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Eigentlich sollte die Steuersenkung direkt an die Kundinnen weitergegeben werden.

© imago images/Steinach

Exklusiv

Nach Senkung der „Tamponsteuer“: Hersteller erhöhen Preise für Menstruationsprodukte

Sinkt die Mehrwertsteuer für Produkte, profitieren nicht immer die Kunden. Auch bei Tampons stellt sich das Problem, denn Hersteller erhöhen nun die Preise.

Eigentlich waren sich alle einig, wer profitieren sollte. Als Bundesfinanzminister Olaf Scholz im Oktober des vergangenen Jahres ankündigte, die Mehrwertsteuer für Damenhygieneartikel von 19 auf sieben Prozent zu senken, ließen die Handelsketten keinen Zweifel daran, dass sie die Vergünstigung eins zu eins auf den Preis anwenden. „Die vollständige Weitergabe des Steuervorteils ab 2020 ist für uns eine Selbstverständlichkeit", erklärte Kaufland-Einkäufer Yalcin Cem. Und auch Drogerieketten wie Rossmann oder dm zogen mit und senkten die Preise für Tampons und Binden.

Wie lange das so bleibt, erscheint nun fraglich. Denn einige Hersteller von Menstruationsprodukten haben ihre Preise gegenüber dem Handel pünktlich zur Steuersenkung kräftig erhöht. So bestätigt Kaufland dem Tagesspiegel: „Auch wir haben Preiserhöhungen für Monatshygieneprodukte erhalten.“ Man könne die höheren Forderungen der Lieferanten nicht nachvollziehen. „Aktuell ist uns nicht bekannt, dass die Preise für Rohstoffe erhöht wurden“, heißt es von Kaufland weiter. Man sei nicht bereit, diese Preiserhöhungen zu akzeptieren sei derzeit in Verhandlungen.

Auch die „Lebensmittelzeitung“ berichtet von Preiserhöhungen der Hersteller und nennt explizit Johnson & Johnson, zu denen der Marktführer „ob“ gehört. In der Branche sei von Erhöhungen im zweistelligen Prozentbereich die Rede. Formell sei der Grund freilich nicht die Steuersenkung, sondern verbesserte Qualität der Produkte. Dennoch liegt der Verdacht nahe, hier könnte jemand die zwölf Prozent abschöpfen wollen, die nun nicht mehr an den Staat gehen.

"Tampon-Steuer" in Kenia ganz abgeschafft

Johnson & Johnson sagte auf Anfrage, man habe „zum Jahreswechsel“ die Herstellerabgabepreise nicht erhöht. Im Vorfeld der Steuersenkung hatte das US-Unternehmen ohnehin darauf verwiesen, dass der Handel die Endpreise festsetze. Konkurrent Procter & Gamble, das unter der Marke Always Menstruationsartikel herstellt, teilte mit, man habe im Vorfeld der Steuersenkung keine Preiserhöhungen durchgeführt und das „in diesem Zusammenhang“ auch nicht vor. Im Handel betont man auf Nachfrage – etwa bei dm und Rewe – die Preise nicht anheben zu wollen. Auf die Frage, ob Hersteller nun höhere Preise fordern, wollen beide Unternehmen nicht antworten.

Die sogenannte „Tamponsteuer“, die in Deutschland sämtliche Hygieneprodukte mit 19 Prozent besteuert, war in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert worden. Gegner argumentieren, dass Tampons und Binden zum Grundbedarf von Frauen gehören. Wichtige Güter des täglichen Bedarfs werden nämlich mit dem reduzierten Satz von sieben Prozent besteuert. In Ländern wie Kenia, Indien und Kanada wurden die Steuern auf Periodenprodukte ganz abgeschafft. In Frankreich, Spanien und Großbritannien wurde der Satz nach Protesten gesenkt. In Deutschland waren zwei Petitionen nötig, die fast 300000 Menschen unterschrieben.

