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Tempo für die Volksrepublik. Den Zefiro 380 gibt es derzeit nur als Kunststoffmodell, auf der Innotrans wird er erstmals gezeigt. 2012 soll er als schnellster Zug der Welt durch China eilen.

© dapd

Sparzwang und schlechte Qualität: Deutschland verpasst Renaissance der Bahn

Weltweit erlebt die Eisenbahn eine Renaissance. Hierzulande bremsen Sparzwang und Qualitätsmängel die Euphorie.

Das Prunkstück glitzert in weißem Lack und schwarzem Glas, heißt Zefiro und wird mit bis zu 380 Stundenkilometern über die Schienen rauschen. Etwas weniger, 320 Sachen, schafft der ähnlich schnittige Konkurrent Velaro, er funktioniert mit vier unterschiedlichen Stromsystemen. Der New Pendolino kann sich schwungvoll in die Kurve legen und damit auf eng gewundenen Trassen Tempo machen. Anderes hat eine U-Bahn zu bieten, die schlicht Linie C heißt: Sie flitzt ohne Lokführer durch die Tunnel Roms. Das soll zuverlässig sein und Geld sparen.

Wenn ab Dienstag die Besucher auf die Branchenmesse Innotrans strömen, werden sie auf einen heftigen Kontrast zur tristen Zugwelt ihres Alltags treffen. Während die Industrie mit Hightechzügen, neuester Komforttechnik oder ausgefeilten Stromsparsystemen prahlt, blicken sie verstimmt auf die Pannenserie der vergangenen Monate zurück: Ausfälle und Verspätungen bei der Berliner S-Bahn, saunagleiche ICE-Waggons, im Pulverschnee kollabierende Züge mit morschen Achsen, eine Tür, die plötzlich bei Tempo 200 verloren geht – diese und andere Vorfälle machten das Jahr, in dem die Branche den 175. Jahrestag ihres Auftauchens in Deutschland feiert, zum Annus horribilis.

Es will natürlich niemand gewesen sein – Hersteller, die Deutsche Bahn und die Aufsichtsbehörden schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Es ist wohl eine Mischung aus mangelnder Wartung, schlampiger Konstruktion und zu laxer Kontrolle, die das Chaos herbeigeführt hat. „So gut wie noch nie hat ein neuer Zug einwandfrei funktioniert“, schimpft Holger Krawinkel, Verkehrsexperte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. „Die Hersteller investieren viel zu wenig für Erprobung und Entwicklung – das könnte sich die Autoindustrie niemals leisten.“ Manager in der Branche geben zu, dass ihre Industrie nach dem Prinzip Banane arbeitet – „das Produkt reift beim Kunden“.

Dabei erlebt die Eisenbahn weltweit einen ungeahnten Aufschwung. Nach Jahrzehnten der Autoeuphorie entdecken viele Länder die Vorzüge des klimafreundlichen Verkehrsmittels. China etwa verfügt schon jetzt über das größte Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt, und die Kommunisten sind mit ihren Milliardenprojekten längst nicht fertig. Zudem müssen die Industrieländer den Güterstrom bewältigen, den ihnen die globale Arbeitsteilung beschert hat. Einer Studie der Beratungsfirma SCI Verkehr zufolge soll der Schienengüterverkehr in den nächsten zehn Jahren um 50 Prozent zulegen, der Personenverkehr gar um 60 Prozent.

Ein krasser Kontrast dazu ist die Lage in der Bundesrepublik. Zwar wird der deutsche Schienenmarkt in nächster Zeit so rasch expandieren wie kein anderer in Europa, weil es immer mehr Wettbewerb um Regionalstrecken gibt und die Bahn ihre jahrzehntealten ICs ausmustert. Doch die Verkehrspolitik läuft Gefahr, mit dem Tempo nicht Schritt halten zu können. Für einen echten Ausbau der Schienenkapazitäten fehlt ihr das Geld. Die Milliarden, die in der Kasse sind, fließen in bereits begonnene Megaprojekte wie die ICE-Strecke Nürnberg-Erfurt. Oder in Vorzeigeunternehmen wie Stuttgart 21, die umstrittene Tieferlegung des Hauptbahnhofs.

Derartige Vorhaben sind nicht nur wegen der unüberschaubaren Kosten in der Kritik. Schnellbahntrassen stiften für den Güterverkehr kaum Nutzen. Die derzeit mit drei Milliarden Euro veranschlagte Trasse Stuttgart-Ulm ist für voll beladene Züge zu steil. Und zwischen Nürnberg und Leipzig werden, wenn die Strecke fertig ist, wohl nur einige Touristen reisen, aber keine Container- und Kieswaggons.

Im Temporausch haben Politik und Bahn seit 1994 von den rund 60 Milliarden Euro, die für die Schiene vorhanden waren, ein Drittel für Neubaustrecken ausgegeben. Trotzdem ist die Zahl der Passagiere im ICE-Fernverkehr seitdem gesunken. Für Güterstrecken ist nur ein Bruchteil abgefallen. Insgesamt ist das Schienennetz seit der Wende sogar um ein Sechstel geschrumpft – Strecken auf dem Land wurden dichtgemacht, Gleisanschlüsse der Industrie abgebaut. Die Bahnindustrie verlangt eine Abkehr von dieser Politik. Fünf Milliarden Euro müsse der Bund ins Netz investieren, fordert Verbandspräsident Klaus Baur. Im Etat 2011 sind 3,9 Milliarden vorgesehen. „Ohne zusätzliche Investitionen im Personen- wie im Güterverkehr können wir das anstehende Verkehrswachstum nicht bewältigen“, mahnt er.

Dabei ist auch mit den vorhandenen Mitteln einiges möglich. Einer Studie für das Umweltbundesamt zufolge könnte der Bund die Güterverkehrsleistung verdoppeln – indem er Strecken modernisierte und elektrifizierte sowie Ausweichrouten für stark befahrene Abschnitte baute. Kosten: rund elf Milliarden Euro – so viel, wie Stuttgart 21, die Schnelltrassen nach Ulm und Nürnberg-Erfurt wohl zusammen kosten werden.

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