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Der Nissan Townstar EV hat eine nicht sehr üppige Reichweite von über 300 Kilometern.

© Nissan

Zur Belohnung grüne Blätter: Nissans elektrischer Kastenwagen Townstar und sein Crossover Ariya im Vergleich

Kleintransporter vs. Luxuskarosse: Zwei so völlig unterschiedliche Fahrzeuge kann man eigentlich nicht miteinander vergleichen. Oder vielleicht doch?

Fleißkärtchen als pädagogisches Hilfsmittel in der Grundschule sind ziemlich aus der Mode geraten. Aber die Technik der Belohnung und Motivierung mittels optischer Lorbeeren ist nicht ganz verschwunden, hat sich verlagert, zum Beispiel in die Bilderwelt eines modernen, einst Armaturentafel genannten Fahrzeugdisplays.

Man nehme nur den neuen Nissan Townstar EV, einen vollelektrischen, sehr praxisnah konstruierten und sogar fahrpädagogisch nützlichen Kastenwagen: Ein stilisiertes grünes Blatt – es könnte vom Flieder stammen – ziert das Display hinterm Lenkrad, gedacht als „Anzeige des Fahrstils“, worüber man aus der Bedienungsanleitung Folgendes erfährt: „Je mehr Blätter angezeigt werden, desto flexibler und wirtschaftlicher ist Ihre Fahrweise.“

Ein grünes Blatt als Mahnung: Bei besonders ökologischem Fahrstil sollen es mehr werden.

© Andreas Conrad/Tagesspiegel

Bei einem ersten längeren Ausflug blieb das Blatt noch unbeachtet, der Fahrstil muss dennoch ökologisch okay gewesen sein: Bei der fürs Aufladen der Batterie besonders effektiven Rekuperationsstufe B3, einzustellen am Fahrwahlhebel, entfiel das eigene, vom E-Motor übernommene Bremsen weitgehend – E-Pedal-Driving also, bei dem die Fußbremse kaum noch benötigt wird.

Insgesamt 153 Kilometer wurden gefahren, die angezeigte Reichweite sank aber nur um 119 Kilometer. Gewiss, das ist kein absoluter, sondern ein von den Fahrzeugsystemen errechneter Durchschnittswert, aber immerhin.

Jede Menge Platz: Schon die kürzere Version des Townstar bietet 3,3 Kubikmeter Ladevolumen.

© Nissan

Bei späteren Testtouren war das grüne Blatt fest im Blick, zusätzlich wurde der Fahrmodus Eco gewählt – dennoch blieb es bei einem einzelnen grünen Blatt. Mehr noch: Es schrumpfte, wurde beim nun mal nicht ganz vermeidbaren Beschleunigen immer kleiner, ließ von der ursprünglichen Größe nur noch den Umriss zurück. Ein schwer verständlicher, zumindest interpretationsbedürftiger Lehrmeister – oder ein sehr strenger, der erst nach längerem zurückhaltendem Fahren seine Fleißblättchen herausrückt.

Die Ausflüge mit dem Townstar EV erfolgten übrigens bei leerem, seitlich wie rückwärtig zu öffnendem Laderaum, was die erfreuliche Diskrepanz zwischen gefahrenen und angezeigten Kilometern etwas relativiert. Kunden solch eines Kastenwagens dürften in erster Linie Handwerker sein, die Werkzeug und Material von Ort zu Ort transportieren. Logisch, dass dies zulasten des verfügbaren Akkustroms geht.

Gut also, wenn ein grünes Blatt oder auch zwei zu moderatem Fahren animieren, mit einer angegebenen maximalen Reichweite von über 300 Kilometern ist der Townstar EV ohnehin nicht gerade üppig versorgt. Aber das ist, neben den auf Unebenheiten der Fahrbahn etwas schaukelig reagierenden Stoßdämpfern, eigentlich schon der einzige nach erstem Testgebrauch feststellbare Schwachpunkt.

Mehr praktisch als ästhetisch: der Innenraum des Townstar

© Nissan

Einen Fahrmodus „Sport“ gibt es bei solch einem Nutzfahrzeug selbstverständlich nicht, doch auch ohne ist die Beschleunigung durch den 122-PS-E-Motor überaus zufriedenstellend. Und wenngleich Bequemlichkeit bei solch einem speziell für den Arbeitsalltag gedachten Wagen sicher nicht an erster Stelle der zu erreichenden Konstruktionsziele steht, fährt man darin doch sehr entspannt und angenehm, zumal in der Testversion mit der Ausstattungsvariante N-Connecta.

Schwieriger Schulterblick

Ohne die dazugehörige Rückfahrkamera und den „Intelligenten 360-Grad-Flankenschutz“, dank dem der Wagen bei der Einfahrt in den allzu engen heimischen Carport wild zu piepsen beginnt, wäre das Manövrieren in unübersichtlichen Situationen recht mühsam. Auch den Totwinkel-Warner möchte man im Fahralltag nicht missen, ist der „Schulterblick“ wegen des Kastenaufbaus doch eingeschränkt. Wer zudem einen „Acht-Zoll-Bildschirm mit Smartphone-Einbindung via Apple CarPlay und Android Auto“ fürs Fahrvergnügen als unabdingbar ansieht, wird zu N-Connecta greifen.

