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Wirtschaft: Riskanter Höhenflug

Der rasante Kursanstieg des Euro gegenüber dem Dollar gefährdet den Aufschwung. Fachleute fordern ein Eingreifen der Notenbanken, sollte die US-Währung weiter fallen

Von Carsten Brönstrup

und Henrik Mortsiefer

Wenn sich sieben ältere Herren in einem noblen Hotel in der Wüste treffen, um über ihr Geld und das Wohl und Wehe der Welt zu debattieren, interessiert das außer dem Hotelpersonal selten jemanden. Anders ist es, wenn die sieben Herren Finanzminister der größten Industrieländer sind und über ein brisantes Papier diskutieren. Dies kann dann rund um den Globus zu Finanzturbulenzen führen – und dazu in Deutschland die Angst schüren, dass die Konjunkturerholung zu Ende sein könnte, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Eigentlich hatten die Finanzminister vor drei Wochen in Dubai nur für mehr Flexibilität zwischen Dollar, Euro, Pfund, Yen oder Renminbi, der chinesischen Währung, plädieren wollen. Ihr Wunsch ging prompt in Erfüllung: Seit der Konferenz hat der US-Dollar zu einer steilen Talfahrt angesetzt – vor allem im Verhältnis zum Euro. Um fünf Prozent hat sich die Gemeinschaftswährung seither verteuert, gegenüber dem Tiefstand vom Herbst 2000 gewann der Euro gar mehr als 40 Prozent und stand am Freitagabend bei 1,1802 Dollar. So viel Flexibilität hatten die Minister dann doch nicht haben wollen.

Dabei war ihr Anliegen durchaus berechtigt: Dass eine Dollar-Abwertung fällig ist, bestreiten die meisten Ökonomen nicht. Der Grund: Die Amerikaner importieren seit Jahren mehr Güter, als sie exportieren. Dieses Leistungsbilanzdefizit (siehe Lexikon) können sie nur mit einem enormen Zustrom ausländischen Anlagekapitals finanzieren. Versiegt dieser Strom, gerät der Wert des Dollar ohnehin unter Druck. Hinzu kommt das enorme Haushaltsdefizit der USA: Die US-Regierung versucht, mit Steuersenkungen auf Pump die Konjunktur anzuheizen. Dieses Zwillingsdefizit ist aber äußerst riskant. Die Amerikaner schert es wenig – ein leichterer Dollar macht ihre Exportunternehmen wettbewerbsfähiger. Das kommt Präsident George W. Bush angesichts des nahenden Wahlkampfs um das Weiße Haus gelegen.

Den Deutschen hingegen passt der schwache Dollar gar nicht ins Konzept. „Der Kursanstieg des Euro macht alle Versuche der Bundesregierung, die Lohnstückkosten zu senken, zunichte“, klagt Reinhard Kudiß, Chefvolkswirt des Industrieverbandes BDI. Denn die versprochene Absenkung der Sozialbeiträge verpufft, wenn die Unternehmen zugleich wegen der Währungsturbulenzen im Ausland höhere Preise verlangen müssen.

Mittelstand ist nicht abgesichert

Das trifft besonders die deutsche Wirtschaft, die mehr als zwei Drittel ihrer Leistung über den Außenhandel erwirtschaftet. „Jeder Cent, den der Euro aufwertet, tut weh – vor allem dem Mittelstand“, sagt Axel Nitschke, Chefökonom des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Denn während sich Großkonzerne wie BMW oder Siemens mit Hedging-Geschäften (siehe Lexikon) zumindest für ein paar Monate gegen das Währungsrisiko abgesichert haben, stehen kleine Firmen meist ohne Schutz da.

Sollte der Euro noch teurer werden, gerät sogar die Erholung der deutschen Wirtschaft in Gefahr, die sich derzeit zaghaft andeutet und 2004 zu einem Wachstum von immerhin 1,8 Prozent führen soll. „Wenn der Dollar-Verfall in diesem Tempo anhält, wird das unsere Konjunktur abwürgen“, warnt Thomas Mayer, Europa-Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Der Aufschwung ist ohnehin fragil, die einzige echte Stütze ist der Export. Noch vertrauen die Experten darauf, dass 60 Prozent des deutschen Warenhandels nach Europa fließen und deshalb in Euro abgerechnet werden. Und sie hoffen, dass sich die Finanzmärkte bald beruhigen. „Wir sehen derzeit eine totale Übertreibung, die Gemüter werden sich wieder abkühlen“, hofft Michael Hüther, Chefökonom der Deka Bank in Frankfurt (Main). Zudem werde es in den USA bald aufwärts gehen – „dann schrumpft auch das Leistungsbilanzdefizit“, ist er sich sicher.

Und wenn nicht? Pessimisten halten es nicht für ausgeschlossen, dass der Euro bald die Marke von 1,25 Dollar hinter sich lassen wird und auch 1,30 Dollar überspringt. Sollte es zum Überschießen des Kurses kommen, müssen die Notenbanken eingreifen, verlangen Ökonomen. Das galt bislang als Tabu, weil Devisen-Interventionen gegen den Trend an den Märkten als aussichtslos angesehen wurden. Zumindest verbal aber hat die Europäische Zentralbank (EZB) bereits einen Vorstoß gewagt. „Wir hoffen und beten, dass die Korrektur des Dollar langsam und schrittweise vonstatten geht“, sagte EZB-Präsident Wim Duisenberg Anfang der Woche.

In Japan ist die Notenbank weniger zimperlich. 110 Milliarden Dollar hat sie seit Januar gekauft, um den Wertzuwachs des Yen zu bremsen. Andere Länder in Fernost haben ebenso gehandelt. „Wenn der Euro über 1,30 Dollar steigt, muss die EZB einschreiten“, fordert Deka-Bank-Mann Hüther. Dieser Meinung ist auch der Würzburger Wirtschaftsprofessor Peter Bofinger: „Die EZB muss jetzt handeln.“ So, wie die Notenbank Ende 2000 beherzt gegen den Absturz des Euro eingeschritten sei, müsse sie nun seinen Höhenflug stoppen. Dazu solle sie ein Kursband von 1,15 bis 1,20 Dollar für den Euro festlegen und Dollar kaufen, um die US-Währung zu stützen und Euro in den Markt zu pumpen. Um nicht die Geldbasis zu vergrößern und die Kontrolle über Zinsen und Inflation zu verlieren – sie sollen niedrig bleiben –, müsse die EZB Kredite an Banken zurückfahren.

China und Japan seien mit gezielten Interventionen schließlich durchaus erfolgreich gewesen. „Voraussetzung ist, dass man in der Position eines Landes mit starker Währung ist.“ Dies sei in der Eurozone der Fall. „Die EZB hat unbegrenzt viele Euro, um den Wechselkurs zu bewegen.“ Damit könne der Markt stabiler werden, sagt Bofinger. „Der Glaube an einen völlig freien Devisenmarkt, der die Dinge schon regelt, hat sich überlebt.“

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