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Weniger als zehn Prozent der Vorstandsmitglieder der zehn größten gesetzlichen Krankenversicherungen sind weiblich.

© Oliver Berg/DPA

Mangelnde Parität: Im Gesundheitswesen fehlen Frauen in Führungspositionen

Frauen im Gesundheitswesen sind meist an der Basis zu finden. Spitzenpositionen besetzen oft Männer. Doch das Bewusstsein in Sachen Parität wächst.

Auf Bundesebene hat keine der Berufskammern einen paritätisch besetzten Vorstand. Auf Landesebene werden etliche Kammern von zwei oder mehr Männern – und keiner Frau – geführt. 

Weniger als zehn Prozent der Vorstandsmitglieder der zehn größten gesetzlichen Krankenversicherungen sind weiblich – das ist die ernüchternde Erkenntnis aus der Kleinen Anfrage „Entwicklungen zum Frauenanteil in der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen“ der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

In der Antwort, die dem Tagesspiegel Background vor Veröffentlichung vorliegt, heißt es: „Die Bundesregierung teilt die Einschätzung, dass Frauen in Führungspositionen und Selbstverwaltungsgremien im Gesundheitswesen unterrepräsentiert sind.“ 

Um eine geschlechtersensible Sicht auf Erkrankungen, politische Prozesse und Entscheidungsfindungen sicherzustellen, sei ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis eine wichtige Voraussetzung, schreibt der parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Thomas Gebhart. 

Um die Quote zu erhöhen, habe das Bundesgesundheitsministerium in einem ersten Schritt die Neuordnung der Strukturen des GKV-Spitzenverbandes durch das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) angestoßen.

„Zwei Jahre nach der ernüchternden Erkenntnis, dass die gläserne Decke im Gesundheitswesen so dick ist wie in den DAX-Konzernen, gibt es zwar mehr Bewusstsein für diese Schieflage, doch getan hat sich noch viel zu wenig“, so die Reaktion von Kirsten Kappert-Gonther, zuständig bei den Grünen für Frauengesundheit. 

Die vorliegenden Zahlen erschüttern sie: „Selbst im Vatikan sind mehr Frauen anzutreffen, als in manchen Spitzengremien des Gesundheitswesens.“

Höherer Frauenanteil erwünscht

Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) strebe man eine Erhöhung des Frauenanteils in den Vertreterversammlungen und Vorständen der Landesgremien an. Und auch bei der Bundesvertretung müsse sich was tun. Derzeit liegt der Frauenanteil im KBV-Vorstand bei null, in der darunter liegenden Führungsebene gibt es gerade mal drei Frauen unter den 13 Beschäftigen. 

Im April wolle man sich auf einer Klausurtagung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) mit dem Thema Frauenförderung und Selbstverwaltung befassen. 

Bei der Initiative „Spitzenfrauen Gesundheit“ kommen Frauen aus allen Bereichen des Gesundheitssystems zusammen, um eine geschlechtergerechte Verteilung von Entscheidungspositionen und eine geschlechtersensible Gesundheitsversorgung zu fordern. 

Dazu gehört die Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes, Christiane Groß. „Bei den KVen hat sich in den letzten Jahren wenig verändert, was aber auch daran liegt, dass die Wahl für diese Gremien alle fünf Jahre stattfindet und zwischenzeitlich keine Wahl anstand“, sagt sie zum Tagesspiegel Background.

Mit Blick auf die Nachrückverfahren, glaubt sie, dass Frauen eher durch Zufall in Leitungspositionen gekommen seien. Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass die vakant gewordenen Vorstandsposten bei den KVen ausschließlich durch Männer nachbesetzt wurden. 

Frauen rücken nach

Das betraf Hessen und Mecklenburg-Vorpommern. Etwas anders verhielt es sich bei den Vertretersammlungen. Hier rückten zumindest vereinzelt Frauen in Berlin, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen nach.

Mit Blick auf die Ärztekammern habe sich zumindest bei der Besetzung der Vorstände deutlich etwas geändert, so Groß. Erhöht habe sich die Frauenquote insbesondere in Nordrhein-Westfahlen und in Baden-Württemberg mit jeweils vier zusätzlichen Ärztinnen im Vergleich zu Beginn der vorherigen Legislatur.

„Berlin und Hessen bieten drei Frauen mehr und Bremen, Schleswig-Holstein Thüringen und Westfalen-Lippe können immerhin je eine Frau mehr im Vorstand vorweisen“, so Groß. 

Gleichgeblieben ist die Zahl der Frauen bei der Bundesärztekammer. „Erstaunlicherweise gibt es auch eine Kammer, in der sich die Zahl der Frauen von drei auf eine verringert hat: Mecklenburg-Vorpommern“, sagt Groß. 

Mehr als bedenklich sei Groß zufolge die Situation bei den Lehrstühlen an den Universitätskliniken. Sie sei „weiterhin desaströs mit nur 13 Prozent Frauenanteil auf den Lehrstühlen". Die Dekane der medizinischen Fakultäten seien komplett männlich. 

„Ein Lichtblick ist die Besetzung des Gründungsdekanats der Universität Bielefeld mit einer Ärztin, einer Gründungsdekanin", so die Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes.

Antrag soll Weichen stellen

Es verwundere nicht, so Kappert-Gonther, dass jede Frau, die auf einen Mann in einer Führungsposition im Gesundheitssystem folge, weiterhin Aufsehen errege. „Den Weg zu Diversität und einer angemessenen Repräsentanz von Frauen in Entscheidungspositionen legen wir viel zu langsam zurück. 

Es ist nicht nur ungerecht, sondern unklug, die Expertise von Frauen nicht umfassend zu nutzen“, so die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

Gerade lukrative und öffentlichkeitswirksame Positionen seien weiterhin hauptsächlich von Männern besetzt. Nur zwei der größten Krankenkassen hätten zudem ein frauenspezifisches Förderprogramm. „Viele Institutionen im Gesundheitswesen haben nach wie vor quasi ein Schild mit der Aufschrift ,Frauen bitte draußen bleiben' vor der Chefetage aufgehängt", so Kappert-Gonther. Der morgige Equal Pay Day sei ein guter Anlass diese Schilder abzuhängen.

Wie muss es jetzt weitergehen? Für Kappert-Gonther weist ein Antrag der Grünen-Bundestagsfraktion den richtigen Weg. Sie sagt: „Es muss verbindliche Quoten für Sozialwahlen und Gremienbesetzungen geben. 

Unsere Abfrage zeigt aber auch, dass manche der Körperschaften der Selbstverwaltung im Gesundheitssystem sich mit Maßnahmen zur Frauenförderung auf den Weg gemacht haben.

Gesetzliche Quotenregelungen wurden kürzlich für Entscheidungsgremien der Medizinischen Dienste und des GKV-Spitzenverbands eingeführt. Das sind ermutigende Aufbruchssignale." Doch es gehe eben nicht nur um Signale, sondern um Taten. Darauf müssten jetzt Taten folgen.

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