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Gibt es bald den nächsten Streik bei der Bahn?

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Tarifstreit bei der Bahn: Jetzt droht die Eisenbahnergewerkschaft EVG mit Streik

Im Streit zwischen GDL-Chef Weselsky und der Bahn-Spitze stand Alexander Kirchner im Hintergrund. Ob es nun eine Lösung gibt, hängt auch vom Vorsitzenden der Eisenbahnergewerkschaft EVG ab.

Eigentlich ist es ein ständiger Kampf. Seit Jahren liegen sie über Kreuz, beharken sich, beschimpfen einander. Ihr seid Egoisten, sagen die einen, achtet nur auf euer eigenes Fortkommen und legt gewissenlos Deutschland lahm. Ihr sei der Pudel des Managements, kontern die anderen, handzahm und ohne Biss.

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) pflegen eine intensive Feindschaft. Zulasten der Bahn-Kunden, sechs Mal schon haben die Lokführer zuletzt die Arbeit niedergelegt. In den kommenden Tagen entscheidet sich, ob es einen siebten oder achten Ausstand gibt – und Alexander Kirchner, 58, der Vorsitzende der EVG, dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen.

Das ist neu. Bislang hat GDL-Chef Claus Weselsky, 55, alle Pfeile auf sich gezogen. Wegen seines kompromisslosen Auftretens, seiner Härte. „Chaos- Claus“ nennt ihn der Boulevard, den „Bahnsinnigen“. Sein Konkurrent Kirchner ist kaum aufgefallen. Den stört das nicht. „Ich habe kein Interesse, so stark im Zentrum der Medien zu stehen wie Herr Weselsky“, sagt er. „Das lenkt von der Sache ab.“

Kampfansage. Alexander Kirchner weiß 209 000 EVG-Mitglieder hinter sich.
Kampfansage. Alexander Kirchner weiß 209 000 EVG-Mitglieder hinter sich.

© picture-alliance/ dpa

Dabei ist Kirchner noch mächtiger als sein Gegenspieler. 209 000 Mitglieder zählt seine EVG, 34 000 die GDL. Würde Kirchner seine Fahrdienstleiter in den Stellwerken zum Streik rufen, der gesamte Zugverkehr stünde still – nicht nur zwei Drittel wie bei den Lokführern.

Die Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier Weselsky, über 1,90 Meter, aus Dresden, stets in Anzug und Krawatte und selten eine Miene verziehend. Dort Kirchner, geboren bei Limburg, einen Kopf kleiner, ein Gemütsmensch mit Drei- bis Fünf-Tage-Bart, der im Leben keinen Schlips umbinden würde – aus Prinzip. Ihre Führungsstile sind so unterschiedlich wie Dampflok und ICE. Weselsky hat die Lokführer-Gewerkschaft straff auf sich ausgerichtet, alle wichtigen Fragen entscheidet er. Kirchner legt Wert darauf, die Basis zu Wort kommen zu lassen. Die jüngste EVG-Tarifforderung, sechs Prozent mehr Geld, kam erst nach einer schriftlichen Befragung der Mitglieder zustande – das ist unüblich bei Gewerkschaften.

Es geht um Macht, weniger um Geld

Doch um Geld geht es nur am Rande. Wichtiger ist Macht: GDL und EVG beanspruchen beide, für das fahrende Personal zuständig zu sein. Bis Ende Juni galt ein Burgfrieden, wonach die GDL für die Lokführer verhandelte und die EVG für alle anderen, inklusive Zugbegleiter. Problem: Die EVG hat auch Lokführer in ihren Reihen, die GDL auch Zugbegleiter. Jetzt will jeder wieder für seine Klientel verantwortlich sein. Die Bahn steht zwischen den Parteien und will konkurrierende Tarifverträge verhindern.

Weselskys Behinderten-Spruch hat Kirchner persönlich getroffen

Nichts geht mehr. Der Lokführer-Streik legte den Verkehr auf der Schiene kürzlich für mehrere Tage lahm.
Nichts geht mehr. Der Lokführer-Streik legte den Verkehr auf der Schiene kürzlich für mehrere Tage lahm.

