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Atomkraft: Krümmel: Reparaturendspurt im tödlichen Bereich

Zwei Jahre stand Deutschlands umstrittenster Pannenmeiler still. Bald soll Krümmel wieder ans Netz gehen. Die Zwangspause hat das Werk nicht unbedingt sicherer gemacht.

Strahlend blau liegt er da. Wie ein Swimming-Pool, der zum Reinspringen verführt. Es ist der mit Wasser geflutete, leere Reaktordruckbehälter. Ein wenig gruselt es den Besucher, so nah an das Herzstück eines Kernkraftwerks zu kommen – der rot-weiße Rettungsring an der Brüstung beruhigt da kaum.

Joachim Kedziora, der seit mehr als zwanzig Jahren in Krümmel arbeitet, früher als Reaktorfahrer, heute als Leiter des Informationszentrums, steht an der Brüstung und lässt den Blick durch die riesige Halle schweifen. Rechts, in einem zweiten Pool, lagern hunderte Brennelemente zum Abklingen. Nur eine stumme Webcam wacht über die Pools. Kein Arbeiter, keine Maschinengeräusche, nur Stille. "Das ist hier eben die friedliche Nutzung der Kernenergie", sagt Kedziora.

Der Betreiber von Krümmel, der Energiekonzern Vattenfall, nimmt es derzeit mit der Transparenz sehr ernst. Ohne Probleme bekommen Journalisten Besuchstermine in Deutschlands umstrittensten Pannenmeiler. In wenigen Wochen, definitiv "diesen Sommer", soll das Kraftwerk wieder ans Netz. Die Belegschaft arbeitet auf Hochdruck, um den von Vattenfall nur intern kommunizierten Termin einzuhalten.

Zwei Jahre lang produzierte der leistungsstärkste Siedewasserreaktor der Welt nach einem Trafo-Brand und einer Schnellabschaltung keinen Strom. Die Brandwolken über dem AKW am 28. Juni 2007 waren ein Super-GAU für die deutsche Atombranche. Zumal es am gleichen Tag auch noch zu einem Kurzschluss im Vattenfall-Atomkraftwerk Brunsbüttel kam. Es folgten ein Schlagabtausch zwischen dem schwedischen Energiekonzern, der Atomaufsicht und dem Kieler Sozialministerium; später der Rücktritt des Vattenfall-Deutschlandchefs Klaus Rauscher sowie unzählige Berichte von mehr oder weniger unabhängigen Kommissionen.

Aus dem Desaster hat Vattenfall viel gelernt - vor allem in punkto Pressearbeit. Der Kommunikationschef, der dem Trafo-Brand anfangs fälschlicherweise keine große Bedeutung zugemessen hatte, trat zurück. Die Pressestelle der Atomsparte wurde personell aufgestockt. Meldepflichtige Ereignisse werden seitdem nicht nur an die Behörde weitergegeben, sondern auch im Internet veröffentlicht. Auch wenn die Liste das Ansehen der Betreiber nicht gerade verbessert.

Im Informationszentrum Krümmel, einem flachen Bau neben dem Kraftwerk, greift Kedziora in einem Schaukasten zu einem "Verankerungssystem in Stahlbeton", wie er sagt. Ganz einfach von einem Dübel zu sprechen, vermeidet er inzwischen lieber. Die Menschen könnten fälschlicherweise an einen Plastikdübel aus dem Heimwerkermarkt denken.  Die Schwerlastdübel sind dagegen bis zu 40 Zentimeter lang, schwere Metallbolzen, die in deutschen Kraftwerken seit zwei Jahren für hektisches Treiben sorgen. Im RWE-Kraftwerk Biblis mussten wegen falscher Installation rund 15.000 Stück ausgewechselt werden. Auch Vattenfall überprüfte daraufhin seine Dübel  – und musste in Krümmel etwa 300 Stück ersetzen. "Wir führen inzwischen sogar eine Dübeldatei", erzählt Kedziora.

Das Unverständnis ist dem Mann anzusehen, auch wenn er es nicht direkt sagen mag. Teilweise habe Vattenfall Dübel austauschen müssen, die gerade einmal ein Zehntel Millimeter von der vorgesehenen Platzierung abwichen. Dabei hätten eigene Tests mit einer Baufirma sogar gezeigt, dass selbst komplett falsch installierte Dübel das Gewicht im Ernstfall halten könnten. Für Kedziora ist die Tauschaktion daher vor allem ein Zeichen an die Öffentlichkeit. "Es stellt sich die Frage, ob man dadurch tatsächlich einen Sicherheitsgewinn hat", sagt er, "wir haben´s halt gemacht." 

