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Die Scandlines-Fährschiffe „Copenhagen“ und „Berlin“ liegen in Stralsund und können nicht ausgeliefert werden.

© ZB

Schiffsbau: Durcheinander bei P+S-Werften

Chaos an der Küste: Mit der Taufe der Fähre „Berlin“ wollte die Reederei Scandlines durchstarten. Doch das Schiff kommt nicht.

Die Ermittlungen der Wasserschutzpolizei Lübeck-Travemünde sind abgeschlossen: „Menschliches Versagen“ werden die Beamten in ihren Bericht schreiben, der später unter dem Kapitel „Schwarzer Mai“ in die Firmenchronik der Reederei Scandlines eingehen dürfte. Vor einem Monat, am 3. Mai kurz nach 18 Uhr, war die 190 Meter lange „Nils Holgersson“ der konkurrierenden TT-Line geradeaus auf die Scandlines-Fähre „Urd“ zugesteuert, die am Kai entladen wurde. Es donnerte, die „Holgersson“ riss ein sechs Quadratmeter großes Loch in den Rumpf der „Urd“, Wasser drang ein, das drückte den Bug auf den Grund des Hafenbeckens. Mehr als einhundert Retter eilten zum Unfallort, zum Glück wurde niemand verletzt.

Dieser Fall ist nur ein Glied in einer Kette von (Fast-)Pleiten, Pech und Pannen, die sich in den vergangenen Wochen rund um die einst stolze deutsch-dänische Staatsreederei (siehe Kasten) abgespielt haben. Mal war es Fremdverschulden, wie im Falle der Havarie von Travemünde. Mal wurden die Schuldigen in den eigenen Reihen identifiziert. Kurios dabei: Oft spielt bei den Problemen die Hauptstadt eine Rolle. Mancher an der Ostseeküste spricht schon vom „Berliner Fluch“.

So musste Bengt Pihl, ein breitschultriger Schwede, wohnhaft in Berlin-Lichterfelde, Ende April nach zwei Jahren den Chefsessel bei der Reederei räumen. Er war der 21. Geschäftsführer in den 19 Jahren seit Gründung der Vorgängerunternehmens DFO. Im Schnitt blieben seine Vorgänger also kein Jahr lang.

Die Kanzlerin sollte Taufpatin sein

Der Manager, der dieser Tage nicht zu sprechen ist, galt für die Mitarbeiter zunächst als Hoffnungsträger. Im Betriebsrat hält man ihn für einen „guten Mann“ – obwohl er im April mitgeteilt hatte, dass sich Scandlines von 175 der derzeit 2200 Angestellten in Dänemark und Deutschland würde trennen müssen. „Trotz der Umstrukturierungsmaßnahmen werden wir weiterhin eine der größten Reedereien des Ostseeraums bleiben“, sagte er vor sechs Wochen. Wenige Tage später musste er auf Druck der Eigentümer, der Finanzinvestoren Allianz Capital Partners und 3i, gehen – womöglich, weil der Satz ihren Plänen widersprach.

Pihl hatte dieser Tage, zum Auftakt der Hochsaison, die beiden neuen Fähren „Berlin“ und „Copenhagen“ in Dienst stellen wollen. Es war ihm sogar gelungen, Kanzlerin Angela Merkel als Taufpatin für die Zeremonie zu gewinnen. Er hatte die beiden 169-Meter langen Fähren für 230 Millionen Euro bei den lokalen P+S Werften in Stralsund und Wolgast in Auftrag gegeben. Deren Chef bezeichnete den Auftrag als „Meilenstein“.

Kurz nach Pihls Entlassung sagte der neue Scandlines-Chef Søren Poulsgaard Jensen den Termin mit der Kanzlerin ab. Die Schiffe würden wohl nicht mehr in diesem Jahr fertig, sagte er. Touristen müssen daher weiterhin auf den beiden 32 Jahre alten Fähren von Rostock ins dänische Gedser fahren. Das Brandschutzsystem habe (wie beim Berliner Flughafen) nicht funktioniert, munkelt man. „Das hat nur eine untergeordnete Rolle gespielt“, erklärte Poulsgaard Jensen dem Tagesspiegel jetzt. Spekulieren wolle er aber nicht. „In jedem Fall ist die Anpassung unseres Linienbetriebs an die Verzögerungen auf der Werft mit hohen Zusatzkosten verbunden“, ergänzte er und verwies auf branchenübliche Verträge, in denen Werften bei Verzögerungen Entschädigung an die Reeder zahlen müssen.

Bei den P+S Werften in Stralsund, wo die Schiffe liegen, hat man andere Sorgen: Dort droht offenbar – auch wegen der verzögerten Auslieferung der Fähren – die Insolvenz, wie es bei der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern heißt. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) erklärte vergangene Woche, P+S brauche „erhebliche finanzielle Mittel, um sich neu zu strukturieren“. 200 Millionen Euro hieß es erst, nun ist gar von 292 Millionen die Rede. Eine P+S-Sprecherin sagte am Freitag, sie könne sich dazu derzeit nicht äußern.

Auch Zulieferer müssen blechen

Am Donnerstag war Sellering mit seinem Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) zur EU-Kommission nach Brüssel geflogen, um sich den Segen erteilen zu lassen, eine „Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfe“ für die Werften zahlen zu dürfen. Sie erhielten ihn nur unter strengen Auflagen. Tags darauf jagten die politischen Seenotretter von einer Krisensitzung in die nächste, am Freitagabend stellten sie dann ihren ungewöhnlichen Plan vor: Er sieht vor, dass sich die 1750 Mitarbeiter beteiligen – und zwar nicht allein durch Lohnverzicht. Auch Zulieferer müssten Geld aufbringen. Ob auch der Kunde Scandlines opfern muss, blieb vorerst offen. Für die nötige Umstrukturierungsbeihilfe müssten 109,6 Millionen Euro private Mittel zusammengebracht werden, sagte Sellering. Dann könnten Bund und Land 182 Millionen Euro dazulegen. „Brüssel hat die Werften nicht fallengelassen. Es wird weiter hart an einer Lösung der Werftstandorte gearbeitet“, sagte Minister Glawe.

Bei Scandlines beobachtet man den Zustand der Werft mit Sorge, ist aber mit sich selbst beschäftigt: Diese Woche bestätigte das Unternehmen Gerüchte, wonach die Eigentümer Allianz und 3i sich von Fracht-Routen ins Baltikum und nach Schweden trennen. Die fünf Routen trugen zuletzt rund 20 Prozent zum Umsatz bei und waren einst eingerichtet worden, um ein zweites Standbein neben dem Touristikgeschäft zu haben. Ex-Chef Pihl hatte den Verkauf stets dementiert, nun gehen sie an den Konkurrenten Stena. 300 Mitarbeiter sollen mitgehen – und bei Stena unterkommen. „Unser erklärtes Ziel ist es, Scandlines zukünftig stärker als Passagier-Reederei zu positionieren“, sagt der neue Chef Poulsgaard Jensen.

Betriebsratschef Detlef Kobrow sieht das anders: „Von Scandlines aus Zeiten vor der Privatisierung ist kaum noch etwas übrig. Was wir jetzt erleben, ist die Zerschlagung des Unternehmens“.

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