© dpa

Der Zwist zwischen Kirchner und Weselsky reicht längst bis ins Persönliche. Freunde waren sie noch nie. Im August erlaubte sich der GDL-Chef dann einen Fauxpas, der Kirchner traf. Wenn zwei Kranke miteinander ein Kind zeugten, komme „etwas Behindertes raus“, dröhnte er – und meinte die Fusion der Gewerkschaften Transnet und GDBA zur EVG. Kirchner hatte einen Sohn, der mit einer Behinderung zur Welt kam und später starb. Weselsky entschuldigte sich – doch nur halbherzig, findet Kirchner. „Er hat bis heute nicht realisiert, was er da gesagt hat.“

Kirchner glaubt noch an die Solidarität der Arbeitnehmer untereinander

Die Vorgeschichte des Konflikts geht weit zurück. Gegründet wurde die GDL im 19. Jahrhundert, weil die Lokführer von Unter- zu Subalternbeamten aufsteigen wollten. Bis 2002 verhandelten die Bahn-Gewerkschaften noch gemeinsam. Dann scherte die GDL aus, weil sie sich untergebuttert fühlte. Seither, sagt Kirchner, setze sie auf Konflikt und Eskalation. „Immer, wenn wir für etwas sind, ist die GDL dagegen.“ Kirchner glaubt noch an das Ideal der Solidarität unter Arbeitnehmern. „In einer guten Gemeinschaft helfen die Starken den Schwachen.“ Deswegen fuchst es ihn so, dass sich die Lokführer wichtiger nehmen als ihre Kollegen. Und behaupten, mehr für ihre Leute zu tun. „Die Fakten sind anders – den Konflikt mit der Bahn in Sachthemen tragen wir aus, nicht die GDL.“ Die EVG sei es gewesen, die für die Abberufung Hartmut Mehdorns gesorgt habe, die Personalmangel zum Thema gemacht habe und die Schließung von Bahn-Werken. „Zu alldem hat die GDL geschwiegen.“

In solchen Momenten gerät Kirchner in seinem hessischen Singsang in Rage. Er hat einen weiten Weg hinter sich, seit er vor 41 Jahren bei der Bundesbahn anfing, als Azubi zum Energieanlagen-Elektroniker. 1983 wurde er als Personalrat freigestellt, 1991 wechselte er in die Gewerkschaftszentrale. Heute ist er Vizechef des Bahn-Aufsichtsrates. Weselsky hat auf ein Amt als Kontrolleur verzichtet, um sich abzugrenzen. „Kirchner weiß um die Risiken eines solchen Amtes“, heißt es im Aufsichtsrat. „Aber nur hier kann er die Dinge wirklich beeinflussen – denn wenn die Bahn Probleme kriegt, spart sie zuerst am Personal.“

"Mit ihm kann man anschließend ein Bier trinken"

Über die Jahre hat er sich bestens vernetzt im Konzern. In Diskussionen sei er ein harter Gegner, heißt es in der Politik. „Anschließend kann man aber ein Bier mit ihm trinken, auch wenn man sich mal nicht einig war.“ Nicht immer setzt Kirchner auf die Schiene. In seiner Garage stehen drei Motorräder. Er ist mit einer Portugiesin verheiratet, sie haben eine Tochter.

Den Frieden wiederzufinden bei der Bahn wird nicht einfach. Dazu soll es in dieser Woche zwei Anläufe geben, am Dienstag und Freitag. Nach dem jüngsten Mega-Streik hat Ulrich Weber, der zuständige Vorstand, der GDL erstmals angeboten, auch über Zugbegleiter sprechen zu wollen. Dann wäre Weselsky am Ziel. Davon hält aber wiederum Kirchner nichts. „Es kann nicht die Lösung sein, am Ende zwei Tarifverträge mit unterschiedlichen Inhalten zu haben“, mahnt er. „Dann werden wir für unsere Interessen eintreten, notfalls mit einem Arbeitskampf.“

Doch vielleicht gibt es einen Ausweg. Die Bahn schließt mit jeder Gewerkschaft einen Tarifvertrag für die jeweiligen Beschäftigten – ohne dass es zwischen beiden große Unterschiede gibt. „Mit zwei inhaltsgleichen Tarifverträgen hätten wir kein Problem“, sagt Kirchner. Damit wäre die Konkurrenz vertagt – bis zur nächsten Tarifrunde. „Aus der Welt wäre der Konflikt damit aber nicht, in ein oder zwei Jahren würde er wieder hochkochen.“

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