Eine der beiden Petitionen starteten das Magazin Neon und das Start-up Einhorn, das Tampons, Kondome und Binden vertreibt. „Dass andere Hersteller nun gebenenfalls versuchen, die Steuersenkung für die eigene Profitsteigerung zu nutzen, beobachten wir aufmerksam und kritisch“, sagt Cordelia Röders-Arnold, die den Bereich Periode bei Einhorn betreut. „Ziel der Steuersenkung war schließlich nicht nur, dass Periodenprodukte als Produkte des Grundbedarfs gesehen werden, sondern auch, dass sie für alle Menstruierenden spürbar günstiger – oder für viele gar bezahlbar werden.“ Einhorn gebe die Steuersenkung an die Kunden weiter – im eigenen Onlineshop und auch gegenüber dem Handel.

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Mehrwertsteuersenkungen bei der Bahn

Die Mehrwertsteuer ist auch in anderen Bereichen ein Politikum; etwa bei Lebensmitteln. Auf Fleisch, Wurstwaren und Milchprodukte wird bislang nur der reduzierte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent erhoben. Bei Milchersatzprodukten wie Hafer- oder Mandelmilch fallen dagegen 19 Prozent an. In Zeiten des wachsenden Klimabewusstseins nimmt die Kritik daran zu. Grüne und Teile der SPD fordern daher seit längerem eine Anhebung der Mehrwertsteuer für Fleisch und Milch auf 19 Prozent.

Weil der Konsum dieser CO2-intensiven Waren bei steigenden Preisen sinken würde, könnte Deutschland Treibhausgasemissionen um 6,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen, schätzt die Umweltorganisation Greenpeace. Auch die Steuersenkung für Bahntickets, die seit Anfang des Jahres gilt, steht für die Hoffnung, gesellschaftliche und politische Ziele mit Hilfe der Mehrwertsteuer zu erreichen.

Dass Mandelmilch höher besteuert ist als Kuhmilch ruft in Zeiten wachsenden Klimabewusstseins Kritik hervor.
Dass Mandelmilch höher besteuert ist als Kuhmilch ruft in Zeiten wachsenden Klimabewusstseins Kritik hervor.

© imago/Westend61

Ob das jedoch ein geeignetes Mittel ist, hat vor gar nicht langer Zeit der Bundestag noch bezweifelt, als er 2015 die erste Petition gegen die „Tampon-Steuer“ ablehnte. „Die Weitergabe einer Umsatzsteuerersparnis an die Kunden läge allein im Ermessen des Unternehmers, ist von der Wettbewerbsposition abhängig und könnte vom Gesetzgeber nicht sichergestellt werden“, begründete man die Skepsis damals. Im Klartext: Das Parlament bezweifelte, dass die Vergünstigung beim Kunden ankommt.

Steuer-Experte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gibt außerdem zu bedenken, dass die Weitergabe von Steuervorteilen bestenfalls kurz überprüfbar sei. „Längerfristig ist das schwerer zu beurteilen, da sich die Preise auch aus anderen Gründen verändern.“

Minister Klöckner und Müller kritisieren Handel

Am Ende ist es der Handel, der Herstellerforderungen und gesellschaftliche Ziele je nach Sichtweise abfedern oder weitergeben muss. Dessen Preispolitik steht derzeit in der Kritik. Zum einen in der Diskussion um faire Lieferketten. Erst am Mittwoch hatte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die Händler in die Pflicht genommen, den Rohstoffproduzenten einen größeren Anteil des Endpreises zu lassen. Die Marge ließe diesen Spielraum zu.

Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) forderte den Handel anlässlich der Bauernproteste am Freitag auf, fairer mit Landwirten zu verhandeln. „Landwirte haben Sorge, ausgelistet zu werden, und sie sind häufig gezwungen, unlautere Handelspraktiken zu akzeptieren“, sagte sie und nannte Last- Minute-Stornierungen verderblicher Lebensmittel als Beispiel für derlei Druckmittel. Die EU hat sich Ende 2018 auf eine Richtlinie geeinigt, die unfaire Praktiken untersagt. Weil sich auch große Handelsketten oft zu Einkaufsbündnissen zusammentun, zogen selbst Konzerne wie Unilever zuletzt in den Verhandlungen mitunter den Kürzeren. Ob die ausgehandelten günstigen Preise beim Kunden ankommen, ist dabei aber ebenso wie bei Mehrwertsteuersenkungen völlig unklar.

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