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Was soll ich kaufen? Die Nährwertangaben sollen helfen, gesunde Produkte zu erkennen.

© imago images / Manfred Segerer

Nährwertkennzeichnung: Ministerin Klöckner fragt die Verbraucher, Edeka plötzlich auch

Während Klöckner die Bürger befragt, prescht Edeka mit einem Praxistest vor. Nicht nur Verbraucherschützer sind verwirrt. Was soll das?

Wenn es darum geht, den Willen der Verbraucher zu erforschen, scheut Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) in diesen Tagen keinen Aufwand. Denn die Bürger, so hat die Ministerin beschlossen, sollen entscheiden, wie Lebensmittel im Supermarkt künftig gekennzeichnet werden sollen.

Das Ganze läuft streng wissenschaftlich: Im Juli gab es vorbereitend zehn Fokusrunden, seit August werden Menschen auf der Straße, hinter dem Computer oder am Telefon dazu befragt, welche Nährwertkennzeichnung sie am besten finden. Von vier Modellen, die sie zur Auswahl gestellt bekommen, sollen sie jeweils ihren Favoriten auswählen, der sie ihrer Meinung nach am besten über den Anteil von Salz, Fett und Kohlenhydraten im Essen informiert – und darüber, welches Produkt gesund ist oder zumindest weniger ungesund als Konkurrenzprodukte.

So testet Edeka: Auf dem Hühnerfrikassee ist der Nutriscore, auf dem Tilsiter das MRI-Label und auf dem Kochschinken das Logo der Lebensmittelwirtschaft.

© obs

1600 Menschen werden gefragt. Der Test läuft auf Hochtouren. Ende September soll die Auswertung vorliegen. Klöckner hat bereits erklärt, dass für sie das Abstimmungsergebnis maßgeblich ist. Das, was die Bürger wollen, soll künftig auf den Lebensmittelpackungen im Supermarkt auftauchen, hat die CDU-Politikerin versprochen.

Edeka testet drei Monate

Da irritiert es, dass in dieser Woche Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka seinen eigenen Logotest gestartet hat. Drei Monate lang sollen einige Eigenmarken-Produkte bei Edeka und der Discounttochter Netto mit dreien der Logos, die zur Volksabstimmung stehen, gekennzeichnet werden. „Wir halten es für sinnvoll, die bisherigen, meist unter künstlichen Testbedingungen gewonnenen Erkenntnisse durch einen Praxistest unter Realbedingungen in Deutschland zu ergänzen“, heißt es bei Edeka auf Anfrage. „Das tatsächliche Kaufverhalten sowie die authentischen Rückmeldungen der Verbraucher sind aus unserer Sicht starke Indikatoren für die Akzeptanz eines Kennzeichnungsmodells.“

Verbraucherschützer sind verwundert. Sowohl über den Zeitpunkt der Aktion als auch über den Test selbst. Denn bei Netto und Edeka sollen jeweils nur 16 Artikel mit den neuen Logos gekennzeichnet werden. Das ist – vorsichtig gesagt – nicht gerade viel. In Frankreich sind zwei Millionen Produkte in 60 Supermärkten untersucht worden, bevor man sich für den Nutriscore entschieden hat, kritisiert die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Hinzu kommt, dass die drei Logos bei Edeka/Netto auf völlig verschiedene Waren gedruckt werden. „Um richtig zu testen, müsste man alle Modelle an denselben Produktgruppen ausprobieren“, kritisiert Luise Molling von Foodwatch.

Foodwatch: Der Test ist nicht aussagekräftig

Edeka macht das nicht. So wird der von Verbraucherschützern favorisierte Nutriscore vor allem an Fertiggerichten wie Lasagne, Thunfisch-Pizza, Nudelauflauf und an Paprika-Chips getestet. Das Nutriscore-System berücksichtigt nicht nur ungesunde Bestandteile, sondern bezieht auch empfehlenswerte Inhaltsstoffe wie Ballaststoffe in die Bewertung ein. Am Ende steht auf einer fünfstufigen, farbigen Skala von A (grün, prima) bis E (rot, Finger weg) ein einziger Wert.

