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Durch den zunehmenden staatlichen Druck – etwa in Form von CO₂-Preisen – ist die Angst groß, dass gerade Industrieunternehmen ihre Produktion in Länder wie die USA verlagern.

© dpa/Oliver Berg

Wie Klimaschutz und Wohlstand zusammengehen: Deutschland benötigt massive Investitionen

Versäumnisse beim Klimaschutz der Vergangenheit lasten auf den Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft heute. Es muss gegengesteuert werden.

Ein Gastbeitrag von
  • Marcus Wortmann
  • Thieß Petersen

Die Stimmung in der Wirtschaft ist schlecht, die Perspektive trüb. Nach drei Quartalen ohne Wachstum ist die Debatte um den Wirtschafts- und Industriestandort Deutschland, um unser Wachstumsmodell und den Wohlstand, neu entfacht. Immer deutlicher stellt sich dabei die Frage, wie Klimaschutz und Wohlstand zusammengehen.

Durch den zunehmenden staatlichen Druck – etwa in Form von CO₂-Preisen – ist die Angst groß, dass gerade Industrieunternehmen ihre Produktion in Länder wie die USA verlagern, wo es statt der Peitsche Zuckerbrot gibt. Der Bundeskanzler spricht hingegen von neuen Wirtschaftswundern, die durch die Investitionen in die Transformation hierzulande zu erwarten seien.

Letzteres ist schon angesichts des Arbeitskräftemangels auf absehbare Zeit kaum realistisch. Denn bei den sich abzeichnenden Kapazitätsengpässen könnten zwar noch mehr Investitionsgüter, etwa klimafreundliche Produktionsanlagen, hergestellt werden – aber dafür müsste auf Konsumgüter verzichtet werden. Und ob ein Wachstum dann als Wohlstand empfunden würde: ungewiss.

Generell sollte es bei der Sicherung und Vermessung unseres Wohlstands künftig nicht nur um die Änderungsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gehen. Stärker sollte geschaut werden, wie sich unter Einhaltung der planetaren Grenzen unser hoher materieller Lebensstandard und sozialer Ausgleich aufrechterhalten lassen.

Hier lasten die Versäumnisse beim Klimaschutz der Vergangenheit schwer auf den weiteren Wachstumsperspektiven des BIP. Aktuell verursacht eine Milliarde Euro BIP 228.000 Tonnen CO₂-Äquivalente (2022).

11,3
Prozent Abnahme unserer Emissionsintensität bräuchte es nach Berechnungen der Bertelsmann Stiftung, um ein moderates Wachstum von 1,25 Prozent klimazielkompatibel zu erwirtschaften.

Und diese Emissionsintensität unserer Produktion hat sich über die vergangenen drei Jahrzehnte im Durchschnitt nur um 2,8 Prozent jährlich reduziert. Völlig ungenügend, um nationale wie internationale Klimaziele bei gleichzeitigem Wachstum erreichen zu können.

Wollen wir – wie im Schnitt der vergangenen 30 Jahre – ein moderates Wachstum von 1,25 Prozent klimazielkompatibel erwirtschaften, bräuchten wir nach Berechnungen der Bertelsmann Stiftung eine Abnahme unserer Emissionsintensität um durchschnittlich jährlich 11,3 Prozent bis 2045 – eine Herkulesaufgabe.

Aber sie ist alternativlos. Denn sollte es nicht gelingen, das bisherige Tempo der Entkopplung von BIP und CO₂ zu beschleunigen, wäre ohne Aufweichen der Klimaziele am Ende der Transformation zur Klimaneutralität nur noch ein BIP von 581 Milliarden Euro möglich. Ein solches Schrumpfen muss unter allen Umständen verhindert werden. Denn durch jedes Jahr des Rückgangs würden soziale Spannungen zunehmen und vermutlich auch die Akzeptanz der Klimaziele schwinden.

Dazu brauchen wir dringend massive Investitionen sowie technologische und strukturelle Innovationen (etwa in Richtung einer Circular Economy), die unser Wirtschaften nachhaltiger machen. Das Wachstumschancengesetz geht mit den Anreizen für grüne Investitionen und Forschung in die richtige Richtung, doch dürfte sein Volumen angesichts der Herkulesaufgabe ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Die Betonung liegt hier eher auf Chancen, denn auf Wachstum.

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Machen wir uns nichts vor: Die Entkopplung materiellen Wohlstands von Treibhausgasemissionen wird Privatwirtschaft und Staat enorme Summen kosten. Der BDI ging schon 2019 von 860 Milliarden Euro Investitionen bis 2030 aus. Der gewohnheitsmäßige, enge und zuletzt ernüchternde Blick auf die quartalsweisen Änderungsraten des BIP darf uns bei den Ambitionen und Investitionen in diese ökologische Transformation genauso wenig verunsichern wie der hartnäckige Glaube an die zeitlose Angemessenheit starrer Schuldenregeln.

Und noch ein anderer Weg käme infrage: der Abbau der hohen Leistungsbilanzüberschüsse. Werden vermehrt Güter im Ausland gekauft, sind hohe Investitionen ohne eine Einschränkung des Konsumniveaus möglich. Ob jedoch sinkende Exportüberschüsse – oder sogar Leistungsbilanzdefizite – gesellschaftlich akzeptiert werden, ist fraglich.

Solange hohe Exporte und Exportüberschüsse als Zeichen der wirtschaftlichen Stärke angesehen werden, sind steigende Importe ein Indiz für eine wirtschaftliche Schwäche. Andererseits würden wir dem Ziel eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts in der Leistungsbilanz näherkommen und so der internationalen – nicht ganz unberechtigten – Kritik an den großen Überschüssen entgegenkommen.

Klimaschutz also auf Kosten stetigen Wachstums, niedriger Staatsschulden oder unserer Exportstärke? Am Ende kann man es drehen und wenden, wie man will. Die Transformation in eine nachhaltige soziale Marktwirtschaft wird ein Kraftakt, bei dem Abstriche zu machen sein werden. Nicht jeder Zielkonflikt kann gänzlich aufgelöst werden, aber müssen wir uns entscheiden, sollten die Klimaziele Vorrang haben.

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