zum Hauptinhalt
Spätes Familienglück. 30 Prozent der Väter in Deutschland sind bei der Geburt ihres ersten Kindes zwischen 35 und 44 Jahre alt, etwa drei Prozent sind älter als 45.

© picture alliance / dpa

Biologische Uhr: Späte Väter, kranke Kinder

Nicht nur das Alter der Mütter zählt. Viele Erbgutfehler gibt der Vater weiter. Denn auch der männliche Samen hat ein Haltbarkeitsdatum.

Ewig kannst Du es nicht aufschieben, das Kinderkriegen, bekommt Bridget Jones im Film von ihrem Onkel Geoffrey zu hören. Die Tante hebt sogleich mahnend den Zeigefinger und neigt ihn wie ein Metronom nach rechts und links: „Tick tack, tick tack.“ Die biologische Uhr steht nicht still, soll das heißen.

Das allerdings betrifft nicht nur Frauen. Auch Männer gelten bereits ab dem 40. Lebensjahr für Genetiker als „alte Väter“, die ihrem Nachwuchs nicht nur Gutes auf den Weg geben. Frauen in diesem Alter werden routinemäßig darauf hingewiesen, dass ihr Risiko, etwa ein Kind mit Down-Syndrom auf die Welt zu bringen, mittlerweile 1:100 beträgt. Bislang warnt jedoch kaum einer die Eltern in spe, dass auch der männliche Samen ein Haltbarkeitsdatum hat.

Das sei ein Fehler, betonen nun isländische Forscher um Kari Stefansson von der Universität von Island in Reykjavik. „Frauen sind vor allem für Trisomien verantwortlich, also für Krankheiten, bei denen ein Chromosom drei- statt zweifach vorliegt“, sagt Stefansson. „Fast alle anderen Krankheiten oder Behinderungen, die aufgrund kleiner Änderungen im Erbgut neu in einer Familie auftreten, gehen auf das Konto der Männer.“

Die Eizellen einer Frau altern mit ihr. Reift ein Ei schließlich im Zyklus heran, hat es daher bei einer 40-Jährigen ein höheres Risiko für eine fehlerhafte Verteilung der Chromosomen als bei einer 20-Jährigen. Sonst bleibt das Erbgut weitgehend so, wie es schon bei der Geburt der Frau angelegt war. Spermien dagegen werden immer wieder neu gebildet. Doch um die Zahl der Spermien konstant zu halten, müssen sich die zuständigen Stammzellen unaufhörlich teilen. 840 solcher Zellteilungen haben die Stammzellen eines 50-jährigen Mannes bereits hinter sich. Und mit jeder Zellteilung steigt die Chance, dass beim Kopieren des Erbguts kleine Fehler passieren.

Wie Stefansson und seine Kollegen in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts „Nature“ schreiben, überträgt ein 20-Jähriger im Schnitt gerade 25 neue Mutationen auf sein Kind. Bei einem 40-jährigen Vater sind es bereits 65. Was diese kleinen Fehler im Erbgut auslösen, ist reine Glückssache: Meist sind die Variationen für das Kind egal und erhöhen einfach die genetische Vielfalt. Im schlimmsten Fall aber kann eine einzige Veränderung eine schwere Krankheit wie das Marfan-Syndrom auslösen, eine unheilbare Bindegewebserkrankung, die unter anderem zu Herzfehlern des Kindes führt. Auch das Risiko, dass das Kind autistisch ist oder später schizophren wird, steigt mit der Zahl der neu auftretenden Mutationen.

Vielleicht erziehen ältere Väter auch anders, meinen Kritiker

Der Verdacht, dass der Genpool alter Väter ein Risiko fürs Kind ist, ist nicht neu. Bereits 1912 berichtete der Stuttgarter Arzt Wilhelm Weinberg, dass eine Form des Zwergwuchses, die Achondroplasie, besonders oft bei Spätgeborenen vorkommt – wenn die Eltern bereits älter waren. Mittlerweile wurden etwa 20 Krankheiten mit dem Alter des Vaters in Verbindung gebracht. Selbst bei Schizophrenie und Autismus schließen sich die Lücken in der Beweiskette – obwohl sie nicht durch einzelne Punktmutationen ausgelöst werden und bisher auch nicht klar ist, welcher Genvariantenmix das Risiko für die jeweilige Krankheit erhöht.

Dolores Malspina und ihre Kollegen von der Columbia-Universität in New York zum Beispiel glichen die Daten von fast 88 000 israelischen Rekruten und ihren Familien mit psychiatrischen Diagnosen von Militärärzten ab. Ihr Ergebnis: Das Risiko des Kindes, an Schizophrenie zu erkranken, betrug 1:141, wenn der Vater bei der Zeugung etwa 25 Jahre alt war, 1:99 wenn er 35 Jahre alt war und 1:47, wenn er 50 Jahre alt war. Ähnlich war es bei autistischen Störungen. Hier stieg das Risiko von 6:10 000, über 32:10 000 bis auf 52:10 000 für die über 50-jährigen Väter. Diese Befunde wurden mehrfach bestätigt; die Ursache verraten sie nicht.

Vielleicht erziehen ältere Väter anders, gaben Kritiker zu bedenken. Längst nicht alles hänge an den Genen. Außerdem entwickelten sich Kinder oft sehr gut, wenn die Eltern bereits älter sind.

Im Mai zeigte eine in „Nature“ veröffentlichte Studie, dass autistische Kinder im Vergleich zu ihren Eltern besonders viele neue Mutationen in sich tragen. Und Stefansson und seine Kollegen konnten jetzt den Zusammenhang zwischen den neuen Mutationen und dem Alter des Vaters bei der Zeugung bestätigen. Sie entschlüsselten das Erbgut von 78 Eltern-Kind-Paaren, also insgesamt von 219 Isländern. 97 Prozent der bei den Kindern neu auftretenden Mutationen konnten die Forscher über das Alter der Väter erklären. Zwei neue Erbgutänderungen pro Jahr gaben sie zwischen dem 18. und 40. Lebensjahr an ihren Nachwuchs weiter. „Wir glauben, dass sich die Rate jenseits des 40. Lebensjahres noch erhöht“, sagt Stefansson. Doch bei 76 von 78 Eltern-Kind-Paaren war der Vater unter 40 Jahren, deshalb können die Forscher darüber nur zurzeit spekulieren.

Dass ausgerechnet das Gehirn oft von den neuen Mutationen betroffen ist, findet Alexei Kondrashow von der Universität von Michigan in Ann Arbor nicht verwunderlich: „Im Gehirn werden mehr Gene abgelesen als in jedem anderen Organ“, schreibt er in einem Kommentar. Stefansson ergänzt: „Wer sich erst relativ spät ein Kind wünscht, sollte über die Risiken aufgeklärt werden – egal ob Mann oder Frau. Und dann seine eigene Entscheidung treffen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false