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Soziale Schieflage. Wer wenig verdient, wird früher pflegebedürftig..

© Imago/Ines Baier

DIW-Studie belegt ungleiche Risiken: Je ärmer, desto früher pflegebedürftig

Arme und beruflich belastete Menschen werden deutlich früher pflegebedürftig, wie eine neue Studie belegt. Die Differenz beträgt bis zu sechs Jahre.

Ärmere Menschen werden häufiger und früher pflegebedürftig als Besserverdienende – und Gleiches gilt auch für Personen mit hohen beruflichen Belastungen im Vergleich zu weniger Belasteten. Zu diesem Befund kommt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die heute veröffentlicht wurde. Das Risiko der Pflegebedürftigkeit werde also „entscheidend durch Gesellschaft, Einkommen und Arbeitswelt beeinflusst“, heißt es in der Analyse. Um diese Ungleichheit zu reduzieren, seien sozialpolitische Reformen notwendig.

Am höchsten ist das Risiko den Autoren zufolge demnach bei der Gruppe der Arbeiter:innen. Sie werden im Schnitt etwa vier Jahre früher pflegebedürftig als Beamt:innen. Auch bei Angestellten und Selbständigen lässt sich ein höheres Risiko nachweisen als bei Pensionsberechtigten. Innerhalb der Berufsgruppen hängt das Pflegerisiko jedoch ebenfalls von den jeweiligen körperlichen und psychosozialen Arbeitsbelastungen ab. Bei Männern mit den höchsten Belastungen beträgt der Unterschied zu denjenigen mit leichteren Jobs der Studie zufolge 4,7 Jahre.

Armutsgefährdete Männer sechs Jahre früher pflegebedürftig

Was die einkommensbedingten Unterschiede betrifft, so werden Wohlhabende (mit mehr als 150 Prozent des mittleren Einkommens) am spätesten pflegebedürftig. Bei armutsgefährdeten Männern (mit weniger 60 Prozent des mittleren Einkommens), tritt eine Pflegebedürftigkeit im Schnitt sogar um knapp sechs Jahre früher auf. Und bei geringem Einkommen (60 bis 80 Prozent des mittleren Einkommens) werden Männer immer noch gut drei Jahre früher pflegebedürftig. Bei den Beziehern mittlerer Einkommen sind es 1,7 bis 2,5 Jahre. Bei Frauen gibt es ähnliche Tendenzen, die Unterschiede fallen aber geringer aus. Sie werden in den unteren drei Einkommensgruppen im Vergleich zu einkommensstärkeren Frauen gut drei Jahre früher pflegebedürftig.

Erwartungsgemäß haben Menschen mit Anspruch auf Erwerbsminderungsrente ebenfalls ein deutlich größeres Pflegerisiko. Für Frauen beträgt der Unterschied zu gewöhnlichen Rentnerinnen rund zwei, bei Männern sogar knappe drei Prozentpunkte. Zwischen West- und Ostdeutschland zeigen sich keine Unterschiede, wohl aber bei Männern mit direktem Migrationshintergrund. Bei ihnen ist das Pflegerisiko um zwei Prozentpunkte geringer. Und auch der Versicherungsstatus markiert deutliche Unterschiede. Männer mit privater Pflegeversicherung benötigen im Schnitt erst drei Jahre später Unterstützung, bei Frauen beträgt der Unterschied zu gesetzlich Versicherten etwa zwei Jahre.

Ruf nach gerechteren Versicherungssystemen

Beim Pflegerisiko zeige sich ein ähnliches Muster wie bei der Lebenserwartung, resümiert der Leiter der Abteilung Staat am DIW Berlin, Peter Haan. Bekanntermaßen lebten Personen mit höheren Einkommen deutlich länger: Zwischen Menschen mit hohem Einkommen und Geringverdienern macht der Unterschied hierzulande fast fünf Jahre, zwischen Beamten und Arbeitern vier Jahre aus. Dahinter stecke unter anderem, dass sie besser gebildet seien, sich gesünder ernähren könnten, weil sie über mehr Geld verfügten und dass sie meist in Berufen mit geringeren Belastungen tätig seien. „Ärmere Menschen leben also nicht nur kürzer, sie haben auch meist weniger Lebensjahre, in denen sie nicht auf die Pflege durch andere angewiesen sind, als Besserverdienende“, heißt es in der Studie.

Die bestehenden sozialen Sicherungssysteme kompensierten diese ungleichen Belastungen jedoch nur teilweise. Pflegegeld und Sachleistungen deckten lediglich den geringeren Teil der entstehenden Kosten. Angesichts der ungleich verteilten Risiken benötige es folglich Reformen, die schon in der Erwerbsphase einsetzen müssten. Beispielsweise sei es erforderlich, die Belastung für bestimmte Personengruppen während der Erwerbstätigkeit zu reduzieren. Gleichzeitig gelte es die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung auszubauen oder innerhalb des Pflegesystems mehr finanzielle Gerechtigkeit zu ermöglichen. „Private Zuzahlungen können beispielsweise stärker vom verfügbaren Einkommen abhängig gemacht werden“, heißt es in der Studie.

Höhere Risiken womöglich sogar noch unterschätzt

In die gleiche Richtung gehe der Vorschlag einer Bürgerversicherung, also der Verbindung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung, da das Pflegerisiko von Menschen mit privater Pflegeversicherung deutlich geringer sei als bei Menschen mit gesetzlicher Versicherung. Bei allen finanziellen Reformen müsse aber auch „stärker darauf geachtet werden, dass Menschen mit einem hohen Pflegerisiko, aber geringen Einkommen, die gleiche Qualität der Pflege bekommen, wie Menschen mit höheren Einkommen“.

Dabei könnten die sozialen Unterschiede im Pflegerisiko und bei den Lebensjahren ohne Pflegebedarf sogar noch größer sein, als in der Studie angegeben. Datenquelle für die Ergebnisse ist nämlich das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), eine repräsentative und jährlich durchgeführte Befragung privater Haushalte, die seit 1984 in Westdeutschland und seit 1990 auch in Ostdeutschland erfolgt. Allerdings verringerten sowohl niedrigere sozioökonomische Merkmale als auch der Gesundheitszustand und die damit oft einhergehende potenzielle Pflegebedürftigkeit der Befragten die Wahrscheinlichkeit, an dieser Umfrage teilzunehmen, räumen die Autoren ein. Und hinzu komme auch noch, dass Personen mit höherem Einkommen öfter zu Hause gepflegt würden, während schlechter Gestellte eher in Pflegeheime zögen und dort dann nicht mehr über die SOEP-Daten erfasst seien.

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