zum Hauptinhalt
Die Grabanlage von Djefai-Hapi I. in Assiut. Die ägyptische Stadt war lange gesperrt, bis ein Berliner Forschungsteam dort graben durfte.

© Fritz Barthel; © The Asyut Project

Archäologie wie bei Indiana Jones: Berliner Team erkundet ägyptische Grabkammern im Sperrgebiet

Ein Berliner Forschungsteam ergatterte von den ägyptischen Behörden die Erlaubnis, im lange gesperrten Assiut zu graben. Seitdem erkundet es dort die Grabkammern aus der Pharaonenzeit.

„Schusswaffen sind am Empfang abzugeben“, las Jochem Kahl 2003 auf einem Schild im Hotel Echnaton in Assiut. Dabei wollte der Direktor des Ägyptologischen Seminars der Freien Universität Berlin nur zusammen mit seinem ägyptischen Kollegen Mahmoud El-Khadragy einchecken.

Doch dass eine Ausgrabung in der mittelägyptischen Stadt keine gewöhnliche Unternehmung sein würde, war Kahl schon vorher klar. Denn nachdem Präsident Anwar al-Sadat 1981 ermordet wurde, kontrollierten Militär und Polizei die Stadt. Ein Bruder des Attentäters war General in Assiut. Die Armee hatte die Stadt besetzt und über 900 Menschen verhaftet. Assiut galt als „Terrornest“ und war für Ausländer tabu. Attentate und Anschläge auf Touristenzüge bestärkten die Regierung in ihrer Haltung.

Jochem Kahl hatte seine Habilitationsschrift über die klassische Literatur von Assiut geschrieben, die zum kulturellen Gedächtnis der Alten Ägypter gehörte. Diese Texte entstanden vor etwa 4000 Jahren und wurden bis in das zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung in ganz Ägypten immer wieder kopiert und rezipiert. Kahl wollte archäologische Beweise aus dieser Stadt, die seit mindestens 5000 Jahren durchgehend besiedelt ist.

Eine Stadt öffnet sich

Als in Assiut dann 2002 die Weltmeisterschaften im Bodybuilding stattfanden und sich die Lage entspannte, witterte der FU-Archäologe eine Chance. Er stellte bei der Antikenverwaltung einen Antrag für einen einwöchigen Survey auf dem Gebel Assiut el-Gharbi, dem westlich der Stadt gelegenen Wüstenberg. Dieser hatte im Altertum der Stadt als Nekropole gedient und könnte archäologische Funde beherbergen, hoffte der Forscher.

Das antike Assiut liegt unter dem Schlamm des Nils, der seinen Lauf immer wieder änderte, und unter der modernen Stadt begraben. Der Gebel Assiut el-Gharbi war jahrzehntelang militärisches Sperrgebiet. In einer der in die Felsen gehauenen Grabkammern hatte der örtliche Standortkommandant sein Büro, wie Kahl später erfuhr.

Dank der guten Zusammenarbeit mit seinen ägyptischen Kollegen von der Universität Sohag bekam er schließlich die Erlaubnis – von den örtlichen Sicherheitsbehörden und gleich drei Ministerien: für Verteidigung, Umwelt und für die Antike. Jahr für Jahr mussten den Genehmigungen neu eingeholt werden.

Als das Projekt startete, bekamen die Archäologen Tag und Nacht bewaffneten Polizeischutz, auf dem Berg, später bei der Grabung und im Hotel. Die Polizei herrscht über die Stadt, das Militär über den Berg. Allein die Schilderung dieser für eine Grabung außergewöhnlichen Umstände lassen ahnen, dass diplomatisches Fingerspitzengefühl auch zu den Fähigkeiten eines Archäologen gehören muss.

Ein ungehobener Schatz

Nach der ersten Geländebegehung 2003 war dem Berliner Archäologen schnell klar, dass der Berg nicht wie angenommen 20 Gräber zählte, sondern über 100. Dazu kamen Tierfriedhöfe, Steinbrüche und Klöster. Kahl bot sich die einmalige Gelegenheit, die Kulturgeschichte einer Provinzstadt jenseits des königlichen Hofes über die Jahrtausende hinweg zu studieren, wie es sonst selbst in Ägypten nicht möglich ist.

