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Pandemie und Shutdowns haben dem Berliner Büroimmobilienmarkt 2020 zugesetzt. Der Stabilität der Mieteinnahmen kommt eine entscheidende Rolle zu. Die höhere Risikoaversion der Investoren trifft auf steigende Risiken an den Nutzermärkten. 

© Kai-Uwe Heinrich / Tsp

Einschränkungen im Lockdown: Versprechen darf man nicht brechen

Das Coronavirus berührt die Geschäftsgrundlage von Gewerbemietverträgen.

Von Frank Stollhoff

Die Pandemie trifft den deutschen Gewerbeimmobilienmarkt. Im Corona-Jahr 2020 ist in deutschen Großstädten die Vermietung von Büroflächen deutlich zurückgegangen. Drei von vier Gastronomen und Hoteliers bangen aktuell um ihre Existenz. Umzugspläne und Flächenanmietungen werden zurückgestellt. Man kann auch anders arbeiten, auch im Homeoffice. Nach Angaben von Jones Lang LaSalle (JLL) war 2020 im Vergleich zu 2019 ein Rückgang der Bürovermietungen in Berlin und München von 25 Prozent (Frankfurt a. M. 42 Prozent) zu verzeichnen. Je länger der Lockdown, desto weniger Vermietungen – für wen und von wem auch immer.

Die staatlichen Corona-Hilfen (so sie die Betroffenen überhaupt erreichen) und die – volkswirtschaftlich sehr zweifelhafte – Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht haben bislang wenig Wirkung gezeigt. So schritt der Bundestag zur Tat und beschloss Mitte Dezember zwei Neuregelungen für Gewerbemietverhältnisse. Anfang Januar traten sie bereits in Kraft.

Bei Mietverträgen über Gewerberäume (z.B.: Friseursalons, Sportstudios, Hotels und Restaurants, Lager- und Büroräume) gilt nun im BGB eine festgeschriebene Vermutung des Gesetzgebers. Diese besagt, dass staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie die Geschäftsgrundlage des Gewerbemietvertrages berühren. Dies vermutet das BGB neuerdings immer dann, wenn die Mietfläche durch staatliche Maßnahmen für den Betrieb des Mieters nicht mehr verwendbar ist oder nur noch mit erheblichen Einschränkungen verwendet werden kann. Man denke nur an die angeordneten Betriebsschließungen im Einzelhandel.

So erscheint es zunächst nur gerecht zu sein: Im Lockdown sollen von der Pandemie unmittelbar betroffene Gewerbebetriebe dann auch nicht mehr die vereinbarte Gewerbemiete zahlen müssen. Der Mieter soll vom Vermieter vielmehr eine „Anpassung“ des Vertrages verlangen können. Das ist unter dem Strich  eine Reduktion oder der Erlass der vereinbarten Miete. Auch eine vorzeitige Kündigungsmöglichkeit des Mieters für den Gewerbemietvertrag kann im äußersten Fall eine „Anpassung“ sein – selbst dann, wenn eine lange Laufzeit vereinbart wurde. Neben den anderen staatlichen Hilfen, neben Kurzarbeitergeld und der befristeten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sollen Gewerbebetriebe so in der Pandemie entlastet werden. Die Pandemie betrifft alle und ihre Folgen sollen daher auch alle tragen. So geht soziale Marktwirtschaft. Wirklich?

Die neue gesetzliche Regelung ist nur in Teilen eine Neuregelung

Im BGB gibt es den strikten Grundsatz, dass Verträge unbedingt einzuhalten sind. Das Versprechen darf man nicht brechen. Darauf basiert unsere Wirtschaftsordnung. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage mit dem Recht zur Anpassung eines fest geschlossenen Vertrages ist eine eng gefasste Ausnahme. Das BGB formuliert – dies gilt nach der Neuregelung weiterhin – drei strenge Voraussetzungen dieses Anpassungsrechts:

Es muss eine schwerwiegende Veränderung von Umständen geben, die für beide Parteien Grundlage des vorher geschlossenen Vertrages waren. Hätten die Parteien diese Umstände gekannt, hätten sie den Vertrag gar nicht oder ganz anders abgeschlossen. Allein das Vorliegen dieser ersten Voraussetzung wird jetzt bei pandemiebedingten Betriebsschließungen zugunsten des Gewerbemieters vermutet. Das sah die Rechtsprechung im Gewerbemietrecht aber auch schon zu früheren Zeiten so: Der neuen gesetzlichen Regelung bedurfte es daher gar nicht. Die anderen zwei Voraussetzungen des Anpassungsrechts regelt das neue Gesetz nicht. Und das ist gerade das Problem.

Es darf nämlich kein Risiko eintreten, dass eine Partei nach dem Vertrag allein zu tragen hat. Im Gewerbemietrecht gibt es immer eine vertraglich klar vereinbarte Risikoverteilung. Das Betriebsrisiko des Gewerbetriebs und das Verwendungsrisiko für die Mieträume trägt immer der Gewerbemieter. Dies muss in unserer Wirtschaftsordnung auch so sein. Der Gewerbetreibende nimmt sein wirtschaftliches Schicksal selbst in die Hand. Je besser diese Hand agiert, desto größer ist der wirtschaftliche Erfolg. Die Kehrseite ist das Risiko, dass sich bei Nichterfolg für den Gewerbetreibenden realisiert.