Diese Variante bietet weitere nützliche Ausstattungsdetails wie den Geschwindigkeits- und Abstandswarner, die Müdigkeits- und die Verkehrszeichenerkennung, einen autonomen Notbremsassistenten und anderes mehr. ESP samt Seitenwind-Assistent bietet schon das Basismodell, das offenbar – die Bedienungsanleitung legt dies nahe – noch über einen klassischen Zündschlüssel und eine mechanische Handbremse verfügt.

Doch auch in den höherpreisigen Varianten, also ohne solche Rückgriffe auf traditionelle Technik, bleibt der Innenraum von eher handfest-solider als durchgestylt-verspielter Anmutung. Die rechts wie links überm Lenkrad montierbare Halterung fürs Smartphone ist eher praktisch als ästhetisch, und auch der Fahrwahlhebel ist noch ein richtiger, mit gewissem Kraftaufwand zu bedienender Hebel und keines dieser zierlichen, fast per kleinem Finger bedienbaren Designobjekte.

So fährt sich der Nissan Ariya

Da ist der ebenfalls neue Elektro-Crossover Nissan Ariya von ganz anderem Kaliber, der Fahrwahlhebel diesmal eher ein handlicher Schalter. Platziert wurde er auf der elektrisch zu verschiebenden und damit individuell anpassbaren Mittelkonsole, auf der sich unter anderem auch die Bedienelemente für den Fahrmodus (inkl. „Sport“) und das E-Pedal-Driving finden, bei dem der Elektromotor weitgehend das Bremsen übernimmt, sobald man den Fuß vom Fahrpedal löst.

Nimmt der Townstar, was Luxus, Fahrkomfort, Agilität und Reichweite betrifft, innerhalb Nissans Elektroflotte die untere Position ein, so der Ariya eindeutig die oberste. Ersterer muss sich mit einer 45-kWh-Batterie begnügen, dem Ariya-Testwagen mit Frontantrieb standen 87 kWh zur Verfügung, was bis zu 530 Kilometer reichen soll. Grüne Fleißblättchen werden übrigens nicht versprochen.

Luxus mit Tempo: Der Nissan Ariya beschleunigt schon mit Frontantrieb von 0 auf 100 in 7,6 Sekunden.

© Nissan PR

Auch wirkt der Ariya gegenüber dem durchaus flinken Townstar geradezu wie eine Rakete – mit 242 PS und einer Beschleunigung von 0 auf 100 in 7,6 Sekunden. Wem das immer noch zu langsam ist, kann die Allradversion wählen: in gut zwei Sekunden schneller auf 100, statt 160 km/h sogar 200 Spitze, bei allerdings etwas weniger Reichweite – oder sehr viel weniger, reizt man die Kraft der beiden E-Motoren wirklich auf Dauer aus.

„Zeitloser japanischer Futurismus“

Der Wagen liegt auch beim Endtempo so ruhig und sicher auf der Straße, wie man von solch einer modernen Hightech-Limousine erwarten darf, ist mit den neuesten Assistenz- und Sicherheitssystemen wohl versehen, wirkt nur etwas hart in der Federung.

Und dazu sieht der Ariya mit seinem von Nissan als „zeitloser japanischer Futurismus“ beschriebenen Design auch noch sehr ansprechend aus, mit einem klaren, schnörkellosen, der Coupé-Form angenäherten Äußeren und einem Innenraum, der als „Lounge-artig“ gerühmt wird. Das zielt auf die in der Tat erfreuliche Geräumigkeit der Fahrgastzelle, eine, wie es heißt, Folge der neuen, erstmals beim Ariya verbauten CMF-EV-Plattform und der kompakten Antriebskomponenten. Daher fand auch das Klimasystem unter der Motorhaube Platz. 

So dürfen sich die Insassen laut Nissan über „das größte Innenraumvolumen im Segment“ freuen, samt großer Beinfreiheit unterm per Knopfdruck sich öffnenden Panoramadach, zu genießen auf belüfteten „Zero Gravity“-Sitzen, deren Name allerdings zu viel verspricht: Auch in der Ariya-Lounge ist die Schwerkraft nicht aufgehoben.

Rund 535 Kilometer weit soll eine Batterieladung des Ariya reichen.

© Nissan PR

Lenkrad, Fahrersitz und Mittelkonsole stellen sich per Memory-Funktion umgehend auf die individuelle Position von Fahrer oder Fahrerin ein, die alle nötigen Informationen aus zwei 12,3-Zoll-Bildschirmen und dem Head-up-Display beziehen.

Die Mittelkonsole des Ariya ist elektrisch verschiebbar.

© Nissan

Auch ein „intelligenter Routenplaner“ ist am Werk, der beim Ermitteln der besten Fahrstrecke Echtzeitfaktoren wie Verkehrslage, Straßenbedingungen, Verfügbarkeit von Ladestationen und restliche Batteriekapazität berücksichtigt. Und sollte all das einmal ausfallen, so bleibt immer noch der ebenfalls auf dem Fahrerdisplay verfügbare Kompass.

Angesichts von so viel modernster Technik überrascht es dann schon, dass beim Entertainment-Angebot neben Tasten für FM- und DAB-Radio sowie Bluetooth noch immer eine für AM-Empfang zur Verfügung steht. In Deutschland jedenfalls ist der Mittelwellenempfang seit Ende 2015 Geschichte. Sender kann man hierzulande damit nicht mehr empfangen, doch immerhin das Rekuperieren des Motors akustisch verfolgen: In der E-Pedal-Einstellung rauscht und knistert es am lautesten.

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