Die Anhöhe und ihre elf Terrassen bergen für Ausgräber viele Überraschungen. Bei der jüngsten Kampagne im vergangenen Herbst entdeckten die Archäologen eine koptische Schule aus dem siebten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung. Sie war in einer dekorierten Grabkammer eingerichtet worden. „Die Bilder der Grabwände hatten sie damals mit Nilschlamm überdeckt und die glatten Wände wie ein Whiteboard benutzt und mit Tusche darauf geschrieben“, erzählt Kahl. Davor fanden sie Bänke. Die Decke fehlte, sie wurde als Steinbruch benutzt. Dann muss wohl alles eingestürzt sein – Grabräuber hätten die Anlage freigelegt. Solch eine Anlage gebe es höchstens zwei bis drei Mal in Ägypten, sagt Kahl.

Eine Alphabet-Übung aus einer Koptischen Schule, die in erst vor kurzem entdeckt wurde.
Eine Alphabet-Übung aus einer Koptischen Schule, die in erst vor kurzem entdeckt wurde.

© Fritz Barthel; © The Asyut Project

Trotz der hohen Sicherungsmaßnahmen sind Grabräuber und Raubgräber ein großes Problem. Ein spektakulärer Fall ereignete sich 1930, als ein Mann im Keller seines Hauses einen zehn Meter tiefen Schacht gegraben und dann waagerechte Tunnel angelegt hatte – auf der Suche nach Gold. Was er gefunden hatte, waren reich mit Hieroglyphen verzierte Tempelblöcke. Funde aus derartigen riskanten Raubgrabungen werden etwa sechs Kilometer außerhalb der Stadt in einem schwer bewachten Depot der Antikenverwaltung aufbewahrt, erzählt Kahl.

Etwa ein Prozent der Grabungsfunde und beschlagnahmten Objekte landen in diesem Depot. Nach zähen Verhandlungen hatte man den Wissenschaftlern eine Sichtung erlaubt, natürlich unter Polizeischutz. Dabei stießen sie auf viele Tempelblöcke. Aus den Prozessakten und den Polizeiberichten, wer wann wo wie tief gegraben hatte, ließ sich so der Standort von zwei Tempeln unter der modernen Stadt ermitteln.

Grab eines Gottgleichen

Erst kürzlich, im Herbst 2023, entdeckte das Team wieder eine Grabkammer, im Grab des Befehlshabers Djefai-Hapi I. 1900 vor unserer Zeitrechnung. Mit 70 Metern Länge ist es laut Kahl das größte aus dieser Zeit, 55 Meter sind noch erhalten, die restlichen 15 Meter wurden von den Bewohnern Assiuts als Steinbruch benutzt. Die Raumhöhe beträgt elf bis fünf Meter, je tiefer die Räume in den Berg reichen, desto niedriger wird die Decke. Hinter einer schrägen Wand fanden die Archäologen den Eingang zur 28 Meter tiefer gelegenen Grabkammer.

Eine Wandmalerei in einer Grabkammer des Befehlshabers  Djefai-Hapi I. , datiert 1900 vor unserer Zeitrechnung.
Eine Wandmalerei in einer Grabkammer des Befehlshabers Djefai-Hapi I. , datiert 1900 vor unserer Zeitrechnung.

© Fritz Barthel; © The Asyut Project

Der Inhaber des Grabes habe sich als göttliche Person darstellen lassen, die Texte an der Wand des Grabes gehören zu denen, die über 2000 Jahre lang rezipiert wurden. „Der Mann war ein großer Wohltäter der Stadt, das Tempelpersonal bekam über seinen Tod hinaus ein dreizehntes Monatsgehalt, und er wurde deswegen kultisch verehrt“, erzählt Kahl.

Die Decke des Grabes zeigt geometrische Muster, wie man sie nur aus der Ägäis kennt und wie sie 400 Jahre später weiter südlich in einem Grab in Theben kopiert wurden. „Assiut war eine Kulturstadt von großem Einfluss, der Tempel von Assiut einer der großen im Land“, sagt Kahl.

Die Kontakte in den Mittelmeerraum belegen die Funde einer Erkundung, die die Berliner mit Kolleginnen der polnischen Akademie der Wissenschaften unternahmen. Sie fanden Keramik aus Tunesien, Italien, der Ägäis und der Levante. „Niemand hätte gedacht, dass wir so weit von der Küste entfernt auf mediterrane Keramik stoßen würden. Das beweist auch, dass Assiut ein Zentrum des Fernhandels an der Grenze zwischen Ober- und Unterägypten war.“

Die strategisch günstige Lage bescherte dem Ort immer wieder Konflikte, Kahl nennt Assiut eine „verwundete Stadt“. Sie habe aber wieder zu einem neuen Anfang gefunden. Für Touristen ist Assiuts Gräberberg noch immer gesperrt, aber die deutsch-ägyptische wissenschaftliche Zusammenarbeit hilft, Assiuts Geschichte weiterzuerforschen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false