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Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erwartet weniger Geschäftsreisen und private Kurztrips mit dem Flugzeug. 

© Thomas Trutschel/imago images/photothek

Exklusiv

Scheuer zu Flugverkehr in Corona-Zeiten: „Wer nicht auf Billigtickets setzt, wird gestärkt aus der Krise hervorgehen“

Am Donnerstag treffen sich Spitzenvertreter der Luftfahrt in Berlin. Der Verkehrsminister im Gespräch darüber, wie er sich "das Fliegen von morgen" vorstellt.

Im Zuge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft lädt Andreas Scheuer (CSU) an diesem Donnerstag in Berlin zum Aviation Summit mit Spitzenvertretern der Luftfahrt. Im Background-Interview spricht der Verkehrsminister über Ryanair, Flughäfen als Mobility-Hubs und KI im Luftverkehr.

Herr Scheuer, fliegen Sie dieses Jahr in den Urlaub?
Nicht in den Urlaub, aber ich fliege dienstlich. Zuletzt bin ich vergangene Woche in ein gut ausgelastetes Flugzeug gestiegen.

Fühlen Sie sich trotz Corona sicher?
Ja. Auf dem Flughafen und während des Fluges ist der Gesundheitsschutz mit den von Bund und Ländern beschlossenen Schutzmaßnahmen möglich und kontrollierbar. Auch das Robert Koch-Institut verweist auf die grundsätzlich gute Filterung der Luft in Flugzeugen. Das Boarden dauert allerdings etwas länger, weil Abstände gewährleistet werden müssen.

Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft findet am Donnerstag der Aviation Summit statt. Ursprünglich wollten sich die Verkehrsminister und Spitzenvertreter zwei Tage lang in Frankfurt am Main treffen. Jetzt findet der Gipfel virtuell statt – nicht einmal die Luftfahrtbranche selbst fliegt?
Gerne hätte ich die 250 Repräsentanten der Luftverkehrswirtschaft in Deutschland begrüßt. Wenn die Leut‘ zusammenkommen, ist die Atmosphäre eine andere. Unter den aktuellen Bedingungen geht das nicht. Gewissermaßen steht der Gipfel damit auch für die neue Zeitrechnung des Luftverkehrs.

Wie sieht diese aus?
Ich gehe davon aus, dass Geschäftsreisen prinzipiell weniger werden. Vermutlich auch private Kurzreisen. Statt für eine Hochzeit mit 30 Gästen mal eben nach Mallorca zu fliegen, werden viele künftig in der Lüneburger Heide oder an anderen schönen Orten Deutschlands feiern.

Sinkende Passagierzahlen bedeutet sinkende Einnahmen. Worauf muss sich die Branche einstellen?
Der Weltverband der IATA rechnet weltweit mit einem Minus von 287 Milliarden Euro im laufenden Jahr – das entspricht einem Einbruch von 50 bis 55 Prozent. Die globale Luftverkehrswirtschaft wird sich neu aufstellen und aufteilen. Das gilt für Flugzeugbauer, die Flughafeninfrastruktur und die Airlines. Deutschland und Europa stehen vor der Herausforderung, sich dabei im globalen Wettbewerb gegenüber anderen Standorten wie Asien und den USA zu behaupten.

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Wie kann das gelingen?
Bei dem ersten Treffen am Donnerstag, dem womöglich noch ein zweites folgt, geht es darum, einheitliche Standards und Regeln für den Standort Europa zu erarbeiten. Zudem wollen wir Antworten auf die Fragen liefern, wie die Existenz des Luftverkehrsstandorts gesichert werden und wie das Fliegen von Morgen aussehen kann. Eins ist klar: Die Branche muss noch moderner, effizienter und klimafreundlicher werden.

Welche Airlines haben besonders gute Chancen?
Jene, die breit aufgestellt sind und nicht auf Billigtickets setzen, werden gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Das Gegenbeispiel wäre Ryanair. Der Billigflieger steht wegen Niedriglöhnen in der Kritik, scheint nun aber sogar von der Krise zu profitieren. Für das Hilfspaket muss die Lufthansa Startrechte abgeben, die Ryanair jetzt haben will.
Das halte ich für kontraproduktiv – auch mit Blick auf den europäischen Green Deal. Auf nationaler Ebene werden wir uns darüber Gedanken machen, wie wir die Zukunft von jenen Airlines sichern können, die über Jahrzehnte gesund gewachsen sind und ihren Arbeitnehmern faire Löhne zahlen. Dabei appelliere ich auch an die Verbraucher. Sie entscheiden durch ihr Kaufverhalten mit.

