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Gut operiert? Bei Unsicherheiten benötigen Patienten kompetente Beratung.

© Kitty Kleist-Heinrich

Finanzierung durch Krankenkassen "hinderlich": Patientenberater drängen auf Reformen

Die Unabhängige Patientenberatung drängt auf Reformen. Sie möchte etwa wegen Interessenskonflikten nicht länger durch die Krankenkassen finanziert werden.

Nach heftiger Kritik an angeblichen Qualitätsmängeln, unwirtschaftlicher Mittelverwendung sowie allzu großer Nähe zu Pharmaunternehmen und Krankenkassen präsentiert die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) nun von sich aus Vorschläge für eine Radikalreform. In ihrem „Konzept Modell 2023“ ist nicht nur die Rede davon, „die Beratung noch stärker an den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen auszurichten“. Die Verfasser des Papiers fordern gleichzeitig auch neue Rechts- und Finanzierungsformen zur Sicherung von Neutralität und Unabhängigkeit. Außerdem klar und deutlich: Die bisherige Finanzierung durch den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) müsse wegen möglicher Interessenkonflikte beendet werden.

Als Basis für qualitative Verbesserungen solle eine Bedarfsermittlung dienen, sagte UPD-Geschäftsführer Thorben Krumwiede bei der Vorstellung des Papiers. Diese sei in den 15 Jahren seit dem Start des kostenlosen Beratungsangebots für alle Patient:innen niemals erfolgt. Zudem denke man an eine verstärkte Nutzung von digitalen Beratungsformen und an eine „systematische An- und Einbindung“ des Beratungsangebots im Versorgungssystem – etwa durch verpflichtenden Verweis darauf in Krankenkassen-Schreiben oder durch stärkere Kooperation mit Pflegestützpunkten und Patientenorganisationen. Im Corona-Jahr 2020 hat die UPD allein knapp 173.000 Patienten beraten, das war eine Steigerung um 45.000 Ratsuchende.

Vorwurf des Rechnungshofes: Unwirtschaftliche Mittelverwendung

Hintergrund für den Reformvorstoß ist die gesetzlich vorgesehene Neuausschreibung der UPD-Trägerschaft im kommenden Jahr. Die Betreiber wünschen sich eine „Verstetigung“ ihrer Arbeit durch unbefristete Laufzeit – und argumentieren, dass dies aufgrund der inzwischen gewonnenen Kompetenz auch im Sinne der Beratungsbedürftigen sei. Die Große Koalition hatte sich im Jahr 2015 entschieden, die damals bei Verbraucherzentralen, Sozialverbänden und gemeinnützigen Trägervereinen angesiedelte Patientenberatung dem Duisburger Sanvartis-Konzern zu übertragen – einem Unternehmen, das sein Geld mit Callcentern für Krankenversicherer und Pharmaindustrie verdiente. Vielen Gesundheitsexperten und Patientenschützern war das nicht geheuer. Um den Zuschlag zu erhalten, musste Sanvartis für die UPD dann eigens eine Tochterfirma ausgründen, die keinen Profit erwirtschaften darf.

Doch die Vorbehalte der Kritiker wegen möglicher Interessensverquickungen blieben. Dazu kam dann, dass der Bundesrechnungshof der UPD im Juni 2020 unwirtschaftliche Mittelverwendung und Mehrfachstrukturen attestierte. Ihm zufolge gingen fast 30 Prozent der Fördersumme – mehr als 20 Millionen Euro – direkt an den Sanvartis-Unternehmensverband, der damit verschiedene Dienstleistungen bezahlt habe. Die Beratungstätigkeit für Patienten vor Ort dagegen sei trotz gestiegener finanzieller Mittel „massiv reduziert“ worden.

Krankenkassen sollen zu Hinweis auf Beratung verpflichtet werden

Das Führungsteam der UPD scheint auf diese Kritik nun zu reagieren. „Der Zielkonflikt, der für die UPD seit Beginn an besteht – auf der einen Seite viele Beratungszahlen und effiziente Angebotsstrukturen vorzuhalten und auf der anderen Seite vulnerable Zielgruppen zu erreichen – muss aufgelöst werden“, heißt es in dem nun vorgelegten Papier. Wichtig dafür sei eine Doppelstrategie. Einerseits neue Formen der Beratung, wie etwa Video-Telefonie, Live-Chats oder auch Webinare und Online-Infoveranstaltungen, gekoppelt mit Social-Media-Accounts. Anderseits eine niedrigschwellige Angebotsstruktur, bei der auch wieder stärker auf Vor-Ort-Beratung gesetzt werden solle. Zwar sei in den vergangenen 14 Jahren die telefonische Beratung mit rund 80 Prozent am häufigsten genutzt worden. Für komplexe Fälle, die etwa auch eine Sichtung von Unterlagen erforderten, seien aber auch persönliche Beratungen nötig. Und solche gut erreichbaren Beratungsstellen müssten auch als offenes Angebot vorhanden und „nicht zwingend nur nach vorheriger Terminvereinbarung erreichbar sein“.