Die Konkurrenten des Nutriscores sind das Wissenschaftsmodell des staatlichen Max-Rubner-Instituts (MRI), das mit petrolfarbenen Waben arbeitet, und das Wirtschaftsmodell des Lebensmittelverbands, das auf Tortendiagrammen basiert. Beide Modelle informieren über Salz, Fett und Kohlenhydrate, enthalten sich aber eines abschließenden Urteils. Edeka/Netto testen das MRI- und das Wirtschaftsmodell etwa anhand von Kochschinken, Bandnudeln, Tilsiter, Buttertoast, Pralinen, Mehrkornbrötchen und Schoko-Röllchen.

Edeka: Wir testen beliebte Produkte

„Es fällt auf, dass vor allem Fertigprodukte mit dem Nutriscore getestet werden, während die anderen beiden Modelle anhand von unproblematischeren Grundnahrungsmitteln untersucht werden“, gibt Molling zu bedenken, „der Verdacht liegt nahe, dass der Nutriscore benachteiligt wird.“ Edeka erklärt die Auswahl damit, dass man unterschiedliche Waren- und Sortimentsgruppen abbilden wollte und besonders beliebte und verkaufsstarke Produkte ausgewählt habe.

Auch die Konkurrenten sind verblüfft

Doch nicht nur bei Verbraucherschützern, auch in der Branche selbst ist man über Edekas Testeifer verblüfft. „Wir sehen in parallelen, eingeschränkten und womöglich konkurrierenden Verbraucherbefragungen zum Thema Nährwertkennzeichnung keinen Vorteil für Kunden“, sagte eine Rewe-Sprecher dem Tagesspiegel. Auch Aldi betont, man wolle der Ministeriums-Befragung nicht vorgreifen. Lidl wünscht sich eine branchenweit einheitliche, leicht verständliche Kennzeichnung, was man als Votum für den Nutriscore verstehen kann.

Fragt die Verbraucher: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) will das Modell auswählen, für das die meisten Bürger stimmen.

© dpa

Die Lebensmittelindustrie lehnt den Nutriscore ab

Das französische Modell, das in Deutschland bereits von Danone benutzt wird, stößt auf den Widerstand der Lebensmittelindustrie. Sie will verhindern, dass bestimmte Nahrungsmittel per se als böse oder schlecht gebrandmarkt werden.

Im Lebensmittelverband ist Rolf Lange, Kommunikationschef von Edeka, der zweite Mann. Dient der Edeka-Test dazu, den Nutriscore schlecht dastehen zu lassen? Die Vermutung: Ohne ausführliche Aufklärung der Edeka- und Netto- Kunden über die verschiedenen Nährwertsysteme dürfte sich an deren Kaufverhalten nicht viel ändern. Das könnten Kritiker als Beleg für die Wirkungslosigkeit des Nutriscores benutzen.

Der Lebensmittelverband weist solche Spekulationen zurück. Die Aktion von Edeka sei mit dem Verband nicht abgestimmt. „Wir sind gespannt, was am Ende herauskommt“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel. Und man muss anfügen, dass nicht nur Edeka im Vorstand des Lebensmittelverbands vertreten ist, sondern auch Rewe.

Will Edeka sein Image verbessern?

Wahrscheinlicher ist es daher, dass Edeka mit der Aktion sein Image verbessern will. Der Handelsriese, der im Jahr mehr als 53 Milliarden Euro umsetzt, hat in ernährungs- und agrarpolitischen Fragen Nachholbedarf. Als Rewe und die Discounter längst auf ihren Fleischpackungen angegeben hatten, wie die Tiere zeit ihres Lebens gehalten worden waren, hatten Edeka-Kunden das Nachsehen – eine Steilvorlage für Protestaktionen von Greenpeace. Erst seitdem es eine branchenweite Regelung für die Haltungskennzeichnung gibt, ist auch der Marktführer dabei.

Ministerin Klöckner ist der Edeka-Test egal

Indem sich Edeka in Sachen Nährwertkennzeichnung an die Spitze stellt, könnte sich der Händler nun als Innovationstreiber beweisen. Und in der politischen Debatte mitmischen. „Nach Ablauf der Testphase werden die Reaktionen aufgewertet und dann auch für die politische Diskussion zur Verfügung gestellt“, berichtet ein Edeka-Sprecher. Im Bundesernährungsministerium lässt man sich davon nicht beeindrucken. Für Klöckner sei „allein“ ihre eigene Verbraucherforschung ausschlaggebend, heißt es.

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