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© ddp

Interview: "Wettbewerb schadet den Kunden"

Transnet-Chef Alexander Kirchner sieht den Fernverkehr auf der Schiene in Gefahr und fordert neue Regeln.

Herr Kirchner, IC- und ICE-Züge bekommen Konkurrenz. Bedeutet das sinkende Preise und mehr Qualität für die Kunden?



Wo es neue Angebote gibt, auf den stark frequentierten Strecken wie zwischen Berlin und Hamburg oder Frankfurt am Main und Hamburg, werden die Preise unter Druck kommen. Das dürfte die Verbraucher freuen. Doch langfristig wird der Wettbewerb auf der Schiene den Kunden und dem Angebot schaden.

Warum?

Ich mache mir Sorgen um den gesamten Fernverkehr. Ein Preiskrieg auf einigen Strecken wird unvermeidlich sein, das kostet Geld. Wenn die Bahn Einnahmeverluste hat, wird sie womöglich Randbereiche im Schienennetz nicht mehr bedienen. Städte wie Kiel, Bremen oder Cottbus könnten dann bald komplett vom Fernverkehr abgekoppelt werden. Die Verbindungen dorthin sind ein Zuschussgeschäft. Die Mischkalkulation von heute wird dann keine Zukunft mehr haben.

Vielleicht finden sich für die Randbereiche neue Anbieter?

Daran glaube ich nicht. Wer in den Markt will, muss teure Züge kaufen. Die bekommt er nur zwischen den großen Städten ausgelastet. Zusätzlichen Druck auf den Fernverkehr wird es geben, weil die neue Regierung Fernreisebusse zulassen will. Womöglich gibt es in zehn Jahren nur noch zwischen den großen Städten Fernzüge – und nach Potsdam, Konstanz, Dresden oder Saarbrücken fährt dann nur noch der Bus. Das Problem ist aus dem Schienengüterverkehr bekannt.

Tatsächlich?

Dort gab es früher eine Mischkalkulation aus dem Einzelwagen- und dem Ganzzugverkehr, bei dem Kohle oder Öl transportiert wird. Als der Wettbewerb kam, haben sich die privaten Wettbewerber auf die lukrativen Ganzzüge gestürzt, und die Preise sanken, auch für die Bahn. Darunter gelitten hat aber das Geschäft mit dem Einzelwagenverkehr. Und im Ergebnis gibt es weniger Güterverkehr in der Fläche und mehr Staus auf den Straßen.

Was wollen Sie? Den Wettbewerb auf der Schiene verbieten?

Das ist eine Illusion, dafür gibt es keine Mehrheiten. Aber die Politik führt hier eine ideologische Diskussion, ohne die praktischen Auswirkungen zu betrachten. Wenn es keine flächendeckende Versorgung mit Fernverkehr mehr gibt, leiden die Umwelt und das Klima, weil der Straßenverkehr wächst. Die Koalition findet, der Verkehr auf der Schiene solle sich selbst tragen, der Staat habe sich nicht zu kümmern. Ich finde aber, dass es zur staatlichen Daseinsvorsorge gehört, auch Fernverkehr auf der Schiene anzubieten.

Und wie sollte man das machen?

Eine Möglichkeit wäre, dass der Staat Standards vorschreibt. Er könnte zum Beispiel Strecken nur dann vergeben, wenn sich ein Anbieter verpflichtet, nicht nur auf Rennstrecken zu fahren, sondern auch in die Randgebiete. Wer nach Hamburg fährt, muss eben weiter bis nach Kiel. Das würde nicht einmal zusätzliches Geld kosten – nur dann, wenn die Politik ein dichteres Angebot verlangte.

Das klingt nach Regulierung und Bürokratie zulasten des Marktes.

Im Regionalverkehr schreibt der Staat Strecken aus und vergibt sie, warum nicht auch im Fernverkehr? Und in den Straßenverkehr greift er ja auch ein, weil er vor allem Lkw-Firmen nicht an den Kosten für Unfälle und Staus beteiligt. Echte liberale Politik würde für alle Verkehrsträger gleiche Bedingungen schaffen und nicht eine Klientel begünstigen.

Sorgen Sie sich auch deshalb um die Bahn, weil der Konzern wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand steht?

Das tut er nicht. Die Bahn ist der am besten aufgestellte Logistikkonzern Europas. Schauen Sie sich an, welche Probleme andere Staatsbahnen haben, etwa die französische SNCF. Der Gewinn wird zwar geringer sein als 2008, die Ziele erreicht man nicht. Aber rote Zahlen gibt es nicht.

Sie werfen aber doch dem Konzern vor, 13 000 Stellen in den nächsten Jahren streichen zu wollen.

Bisher hat dem keiner widersprochen. Und im Verhältnis zu den neunziger Jahren ist die Zahl eher gering – damals fielen pro Jahr 10 000 Stellen weg. Doch einen solchen Aderlass kann sich die Bahn gar nicht leisten, schon jetzt ist der Altersdurchschnitt zu hoch. Es muss eher eingestellt werden, als dass Jobs wegfallen sollten. Dafür muss der Aufsichtsrat Anfang Dezember ein Zeichen setzen.

In anderen Betrieben verzichten die Beschäftigten auf Geld. Auch bei der Bahn?

Seit wir 2005 mit der Bahn den Beschäftigungspakt geschlossen haben, verzichten die Bahner bereits auf 5,5 Prozent ihres Gehaltes pro Jahr. Sogar zu Zeiten, in denen der Konzern Rekordgewinne erzielt hat. Das ist ein enormer Beitrag. Wenn uns der Vorstand jetzt ans Geld will, verlängern wir womöglich den Vertrag über die Beschäftigungssicherung nicht. Dann steigen die Personalkosten ganz schnell um 5,5 Prozent – das kann kein Verhandler wollen.

Von Ihnen gibt es also keinen Sparbeitrag?

Das sehe ich nur dann, wenn wir dadurch Stellenkürzungen und den Abbau von Standorten verhindern könnten. Das wäre nämlich ein Fehler, auch wegen des Klimaschutzes. Wenn die Kapazitäten auf der Schiene so stark heruntergefahren werden, gibt es keinen Raum für zusätzlichen Verkehr. Der wird aber nötig sein angesichts der Wachstumsprognosen für den Gütertransport.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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