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Archäologie: Touristen gefährden Inka-Stätte

Machu Picchu, das Landgut des Inka, steht für Peru wie die Pyramiden für Ägypten. Der World Monuments Fund warnt jetzt vor einer drohenden Zerstörung von Machu Picchu durch täglich tausende Besucher.

Machu Picchu gilt als Landgut des Inka, des Sohns der Sonne und gottgleichen Herrschers über das Volk der Inka. Der 2400 Meter hoch in den Anden gelegene Ort wurde erst vor 100 Jahren wiederentdeckt und ist heute der touristische Magnet Perus: Machu Picchu wird täglich von bis zu 4000 Menschen heimgesucht.

Das Unesco-Weltkulturerbe, das ein halbes Jahrtausend verborgen im Regenwald überdauert hat, droht unter dem Ansturm der Besucher unterzugehen. Der World Monuments Fund (WMF) hat die weltbekannte Inka-Ruine für 2010 auf seine Liste der gefährdeten Stätten gesetzt. Die gemeinnützige, internationale Organisation, von der American-Express-Stiftung initiiert und inzwischen von weiteren 25 Stiftungen getragen, setzt sich weltweit für den Erhalt von historischen Stätten und Denkmälern ein. Auf der Gefährdungsliste stehen 93 Stätten in 47 Ländern. Der WMF fordert zu einem verantwortungsvollen Interessenausgleich zwischen kulturellen, sozialen und ökonomischen Belangen auf.

Machu Picchu steht für Peru wie die Pyramiden für Ägypten, und wie bei den Nil-Monumenten meint man, alles darüber zu wissen. Tatsächlich aber hat die Archäologie in Machu Picchu bislang nur marginale Erkenntnisse gezeitigt; systematische Grabungsarbeiten gab es nicht.

Der US-amerikanische Forschungsreisende Hiram Bingham, der die Stätte im Juli 1911 „wissenschaftlich entdeckte“, befreite große Teile aus der Urwaldvegetation und schaffte, wie damals üblich, auch alle Funde nach Amerika, wo sie heute noch im Yale Peabody Museum lagern. Seine Funde stammten ausschließlich aus Gräbern; die Bewohner hatten die Stadt in den Bergen offenbar planmäßig verlassen und alles aus dem Heiligtum und dem Wohnhaus mitgenommen.

Bingham charakterisierte Machu Picchu als „The Lost City“, als letztes Asyl der Inka vor den Spaniern. Einer weiteren Spekulation zufolge habe dort die Zentralverwaltung für den Handel mit Coca-Blättern gelegen.

Die Arbeiten der ersten Jahrzehnte beschränkten sich weitgehend auf die Freilegung der Ruinen, deren Konsolidierung und Restaurierung – alles im Dienste des rasch wachsenden Tourismus. Erst in den letzten 20 Jahren schauten die Wissenschaftler etwas genauer hin. Einigkeit besteht heute darin, dass Machu Picchu eines von mehreren Landgütern des Inka gewesen ist. Dorthin habe sich „der Hofstaat aus der Hauptstadt Cusco zurückziehen können, um Ruhe und Entspannung zu finden und anderen Elite-Aktivitäten nachzugehen“, erklären die Hüter der Machu- Picchu-Schätze im Yale-Museum. Andere königliche Domänen waren Pisac und Ollantaytambo im Heiligen Tal.

Die halsbrecherischen Terrassen an den steilen Bergflanken, die der peruanische Archäologe Alfredo Valencia Zegarra erforscht hat, sind eine Glanzleistung inkaischer Ingenieure aus drei Lagen Fels, Stein und Kies. Die elaborierte Be- und Entwässerung durch natürliche Quellen, künstliche Wasserleitungen und Drainagen ermöglichte eine intensive Agrikultur und sicherte die Terrassen. Angepflanzt wurden hauptsächlich Mais und Kartoffeln. Der Speiseplan des Inka wurde bereichert durch das Fleisch von Lama, Alpaka, Meerschweinchen und gelegentlich Hirsch. Nach der sehr vielfältigen Alltags-Keramik zu urteilen, kamen die rund 750 ständigen Bewohner Machu Picchus aus allen Teilen des Inka-Reichs. Sie waren Bauern, Handwerker und vermutlich Künstler. Einige Indizien lassen auf Metallverarbeitung schließen.

Das sind Ergebnisse aus Untersuchungen der Gräber und Terrassen in den letzten zehn Jahren. Schon durch Augenschein kann der Besucher Unterschiede in der Qualität und Funktionalität der Bauten erkennen. Die Zuordnung als königliche Residenz, die Charakterisierung als Tempel oder als Observatorium sind indes Interpretationen auf wenig gesichertem Boden. Denn Nachrichten aus der Inka-Zeit über Machu Picchu, seine Bewohner und seine Bedeutung gibt es nicht. Die erste Erwähnung stammt aus einem spanischen Verwaltungsakt des 17. Jahrhunderts.

Alfredo Zegarra hat bei seiner Untersuchung der Terrassen Grundmauern von bislang unbekannten Häusern gefunden, und er ist sich sicher, dass die archäologische Erforschung der Areale neben und in den Häusern „wichtige Informationen über das tägliche Leben“ der Bewohner von Machu Picchu liefern würden.

Nur gegraben hat dort noch niemand. Das würde die Touristenströme stören. Der Chef der Kulturbehörde INC reagierte denn auch abweisend auf die Mahnung des WMF: Die einzige Organisation, die eine Gefährdung eines Weltkulturerbes konstatieren könne, sei die Unesco. Machu Picchu habe noch nie auf einer solchen Liste gestanden. Und die im Schnitt 2500 Besucher pro Tag würden die Stätte auch in keinster Weise beeinträchtigen. Die Unesco hatte allerdings vor einigen Jahren eine Beschränkung auf 800 Besucher pro Tag verlangt – und eine geplante Seilbahn auf den Berg gerade noch unterbinden können. Michael Zick

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