Ähnlich wie die Aktion mit dem verbrannten Trafo. Dass ein solches großtechnisches Gerät auch Feuer fangen könne, sei einfach so. Um allerdings dem Ruf nach Aufklärung nachzukommen, habe Vattenfall Teile des Schrott-Trafos auch an Universitäten geschickt, um die Brandursache zu erforschen. Doch selbst die konnten kaum helfen. "Die Ursachenforschung ist mehr für die Öffentlichkeit als technisch notwendig."

Einige Gänge und diverse Zwischenetagen vom Pool entfernt tragen zwei Arbeiter in weißen Overalls schwere Eisenringe durch eine Luke in den runden Sicherheitsbehälter, der den Reaktorkern umgibt. Er gleicht einem riesigen Ei aus Beton und beherbergt den Reaktordruckbehälter mit den Brennstäben. Normalerweise dürfte hier kein Mensch sein. Wenn der Meiler auf Hochtouren läuft, ist ein Aufenthalt tödlich. Jetzt aber ist Reparaturendspurt, die Luken sind geöffnet, innen wird fleißig geschraubt.

In wenigen Wochen will Vattenfall den Antrag stellen, Krümmel wieder ans Netz zu nehmen. Die Aufsichtsbehörde hat bereits Wohlwollen signalisiert. Laut Atomausstieg könnte Krümmel dann noch etwa acht Jahre lang Strom produzieren – ein Milliardengeschäft, schließlich ist der Meiler abgeschrieben. Jetzt müssen die auseinandergeschraubten Pumpen und andere Armaturen wieder zusammengesetzt und eingebaut werden. Alles erinnert ein wenig an eine Aufräumaktion in einem U-Boot: wenig Platz, viele Kabel, noch mehr Stahlrohre. Überall prangen Aufkleber mit dem Radioaktivitätszeichen, die Strahlung im Innersten ist höher als außerhalb des Stahlbetons.

Mit einigem Stolz erzählt Kedziora, dass Vattenfall eigens ein neues Schweißsystem entwickelt hat, um hier, am Herzstück des Reaktors, an den Armaturen arbeiten zu können. "Das gibt es weltweit noch nicht, wir mussten es sogar noch zertifizieren lassen." Per Monitor und Fernsteuerung reparierte die extra aus dem Ausland eingeflogene Schweißelite feinste Risse an den Armaturen – ein gigantischer Aufwand.

Dass man tatsächlich Mängel an 39 Pumpen und Rohren fand, war allerdings ebenso Zufall wie die Dübeldiagnose zuvor. Sie wurden nur entdeckt, weil auch andere Kraftwerke das Problem hatten. Gezielt danach gesucht hatte Vattenfall nicht. "Die Bereiche gelten sicherheitstechnisch als unkritisch", sagt Kedziora und versichert: "Früher oder später hätten wir die Schäden sicherlich auch entdeckt."

Trotz des Engagements, das Vattenfall an den Tag legt: Die Kritiker wird der schwedische Energiegigant kaum überzeugen. Zu umstritten bleibt Krümmel, der Meiler, der in Verdacht steht, die Leukämie-Rate bei Kindern in der Region hochzutreiben. Und auch beim aktuellen Streit um die Installation einer Black-Box auf der Leitwarte, um die Mitarbeitergespräche aufzuzeichnen, macht Vattenfall mit seinem Widerstand keine glückliche Figur (siehe Info-Box).

Und so treffen immer wieder zwei Sichtweisen aufeinander. Auf der einen Seite die Bevölkerung, die die Atomkraft weiter skeptisch sieht, erst recht, wenn es auf einem AKW-Gelände brennt. Auf der anderen Seite die Vattenfall-Ingenieure, die überzeugt sind, ihre Technologie im Griff zu haben. Und im Ernstfall argumentieren, dass ihr Meiler doch eine behördliche Betriebsgenehmigung habe.

Vielleicht ist es eine Äußerung Kedzioras, die ein realistischeres Bild zeichnet. Beim Mittagessen mit Blick auf die Elbe erzählt er von den Besuchern, denen er nun schon seit Jahren sein Kernkraftwerk zeigt. Am anstrengendsten seien nicht die Mitglieder von Greenpeace – die würden erst gar nicht kommen. Besonders beharrlich seien die glühenden Verfechter der Atomkraft, die mit überschwänglicher, fast naiver Begeisterung durch das  Kraftwerk stiefelten. "Denen muss man dann auch ehrlich sagen: hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht."

Quelle: ZEIT ONLINE, 26.6.2009 - 15:57 Uhr

Marlies Uken

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