Ein zentraler Punkt im UPD-Reformkonzept ist daneben der Wunsch, die Bekanntheit der Beratungsorganisation zu steigern. So solle „möglichst in allen Kontexten, in denen Beratungsbedarf entstehen kann, auf das Angebot der UPD verpflichtend hingewiesen werden“, fordern die Verfasser des Konzepts  – auf ablehnenden Leistungsbescheiden von Krankenkassen ebenso wie „entlang von Behandlungspfaden“, also beispielsweise auf Aufnahme-, Anamnese- und Aufklärungsbögen von Ärzten und Krankenhäusern.

Videocall direkt aus der elektronischen Patientenakte heraus

Auch an eine Einbindung in die geplante elektronische Patientenakte ist gedacht. „Wenn Ratsuchende beispielsweise aus der App der elektronischen Patientenakte heraus direkt per Videocall mit einem Berater der UPD sprechen könnten (…), würden sich Beratungskanäle in Orte und Prozesse dann eingliedern, wenn Informations- und Beratungsbedarfe entstehen“, lautet das Argument. Gleichermaßen sei im Nationalen Gesundheitsportal „ein direkter Einstieg in die Beratung“ zu ermöglichen. Und nach Ansicht ihrer Betreiber sollte die UPD auch „die Organisation sein, die die gesundheitsrechtlichen Informationen für das Nationale Gesundheitsportal erstellt beziehungsweise liefert“.

Ein weiterer Reformvorschlag lautet, dass die UPD „nicht länger nur Datenlieferant“ sein, sondern auch Anregungen und Vorschläge für Verbesserungen in der Versorgung machen und diese über Politik, Patientenorganisationen und Medienpartnerschaften verbreiten solle. Durch die Erkenntnisse aus der Beratung könne man „zu einer besseren und patientenorientierteren Gesundheitsversorgung beitragen“, so Krumwiede. Denkbar sei etwa ein regelmäßiger Jour Fixe im Bundestag. Von den Erfahrungen der Berater könne aber auch die Versorgungsforschung profitieren, betonte der UPD-Digitalexperte Marcel Weigand. Im sozialrechtlichen Bereich beispielsweise gebe es hier bislang einen „blinden Fleck“. Der Frage etwa, wie viele Rechtsbehelfsbelehrungen der Krankenkassen unvollständig oder falsch seien, habe sich bislang noch keine Untersuchung angenommen.

Finanzierung aus Steuern statt durch Krankenkassen

Und dann sind da noch Finanzierung und Trägerschaft. Beides solle künftig „frei von Partikularinteressen sein“, heißt es in dem Konzept. Die bisherige Finanzierung durch den GKV-Spitzenverband sei „keine zielführende Finanzierungsform für eine unabhängige Patientenberatung“. Begründung: Sowohl Ratsuchende als auch Kooperationspartner sähen „diese einseitige Finanzierung als hinderlich für die Beratung und Zusammenarbeit an“.

Stattdessen seien für die Finanzierung drei Optionen denkbar, so das UPD-Papier: aus Steuermitteln, über den Gesundheitsfonds oder über eine Systemumlage. Eine Finanzierung aus Steuern hatte in der Vergangenheit bereits die Linksfraktion gefordert. Und auch der Regensburger Staats- und Verwaltungsrechtler Thorsten Kingreen hatte im September in einem vom  Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) beauftragten Rechtsgutachten eine Steuerfinanzierung verlangt, um die finanzielle und organisatorische Unabhängigkeit vom GKV-Spitzenverband sicherzustellen. Die UPD-Verantwortlichen hielten damals noch dagegen.

Stiftung oder Non-Profit-Organisation als Träger

Nun drängen sie nicht nur ebenfalls auf eine andere Finanzierung, sie fordern auch ein „Kuratorium aus Verbraucher- und Patientenorganisationen“, um damit „Einflüsse durch Finanzmittelgeber, Politik und Selbstverwaltung zu minimieren“. Außerdem müsse die Trägerschaft entweder einer Non-Profit-Organisation oder einer Stiftung übertragen werden. „Eine privatwirtschaftliche Trägerschaft der UPD würde in der öffentlichen Wahrnehmung immer als kritisch angesehen, wie Erfahrungen aus der aktuellen Förderperiode zeigen“, lautet die Begründung.

Eine Stiftungslösung hatten zuvor bereits die Grünen und auch der Bundesrechnungshof empfohlen. Als Alternative dazu nannte der Rechnungshof noch als möglichen Träger das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Welchem Modell der Vorzug gegeben wird und was aus all den Reformideen wird, liegt nun am Gesetzgeber. Die Entscheidung fällt spätestens im nächsten Jahr.

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