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Wirtschaft: US-Kurswechsel lässt Europa kalt

Leitzinsen in der Euro-Zone bleiben auf historischem Tief/Notenbank rechnet mit sinkender Inflation

Frankfurt (Main)/Berlin - Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen für den Euro-Raum am Donnerstag unverändert gelassen. Damit folgte sie dem Beispiel der amerikanischen Federal Reserve nicht, die am Mittwochabend zum ersten Mal seit vier Jahren ihren Zinssatz um 0,25 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent angehoben hatte. Die Finanzmärkte nahmen den Schritt der Behörde unter Notenbankchef Alan Greenspan positiv auf. Der deutsche Aktienindex Dax verlor bis zum Börsenschluss leicht um 0,44 Prozent auf 4035,02 Punkte. Der Euro blieb im Verhältnis zum Dollar fast unverändert.

EZB-Chef Jean-Claude Trichet sagte nach der Sitzung des Notenbank-Rates, die europäische und die amerikanische Zentralbank sähen sich „unterschiedlichen Fundamentaldaten“ gegenüber. Derzeit habe seine Bank weder die Neigung, die Zinsen zu erhöhen, noch sie zu senken. Im Euro-Raum bleiben sie damit auf dem Tiefstand von 2,0 Prozent.

Trichet erklärte, trotz gestiegener Inflation rechne er mittelfristig mit Preisstabilität in den zwölf Euro-Ländern. Im Juni waren die Preise um 2,4 Prozent im Vergleich zum Vormonat angestiegen. Die EZB peilt als Ziel eine mittelfristige Inflationsrate von zwei Prozent oder weniger an. Allerdings werde man aufmerksam beobachten, ob die Gewerkschaften wegen der höheren Lebenshaltungskosten mehr Lohn verlangen und damit die Inflation treiben würden. In Deutschland hatte es Befürchtungen gegeben, die EZB könne mit einer Zinserhöhung als Reaktion auf die Inflation den labilen Aufschwung im Lande abwürgen.

Die Wirtschaftserholung in der Euro-Zone werde sich vorerst fortsetzen, vermutete der EZB-Präsident. Die Weltwirtschaft wachse kräftig, wovon die Exporteure im Euro-Raum profitierten. Die Unternehmen verzeichneten nach den jüngsten Umstrukturierungen wieder steigende Gewinne, auch der Privatkonsum dürfte anziehen. Positiv sei auch, dass die Wirtschaft im ersten Quartal mit einem Plus von 0,6 Prozent stärker gewachsen sei als erwartet. Als Risiko für die Konjunktur nannte Trichet das teure Öl.

Ökonomen nannten den Kurs der EZB angemessen. „Eine Zinserhöhung ist erst Mitte 2005 nötig“, sagte Guido Zimmermann, Geldpolitik-Experte bei der Deka-Bank in Frankfurt (Main). Auch bei einer weiter hohen Teuerungsrate müsse die Bank die Konjunktur im Blick haben. „Und die wird auch 2005 in Deutschland mit nur 1,4 Prozent Wachstum noch schwächer ausfallen als in diesem Jahr“, prognostizierte er. Darauf deuten auch neue Werte vom Reuters-Einkaufsmanager-Index (EMI) hin. Er fiel im Juni überraschend auf 55,9 von 56,2 Punkten im Mai, wie das britische Forschungsinstitut NTC mitteilte. Zwar lag der EMI damit weiter über der Schwelle von 50 Zählern, die Expansion signalisiert. Die schwächere Auslandsnachfrage sei jedoch ein Warnsignal für den allein am Export hängenden Aufschwung, befand das NTC.

Während die Politik der EZB Zustimmung findet, bereitet die US-Notenbank Fed den Fachleuten mehr Sorgen. Zwar hatte sie am Mittwoch erklärt, dass die Zinsen in der nächsten Zeit vermutlich mit „maßvollem Tempo“ steigen werden. Das war eine Reaktion auf die zuletzt stark gestiegene Inflationsrate in den USA und, so Deka-Experte Zimmermann, ein „Non-Event“. Dennoch vollziehe sie „eine Gratwanderung“. Greenspan könne jetzt noch zweimal bis September Erhöhungen um 0,25 Prozentpunkte vornehmen. „Wenn bis dahin die Preisentwicklung nicht gebremst wird, muss Greenspan stärker auf die Bremse treten und um 0,5 Punkte erhöhen, vielleicht sogar um mehr.“ Zu rapide steigende Zinsen seien aber gefährlich und könnten die kreditabhängige Immobilien- und Handelsbranche beschädigen. Am Tag nach dem Fed-Zinsschritt haben derweil zahlreiche US-Banken, darunter die Bank of America, Wachovia und Wells Fargo, die „Prime Rate“, einen wichtigen Eckzins, von vier Prozent auf 4,25 Prozent erhöht.

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