Eine Existenzgefährdung eines Betriebs ist ohne Einzelfallprüfung nicht belegt

Die dritte Voraussetzung eines Vertragsanpassungsrechts ist: die absolute Unzumutbarkeit der unveränderten Fortführung des Vertrages, das heißt die Existenzgefährdung des Gewerbemieters. Auch hier hilft die neue gesetzliche Vermutung nicht. Der Gesetzgeber vermutet eben nicht – und das geht auch ohne Einzelfallprüfung auch gar nicht –, dass die wirtschaftliche Existenz des Gewerbemieters durch die pandemiebedingten Betriebsschließungen gefährdet ist.

Das Corona-Jahr hat den stationären Einzelhandel nach Beobachtungen von Aengevelt Research schwer getroffen: Allein in der Woche vor dem vierten Advent, normalerweise die umsatzstärkste Woche des Jahres, verloren die Innenstadthändler nach Erhebungen des Handelsverbands Deutschland 56 Prozent ihres Vorjahresumsatzes, während der Onlinehandel 2020 überdurchschnittlich wuchs. Hier ist die Budapester Straße vor dem Einkaufszentrum Bikini Berlin in der ersten Januarwoche 2021 fast menschenleer und die Geschäfte sind bis auf Ausnahmen geschlossen. Der Lockdown, der zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavorus beschlossen wurde, schränkt das öffentliche Leben in Deutschland empfindlich ein.

© dpa/Christophe Gateau

Dies alles ist in einem Prozess nach wie vor von den Gewerbemietern darzulegen und zu beweisen. Eine aufwendige Beweisführung. Denn sie erfordert eine Betrachtung vieler Umstände. Insbesondere die wirtschaftliche Situation des Gewerbemieters vor und in der Pandemie, die Kompensation durch staatliche Corona-Hilfen, das mögliche Ausweichen auf Online-Handel, usw., ist vor Gericht durch Sachverständigengutachten zu beweisen. Das kann Monate dauern, auch Jahre. Die Beweislast trägt nach wie vor der Gewerbemieter. Ein Beweis mag kleinen Fachgeschäften und Boutiquen gelingen, Ladenketten wohl kaum. Haben kleine Unternehmen die Mittel, lange zu prozessieren? Auch alle anderen Fragen lässt die Neuregelung offen: Was im Einzelfall anzupassen ist, wurde nicht gesetzlich geregelt. Wann welche coronabedingten Beschränkungen bei welcher wirtschaftlichen Lage des Gewerbemieters zu welcher Mietreduktion führen, entscheiden immer noch die Gerichte. Eine missliche Situation.

Beschleunigungsregelung im Prozessrecht könnte zu mehr Gerichtsverfahren führen

Zwar sieht die zweite Neuregelung im Prozessrecht vor, dass Streitigkeiten vor Gericht in Gewerbeverhältnissen, die durch die Covid-19-Pandemie betroffen sind, beschleunigt werden. Doch derartige Regelungen bringen aber fast immer mehr Nachteile als Vorteile mit sich. Denn die Parteien werden animiert, gerade nicht zu verhandeln, sondern schnell die Gerichte einzuschalten. Die Gerichte bekommen viel zu tun, was in der Covid-19-Pandemie noch diese Pikantesse mit sich bringt: Die Beschleunigungsregelung zwingt die Gerichte innerhalb eines Monats einen Verhandlungstermin durchzuführen. Dies gerade in Zeiten des Lockdowns und der Kontaktbeschränkungen.

Wenn man jetzt noch sieht, dass in diesen Prozessen über die wirtschaftliche Entwicklung des Mieters zumeist langwierig Beweis erhoben werden muss, dann ist auf folgende Gefahr hinzuweisen: Dass die Gerichte bloße „Durchlauftermine“ anberaumen. Diese Termine bringen den Parteien, insbesondere dem Gewerbemieter, keine schnelle Streitentscheidung.

Der Markt ist auch in der Krise handlungsfähig

So stellt sich zur Neuregelung die Sinnfrage. Denn seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 wurde das Thema gut vom Markt geregelt. Denn wirksame Marktmechanismen gibt es auch auf Gewerbevermieterseite. Die Vermieter interessiert die langfristige Rendite. Hochwertige Gewerbeobjekte werden oft mit treuhänderisch überlassenen Anlagemitteln errichtet oder erworben. Diese Anlagemittel werden von institutionellen Anlegern wie Rentenkassen und Versorgungswerken bereitgestellt. Die Investitionskosten sind enorm. Das Kapital ist lange gebunden, die Investition rechnet sich nur über die Zeit.

Vor diesem Hintergrund sind die Gewerbevermieter immer freiwillig bereit, ihren Gewerbemietern weitreichende Zugeständnisse zu machen. Denn die Alternative zu einem konstruktiven Umgang und einer gütlichen Einigung mit dem Mieter ist der Leerstand – eine mittlere betriebswirtschaftliche Katastrophe. Da ist auch die soziale Marktwirtschaft machtlos: Der Staat kann den kostenintensiven Zwang zum Umbau des Mietobjekts für eine mögliche Neuvermietung nicht auffangen. Die jetzt geltende Neuregelung zu coronabedingten Beschränkungen der Nutzbarkeit von Gewerberäumen entspricht weder den Interessen der Mieter noch den Interessen der Vermieter. Eine hohe Anzahl von Gerichtsverfahren mit unbefriedigender Dauer und oft auch unbefriedigenden Ergebnissen ist zu befürchten. Und eine Überlastung der Gerichte. Dies nützt allenfalls den Anwälten, von denen im Bundestag ja gar nicht wenige sitzen.

Der promovierte Autor ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der Berliner Kanzlei TSP Theißen Stollhoff & Partner (www.ts-law.de)

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