Vergangenen Sommer ging es viel um Flugscham und darum, den Luftverkehr zu reduzieren. Daraufhin erhöhte die Bundesregierung die Luftverkehrsteuer. Nun ist der Staat Großaktionär bei der Lufthansa und der Steuerzahler hofft auf die Rückzahlung der Kredite. Wie wollen Sie diesen Interessenkonflikt lösen?
Interessen ja, Konflikte nein. Wir unterstützen den Luftverkehr genauso wie wir die Bahn unterstützen. Wir haben mit der Lufthansa eine Airline, die weltweit gut aufgestellt war und jetzt unverschuldet in die Krise gerutscht ist. Wir retten das Unternehmen und damit Arbeitsplätze und die Anbindung Deutschlands.

Und das Klima?
Der europäische Emissionshandel hat gezeigt, dass trotz des gewachsenen Luftverkehrs die Emissionen nicht genauso stark mitwachsen – durch neue Flugzeuge mit effizienteren Antrieben. Die Krise soll nicht dazu führen, dass wir beim Klimaschutz Zeit verlieren. Deshalb soll die Modernisierung der Flotte weitergehen. Wir unterstützen das mit einer Milliarde Euro aus dem Zukunftspaket.

Auch eine Quote für klimafreundliche Kraftstoffe steht dort drin.
Wir haben in Deutschland schon solche Anlagen, brauchen aber größere. Deshalb ist die Beimischungsquote ein Thema – was sich im Übrigen auf die Ticketpreise auswirken wird.

Bei der Lufthansa können Passagiere das bereits dazu buchen…
Sie können heute schon klimaneutral fliegen – ja. Massenwirksam ist das aber noch nicht, weil es zu teuer ist. Oder würden Sie auf ihr 400-Euro-Ticket noch einmal 200 Euro drauflegen? 

Die Lufthansa ist gerettet, aber auch die Flughäfen rufen nach staatlichen Hilfen – ungehört.
Das ganze Luftverkehrssystem ist wichtig. Wenn Infrastruktur wegbricht, sind Regionen nicht mehr versorgt. Und in die Zukunft gedacht, entwickeln sich auch kleinere Flughäfen zu Hubs für neue Mobilität – mit emissionsfreier Logistik wie Drohnen zum Beispiel.

Sie wollen also auch die kleineren – oft umstrittenen – Airports erhalten?
Was heißt denn umstritten? Strukturen aufzugeben, das wird vielleicht in der Hauptstadt diskutiert, aber in der Fläche sicher nicht. Wenn ein Flughafen mal geschlossen wird, ist die ganze Region in Aufruhr. Unser Strukturpaket für die Regionalflughäfen dient auch der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.

Die EU drängt darauf, dass kleinere Flughäfen künftig weniger Beihilfen bekommen.
Das springt zu kurz. Niemand würde fordern, Bahnhöfe aufzugeben. Wenn ein Regionalflughafen zusperrt, dann wird dort auch morgen kein Fluggerät landen, das einen Wasserstoff- oder Elektroantrieb hat. So wie Bahnhöfe zu Mobilitätsplattformen werden können das auch kleine Flughäfen.

Nicht nur Corona stellt die Branche vor Herausforderungen. Auch die Digitalisierung und KI verändern die Luftfahrt und die gesamte Mobilität. Die Themen stehen im Fokus der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
Deutschland muss den Fortschritt vorantreiben. Die meisten bereits real angewendeten und erlebbaren KI-Anwendungen laufen tatsächlich in der Mobilität: vom ersten Testfeld für autonomes Fahren im Stadtverkehr hier in Berlin, über ein Testfeld zum digitalen Hafen bis hin zum vergangene Woche gestarteten Reallabor Hamburg. Vieles läuft bereits gut in Deutschland. Corona kann hier ein Beschleuniger sein: Bedenken sind in den Hintergrund gerutscht, die Chancen überwiegen.

Letzte Frage: Wie hoch sind die Chancen, dass der Hauptstadtflughafen BER nun wirklich eröffnet?
(lacht) Die Hoffnung ist nicht unbegründet. Im Ernst: Alles andere wäre nicht erklärbar.

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