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Dritter Platz. In Jänschwalde steht einer der 20 größten Umweltverschmutzer.Foto: dpa

© dpa

Wirtschaft: Schmutziges Europa

Die Industrie verursacht gewaltige Umweltschäden Jeden Bürger kostet das pro Jahr bis zu 330 Euro.

Berlin - Es herrscht dicke Luft in der Hauptstadt. Das liegt nicht nur an der Großwetterlage: Ein seit Wochen stabiles Hoch hält den im November sonst üblichen Westwind fern. Feinstaub in der Luft wird kaum fortgetragen; der Grenzwert von 50 Mikrogramm Partikel je Kubikmeter Luft wird derzeit fast täglich überschritten. Doch auch wenn der Wind dreht, bleibt Berlin eine belastete Stadt. Das geht aus einer groß angelegten Studie im Auftrag der EU-Kommission hervor, die am heutigen Donnerstag in Kopenhagen vorgestellt wird und dem Tagesspiegel bereits vorliegt.

Sie zeigt, dass Luftverschmutzung gerade in Berlin und Brandenburg ein deutlich größeres Problem für Wirtschaft, Umwelt und Gesundheit ist, als gemeinhin angenommen. „Die Region gehört zu denen in Europa, wo Luftverschmutzungen der Industrie die höchsten Kosten verursachen“, sagte Martin Adams, Emissionsexperte bei der Europäischen Umweltagentur (EEA) dieser Zeitung. „Dies liegt daran, dass es um Berlin herum relativ viele Industrieanlagen gibt, die Kohle verbrennen – auf deutscher und polnischer Seite“. Rechnerisch wirke sich das in einer Millionenstadt deutlich stärker aus als als an Kraftwerksstandorten in Ostpolen oder Griechenland, die in dünner besiedelten Gebieten stehen.

Erstmals seit ihrer Gründung 1990 hat die Agentur, die von der EU-Kommission und einigen Nicht-EU-Staaten finanziert wird, die meldungspflichtigen Daten von fast 10 000 Anlagen ausgewertet, die klima- oder gesundheitsschädliche Stoffe in die Luft abgeben: Kohlendioxid, Stickoxide, Feinstaub, Ammoniak, Schwefeldioxid. Darunter sind Kraftwerke, Raffinerien, größere Fabriken und wenige landwirtschaftliche Großbetriebe. Nicht in die Berechnungen eingegangen sind der Verkehrssektor oder Emissionen aus der Landwirtschaft, wo ebenfalls viel klimaschädliches Methan entsteht.

Am Ende entstand auf Basis von Daten aus dem Jahr 2009 eine Rangliste der volkswirtschaftlich teuersten Luftverschmutzer Europas. Acht der 20 größten stehen demnach in Deutschland, zwei davon in Brandenburg: Das Kraftwerk Jänschwalde (Platz 3) und das Kraftwerk Schwarze Pumpe (20). Die Anlage Boxberg (11) liegt nur kurz hinter der Landesgrenze in der sächsischen Oberlausitz.

Um die Rangliste aus Tausenden unterschiedlichen Anlagen zu erstellen, nutzten die EU-Umweltforscher Methoden, die im Rahmen des Clean Air for Europe-Programms (Cafe) entwickelt worden sind. Dessen Ziel ist es, bisher kaum bezifferbaren Schäden ein Preisschild zu geben. So lassen sich externe Kosten, die in keinem Geschäftsbericht, keiner volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auftauchen, erstmals darstellen: Kosten, die durch Atemwegskrankheiten in der Bevölkerung entstehen etwa. Auch Sterblichkeitsraten oder Ernteausfälle durch Ozonbelastung gingen in die Berechnungen ein – und sogar die Erkenntnis, dass Blei und Quecksilber in der Luft Nervenschäden bei Menschen verursachen, die letztlich zu einem geringeren Intelligenzquotienten und einem daraus resultierenden Produktivitätsverlust führen.

Jetzt präsentiert die EEA ihren Auftraggebern die Rechnungssumme: Allein im Jahr 2009 habe Luftverschmutzung so Schäden im Gesamtwert von 169 Milliarden Euro verursacht. Das wäre deutlich mehr als die Hälfte des Bundeshaushaltes (306 Milliarden). Die Zahl dürfte auch in der aktuellen Debatte um ein Gesetz eine Rolle spielen, das Industriebetriebe ab 2012 im hohen Umfang von Kosten des Stromnetzausbaus befreien soll.

Die Forscher räumen ein, dass die Schadenssumme einen „gewissen Grad an Ungewissheit“ beinhaltet. Allerdings könne man davon ausgehen, dass industrielle Luftverschmutzer jeden EU Bürger umgerechnet rund 200 bis 330 Euro kosten.

Jacqueline McGlade, Präsidentin der EEA, verweist auf das Studienergebnis, wonach ein Fünftel der Luftverschmutzungskosten in Deutschland anfallen. Vor dem Hintergrund gibt sie der deutschen Politik und Wirtschaft den Rat, den Anteil der erneuerbaren Energien, die keine direkten Emissionen produzieren, schneller zu erhöhen – „zum Vorteil der Gesundheit der Bevölkerung und der Wirtschaft insgesamt“, sagt McGlade.

Nun wollen die Forscher nicht als Träumer dastehen. In dem 74 Seiten starken Bericht würdigen sie, dass die Anzahl der Industrieanlagen auch in Relation zur wirtschaftlichen Leistung und Produktivität eines Landes gesetzt werden muss. Gemessen daran seien Anlagen in Bulgarien oder Rumänien schädlicher.

Das wenigstens wird man beim schwedischen Staatskonzern Vattenfall, der die zu DDR-Zeiten gebauten Kohlekraftwerke hierzulande betreibt, gern hören. Vattenfall-Chef Øystein Løseth will auf Druck seiner Regierung den Konzern vom Dreckschleuderimage befreien, verkaufte bereits polnische Kraftwerke und philosophierte jüngst auch über das Ende der Kohle in Brandenburg. Die Aussicht auf saubere Luft löste in der Landeshauptstadt Potsdam allerdings keine Freude aus – sondern große Angst vor dem Verlust tausender Jobs.

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