zum Hauptinhalt
Düstere Zeiten für die Innenstädte. Die Kunden bleiben infolge der Pandemie aus.

© picture alliance/dpa

Verödung der Innenstädte: Vor der neuen Steinzeit

Grüne und Verbände dringen auf zusätzliche Unterstützung der Einzelhändler

Corona hin oder her: Auch in diesem Jahr werden die Verbraucher für das Weihnachtsfest wieder tief in die Tasche greifen. Doch profitieren dürfte vor allem der Onlinehandel. Viele Innenstadt-Händler kämpfen dagegen ums Überleben. Nach Einschätzung der Deutschen Pfandbriefbank werde die Pandemie „mit einiger Zeitverzögerung zu gravierenden Anpassungen auf den Immobilienmärkten führen“, so Vorstandschef Andreas Arndt. Hauptsorgenpunkte seien Retail (Einzelhandel) und Hotels (siehe dazu die nächste Seite). Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland HDE, Stefan Genth, rief am Mittwoch dazu auf, das „Horrorszenario verödender Innenstädte“ gemeinsam zu verhindern. Die Bundesregierung müsse die Novemberhilfe und Überbrückungshilfen „jetzt scharf stellen“. Bis zu 50000 Geschäfte seien in ihrer Existenz gefährdet, warnte er.

Knapp 60 Prozent der Innenstadthändler sehen sich in Existenznöten, wie aus einer Umfrage des Branchenverbands HDE unter mehr als 500 Unternehmen hervorgeht. "Sinkende Umsätze und geringe Kundenzahlen bringen immer mehr Händler in finanzielle Schieflage." Die Umsätze im innerstädtischen Einzelhandel verharrten demnach auch in der zweiten Novemberwoche - mit einem Einbruch von durchschnittlich 43 Prozent - auf einem Niveau weit unter den Vorjahreswerten.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert vom Bund ein Sofortprogramm gegen die Verödung der Innenstädte. Bund und Länder sollten deshalb einen Innenstadtfonds auflegen. Die Städtebaufördermittel des Bundes müssten von derzeit 790 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr aufgestockt werden. „Der stationäre Handel kämpft ums Überleben. Der Standort Deutschland kann und darf sich keine verödeten Innenstädte leisten“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg.

Die Grünen forderten am Mittwoch (11. November 2020) längerfristig angelegte Maßnahmen wie ein neues Gewerbemietrecht.

Auch der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), Spitzenverband von rund 37000 Immobilien-Unternehmen, befürchtet eine Verödung der Innenstädte. „Je länger die Pandemie dauert, desto mehr Lücken werden in den Fußgängerzonen entstehen“, sagte ZIA-Präsident Andreas Mattner. „Irgendwann werden die Hilfsgelder und Kurzarbeitergelder aufgebraucht sein.“ Wenn es zu weiteren „Lockdowns“ komme, gebe es eine Insolvenzwelle, „die unsere Innenstädte zurück in die Steinzeit katapultieren“ werde.

In vielen Einkaufsstraßen herrscht in diesen Wochen gähnende Leere. Die Schließung von Kneipen, Restaurants, Kinos, Theatern und Fitnessstudios lässt auch die Besucherzahlen in Modeläden, Buchhandlungen und Elektronikmärkten schrumpfen.

Neuvermietungen sanken in Deutschland um 40 Prozent

Einer Untersuchung des international tätigen Gewerbeimmobilienmaklers Jones Lang LaSalle (JLL) zufolge ging der Vermietungsumsatz in den ersten drei Quartalen dieses Jahres im Berliner Einzelhandel im Vergleich zum Vorjahr mit 24 Prozent um fast ein Viertel zurück. Deutschlandweit habe sich die Quote, die anzeigt, welche Flächen in der Top-1a- Lage über die kommenden 18 Monate hinaus noch nicht vergeben sind, sich im Umbau befinden oder real leer stehen, verdoppelt. Die Quote hatte seit Einführung 2018 konstant bei rund sieben Prozent gelegen. Nun liegt sie bei etwa 14 Prozent.

Noch deutlicher wird der Einfluss des Shut- und des Lockdowns und der nachgeschalteten notwendigen Abstands- und Hygiene-Maßnahmen auf den Vermietungsmarkt der Einzelhändler allerdings im bundesweiten Kontext, wo sowohl die Vermietungszahlen als auch das Volumen um rund 40 Prozent im Vorjahresvergleich gesunken sind. Dies errechnete mit Blick auf die ersten drei Quartale der Immobiliendienstleister BNP Paribas Real Estate.

50000 Geschäfte existenzgefährdet

Besonders für den Bekleidungshandel sei die Lage „sehr dramatisch“, warnt der Präsident des Handelsverbandes Textil (BTE), Steffen Jost. In den ersten Tagen der verschärften Corona-Regeln seien von den Geschäften Umsatzeinbrüche von bis zu 80 Prozent gemeldet worden. Jost, der selbst fünf Modegeschäfte betreibt, malte ein düsteres Bild: Es drohe ein erhebliches Ladensterben. „Das Gesicht vieler Städte wird sich massiv verändern. Manche Innenstädte wird es unter Umständen nicht mehr geben.“

Dabei ist die Konsumstimmung in Deutschland eigentlich gar nicht so schlecht. Trotz Corona rechnet der HDE in diesem Jahr im Weihnachtsgeschäft mit Umsätzen von rund 1,4 Milliarden Euro. Das entspräche einem Plus von 1,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Nach einer repräsentativen HDE-Umfrage wollen die Bundesbürger in diesem Jahr pro Kopf ähnlich viel für Weihnachtsgeschenke ausgeben wie 2019: nämlich rund 245 Euro pro Kopf. Doch dürfte ganz anders eingekauft werden als noch vor einem Jahr. Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) gab an, sie werde in diesem Jahr „wegen der Coronakrise seltener für Weihnachten einkaufen gehen“. Und immerhin 44 Prozent kündigten an, sie würden die „Weihnachtseinkäufe verstärkt online tätigen“.

Mit guten Geschäften rechnen der Umfrage zufolge auch Möbelhändler, Baumärkte und der Lebensmittelhandel.

Noch scheinen die meisten Verbraucher derzeit beim Shoppen ganz etwas anderes im Kopf zu haben, als die Weihnachtsgeschenke für ihre Liebsten. Schon vor dem jüngsten Herunterfahren begannen sie nach einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes damit, sich erneut mit Toilettenpapier, Desinfektionsmitteln, Mehl, Hefe und Zucker einzudecken. In den letzten beiden Oktoberwochen wurde nach Angaben der Statistiker rund doppelt so viel Klopapier gekauft wie im Durchschnitt der Vorkrisenmonate August 2019 bis Januar 2020.

Der November ist für das Weihnachtsgeschäft so wichtig wie der Dezember. (mit dpa und epd)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false