der Drehleiter sei ja nur ein Problem, ergänzte zu Eicken. „Dabei geht es ja nicht nur um die reine Leiterlänge. Die Feuerwehrfahrzeuge in Berlin benötigen in der Breite viel Aufstellfläche. Hier kann die Stadt durch die Anschaffung von Fahrzeugen mit geringerer Aufstellbreite den Bedarf an wertvoller Aufstellfläche verringern. Das ist eine Frage der Anschaffungspraxis.“

Die Stadt sollte öffentlichen Straßenraum als Feuerwehraufstellfläche ausweisen. Eigentümer hätten auf den in Berlin häufig Blockrand-bebauten Grundstücken in der Regel gar nicht mehr die Aufstellfläche für die Feuerwehr zur Verfügung. Hinzu käme auch die Genehmigung eines adäquaten Baumschnittes, der sicherstelle, dass die Leiter der Feuerwehr das Dachgeschoss überhaupt erreichen könne.

Ist also die Feuerwehr-Ausstattung ein Kern zur Lösung des Berliner Wohnungsproblems? Längere Drehleitern oder Fahrzeuge, die zum Löschen weniger Platz benötigen, schon gibt’s mehr Dachgeschosswohnungen?

Das Problem bei Dachgeschosswohnungen sind fehlende Aufstellflächen für die Feuerwehr

So einfach ist es nicht. „Das Problem beim Dachgeschossausbau ist nicht die Höhe des Gebäudes oder die Länge der Drehleiter“, sagt Thomas Kirstein, Sprecher der Feuerwehr, ein Mann mit jahrzehntelanger Erfahrung. „Das Problem ist ganz oft, dass wir im öffentlichen Raum nicht genügend Aufstellflächen für unsere Fahrzeuge haben.“

41 Drehleiter-Fahrzeuge besitzt die Berliner Feuerwehr. Jede Leiter ist ausgefahren 31 Meter hoch, das ist aber ein rein theoretischer Wert. Bei einer Entfernung der Leiter zur Hauswand beträgt die geforderte Rettungshöhe der Norm 23 Meter. „Wir benötigen mindestens drei Meter Abstand zur Hauswand, um die Leiter überhaupt in Stellung bringen zu können“, sagt Kirstein, „aber auch das ist ein fast theoretischer Wert, weil wir in der Praxis so gut wie nie so nahe an eine Hauswand heran kommen.“ Gehwege oder andere Flächen verhinderten das.

Ein Drehleiterfahrzeug benötigt eine Fläche von 5,50 mal elf Metern

Ein Drehleiter-Fahrzeug benötigt als Aufstellfläche 5,50 Meter Breite und elf Meter Länge. Damit beginnt das Problem. „Wenn ein Radweg zwischen Straße und Hausfassade läuft, fehlen zwei Meter, die wir überwinden müssen“, sagt Kirstein. „Und schon sind wir wegen unserer Technik eingeschränkt.“

Derzeit sind viele neue Radwege geplant, die mit Pollern begrenzt werden. Sollten diese Poller fest installiert werden, hat die Feuerwehr das Nachsehen. Nur, wenn man sie herausziehen kann, dann kann auch die Feuerwehr die Radfläche nützen.

Sollten die Radwege aber durch flache, wenige zentimetergroße Plastikbegrenzungen markiert sein, bedeutet das für die Feuerwehr schon ein unüberwindliches Hindernis. „Wir überfahren diese Plastikbegrenzungen nicht, weil die Technik der Drehleiterfahrzeuge so sensibel ist, dass die Gefahr besteht, die Schläuche oder Technik könnten zerstört werden.“

Deshalb sagt Kirstein auch: „Überall dort, wo wir eine Aufstellfläche von 5,50 mal elf Metern haben, kann jeder ein Dachgeschoss bauen. Wir prüfen nur, ob wir leistungsfähig bleiben und ob wir an die Hauswand kommen. Aber das ist der große Kampf in einer dichtbesiedelten Stadt wie Berlin.“

Längere Drehleitern lösen keine Probleme

Es gibt durchaus Fahrzeuge, die jeweils eine Drehleiter von 42 Meter Länge mit sich führen. Theoretisch könnte die Berliner Feuerwehr solche Lastwagen kaufen, obwohl schon ein Fahrzeug mit 23 Metern Leiterlänge bereits mindestens 600 000 Euro kostet. Aber eine längere Leiter löst in Berlin kein Problem. „So ein Fahrzeug benötigt ebenfalls eine Aufstellfläche von 5,50 Metern mal elf Metern“, sagt Kirstein. „Vor allem aber ist so ein Fahrzeug viel größer und schwerer und schwerfälliger als ein Fahrzeug mit einer 23-Meter-Leiter.

Es gibt Seitenstraßen, zum Beispiel in Friedenau, die so eng sind, dass wir schon mit den jetzigen Modelltypen Probleme haben reinzukommen. Und mit einem noch größeren und schwerfälligeren Fahrzeug wären natürlich auch die Probleme noch größer als jetzt schon.“ Vor allem ginge dann auch wertvolle Zeit verloren.

Zudem ist ja gar nicht gesichert, dass so eine extrem lange Drehleiter jederzeit zur Verfügung stünde. Was wäre denn, wenn sie repariert würde? Oder bei einem anderen Einsatz wäre? „Wir müssen immer die Drehleiter berechnen, die den schlechtesten Wert hat“, sagt Kirstein, wir müssen davon ausgehen, dass nur sie am Tag X zum Einsatz kommen kann.“ Also orientiert sich alles an den Möglichkeiten einer 23-Meter-Drehleiter.

Fahrzeuge, die weniger als 5,50 Meter Breite und elf Meter Länge als Aufstellfläche benötigen, sind auch keine Lösung. „Solche Fahrzeuge“, sagt Kirstein, „haben eine geringere Leistungsfähigkeit. Mit denen können wir, je nach Abstand zur Hauswand, nur in Ausnahmefällen die Drehleiter auf 23 Meter ausfahren.“

Senatsverwaltung entwickelt Kommunikationsformate mit der Feuerwehr

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen sieht das Problem natürlich auch. „Hinsichtlich sich ändernder Straßenverkehrssituationen, etwa den Fahrradwegeplanung, entwickelt die Senatsumweltverwaltung gerade Kommunikationsformate mit der Feuerwehr, damit Umgestaltungen des öffentlichen Straßenraums möglichst wenig mit der Anleitermöglichkeit der Feuerwehr kollidieren“, sagt Katrin Dietl, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

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Doch der in Berlin praktizierte Verzicht auf einen Stellplatznachweis trage sicher zur Erleichterung des Ausbaus von Dachgeschosswohnungen bei, „wenn auch mehr als Folge und nicht als Motiv der Abschaffung der allgemeinen Stellplatzpflicht“, sagte Dietl. Auch die finanzielle Förderung von Aufzugsanlagen beim Bau von Dachgeschoss-Wohnungen helfe, die Wohnungssituation zu entspannen.

Die ehemalige Flughafenfeuerwehr in Tegel hat im Übrigen sogar ein Fahrzeug mit einer 42-Meter-Drehleiter. Allerdings war die für einen ganz besonderen Einsatzort gedacht: den Fluglotsen-Tower. Dort gab es keinen zweiten Rettungsweg. Für den BER wird das Fahrzeug mit der enorm langen Leiter freilich nicht mehr gebraucht. Dort besitzt der Tower zwei Fluchtwege.

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