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Eine gelbe Berliner Straßenbahn fährt über den Rosenthaler Platz.

© Doris Spiekermann-Klaas

Stromfresser in Angst: Wie gefährlich wird die Energiewende für Berlin?

Insgesamt 21 Unternehmen in der Hauptstadt müssen derzeit keine Ökostrom-Umlage zahlen. Sie fürchten, dass die neue Regierung das nun ändert - mit üblen Folgen für Berlin.

Merci, dass es dich gibt. Die Werksleiter von 2295 energiefressenden Unternehmen sind mehr oder minder dankbar, dass sie von der „Besonderen Ausgleichsregelung“ im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) profitieren: Dieser Terminus bedeutet, dass sie von der EEG-Umlage weitestgehend befreit sind, damit sie im globalen Wettbewerb bestehen können, so die Begründung. Die Umlage müssen ansonsten praktisch alle Stromkunden zahlen, um damit die Ökostromproduktion zu finanzieren.

Weniger als ein Prozent der von der Umlage geschonten deutschen Fabriken, exakt 21 sind es in diesem Jahr, sitzen in Berlin. Es sind unter anderem die BVG und die S-Bahn, eine Getränkedosenfabrik und die Berliner Schokoladenfabrik der Storck KG in Reinickendorf, wo vor allem „Merci“-Schokolade hergestellt wird.

Gefahr aus dem Regierungsviertel

Dort erhitzen Maschinen riesige Tiegel mit Schokoladenmasse zu dampfender Flüssigkeit und schwenken sie permanent, damit sich keine Klümpchen bilden. Dann gießen sie die kleinen Riegel, die mit hohem Energieaufwand wieder abgekühlt werden. Warum nicht einfach so kühlen lassen? „Geht nicht, wenn man Qualität produzieren will“, beteuert Storck-Sprecher Bernd Rößler.

Das Management beobachtet derzeit mit großer Sorge, was dieser Tage zehn Straßenkilometer weiter südlich im Regierungsviertel verhandelt wird: Die Unterhändler von Union und SPD der Arbeitsgruppe Energie haben sich in ihrem jüngsten Entwurf zum Koalitionsvertrag zwar zu dieser Ausgleichregelung im EEG bekannt. „Nur so können wir geschlossene Wertschöpfungsketten und industrielle Arbeitsplätze dauerhaft halten.“ Dann aber stellen die möglichen Koalitionäre auch fest, dass immer mehr Antragsteller immer mehr Strommengen dem Finanzierungssystem der Energiewende entzogen hätten.

Man werde sich dafür einsetzten, die Regelung rechtlich abzusichern, heißt es weiter. Das ist eine Referenz auf EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia. Der Spanier will untersuchen lassen, ob die Befreiung der deutschen Industrie von einem maßgeblichen Kostenteil der Energiewende nicht eine illegale Subvention sein könnte. Also kündigen Union und SPD an, dass „wir die Privilegierung in einzelnen Branchen vorrangig anhand objektiver, europarechtkonformer Kriterien“ überprüfen werden.

Bernd Rößler von der Berliner Schokofabrik Storck ist alarmiert. Mindestens die Hälfte der Waren gehen in den Export, argumentiert er. Man stehe also klar im internationalen Wettbewerb. „Es sind die inländischen Unternehmen, die Arbeitsplätze sichern. Und Storck produziert nur im Inland.“ Auch Pläne, spezielle Energiesparkriterien zu erfüllen, um befreit zu bleiben, hält er für Unfug: „Jede Effizienzmaßnahme, die sich rechnet, ergreifen wir schon jetzt“, sagt er.

Echtes Entsetzten herrscht bei den Berliner Verkehrsbetrieben, die naturgemäß nicht geltend machen können, dass sie im internationalen Wettbewerb stehen. Dort hat man ausgerechnet, was der Wegfall der Befreiung kosten würde: „20 Millionen!“, ruft BVG-Sprecherin Petra Reetz in den Hörer. So viel mehr müsse man jährlich für den Strom der U- und Straßenbahnen zahlen. Es sei absurd: Der öffentliche Nahverkehr sei immer ein Zuschussgeschäft. Einsparungen in dem Volumen seien unmöglich. Es blieben nur zwei Lösungen: Die zu 100 Prozent landeseigene BVG setzte auf ihren Schuldenberg von aktuell 400 Millionen Euro noch einmal 20 Millionen drauf. Oder man erhöhe die Ticketpreise merklich.

Beim Berliner Zementwerk in Rummelsburg, das derzeit Baustoff fürs Stadtschloss und den Bahnhof Ostkreuz liefert, beziffert man den möglichen Mehrbetrag auf eine hohe sechsstellige Summe, „die erst einmal verdient werden muss und die für uns als mittelständisches Unternehmen wie ein Mühlstein um den Hals wirkt“, sagt Prokurist Werner Laux.

Bei der Schüttmühle in Spandau, wo bei hohem Automatisierungsgrad jährlich 165 000 Tonnen Weizen gemahlen werden, macht man eine andere Rechnung auf: Der Wegfall der Ausgleichsregelung würde jede Tonne Mehl um etwa fünf Euro verteuern. Hochgerechnet auf einen 20-Tonnen-Lkw könnte es für die Müller lohnend sein, mit dem eh schon beladenen Lkw noch 100 Kilometer weiter nach Polen zu fahren und dort mahlen zu lassen, heißt es beim Mühlen-Bundesverband.

Ist das womöglich genau die Art von Wettbewerb, die Art Binnenmarkt, die EU-Kommissar Almunia stärken will? Bei der ebenfalls befreiten Firma Presswood aus Lichtenrade, wo Frachtpaletten aus Pressholz gefertigt werden, hat man zum Thema keine Meinung mehr. Das Werk macht am Jahresende dicht – zugunsten der Muttergesellschaft in Holland.

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