zum Hauptinhalt
An den Schulen hat die MINT-Ausbildung durch die Pandemie gelitten, an den Hochschulen lief es besser.

© picture alliance / dpa

Schule und Pandemie: Corona bremst MINT-Fächer aus

Neuer Report zeigt an Schulen Nachteile im Bereich Naturwissenschaft und Mathe. An den Hochschulen gibt es hingegen eine positive Entwicklung.

Die MINT-Bildung an Schulen – also in den Fächern Mathe, Informatik, Naturwissenschaft – hat während der Pandemie gelitten. Zudem zeigte sich erneut bei Leistungen in diesen Fächern ein großer Einfluss durch einen Migrationshintergrund. Die Hochschulen haben sich hingegen als besonders krisenfest erwiesen, befinden sich nach Corona aber in einem großen Umbruch.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

Das sind die wichtigsten Ergebnisse des bundesweiten Trendreports zur Nachwuchssituation im MINT-Bereich, der von  der Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech und der Joachim Herz Stiftung herausgegeben wird. 

Das MINT-Nachwuchsbarometer ist in erster Linie eine Meta-Studie, für die verschiedene Lernstandsmessungen, Studien und Umfragen vor allem national aber teilweise auch international  ausgewertet wurden. Der Bericht sammelt und kommentiert die wichtigsten Zahlen, Daten und Fakten zur Nachwuchssituation im MINT-Bereich von der schulischen Bildung bis zur beruflichen Ausbildung und zum Studium. Der Report wird von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Joachim Herz Stiftung gemeinsam herausgegeben und vom IPN – Leibniz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik erstellt.

Neue Impulse für Qualität im Unterricht

Insgesamt sehe die Autor:innen des Reports bei den Grundschulen die größten Rückstände aus der Pandemie, mehr als in der Sekundarstufe I und II, erklärte Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) und Studienleiter des MINT-Nachwuchsbarometers. Je älter die Schüler, desto besser seien sie mit dem Distanzunterricht klar gekommen, was sich durch ein höheres Maß an Selbstregulierung erklären lasse.

Pandemiebedingte Lernrückstände, digitaler Unterricht und migrationsbedingte Benachteiligung bräuchten nun neue Impulse, um eine hohe Qualität in den MINT-Fächern zu gewährleisten, hieß es bei der Vorstellung der Ergebnisse am Mittwoch. 

Im Fach Mathematik haben Schüler:innen in Deutschland und in anderen europäischen Ländern in der Pandemie bis zum Ende der Grundschule Lernrückstände in Höhe von 10 bis 13 Lernwochen aufgebaut, so der Report. Eine für das Nachwuchsbarometer ausgewertete Studie zeige am Beispiel der Stadt Hamburg, dass der Anteil der leistungsstarken Grundschüler:innen durch die Pandemie um knapp zehn Prozent abgenommen hat, während der Anteil der Leistungsschwachen um gut zehn Prozent anstiegen ist. 

Abnehmende Anfängerzahlen bei Auszubildenden und Studienanfängern sind auch in anderen Fächern beobachtbar, so Kölle. Corona-Rückstände gebe es zudem auch im Fach Deutsch. Die Studienabbruchquoten sind in anderen Fächern aber niedriger als in den MINT-Fächern. Im Vergleich zu anderen Fächern sind die MINT-Studienfächer vor allem bei Männern, weniger bei Frau beliebt.

Ein weiterer problematischer Punkt sei der niedrige Anteil von Frauen im MINT-Bereich. Dazu müsse an den Gymnasien angesetzt werden, so Köller, denn die Untersuchung zeige, dass die Schere zwischen den Geschlechtern in dieser Phase aufgehe. Das sei der Zeitpunkt, an dem sich viele Schülerinnen vom MINT-Unterricht abwenden. 

Viele Lehrer nutzen Digitalisierung nicht 

Den Ergebnissen des Reports nach wurde in der Lockdown-Phase die Möglichkeiten des Remote-Unterrichts von den Lehrer:innen nicht voll ausgeschöpft. Nur 16 Prozent der MINT-Lehrkräfte nutzten angeleitete, eigenständige Projektarbeit, die gerade im Homeschooling sinnvoll hätte angewendet werden können. „Die große Mehrheit übertrug dagegen ihren Präsenzunterricht eins zu eins ins Digitale“, heißt es in der Untersuchung. 

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse brauche es nun gemeinsame Anstrengungen, erklärte Olaf Köller. „Wir müssen bei der Digitalisierung an Schulen weiter vorankommen - sowohl die Ausstattung betreffend als auch die Kompetenzen der Lehrkräfte, der Schulleitungen sowie der Schülerinnen und Schüler.“ Andererseits müsse sich die MINT-Bildung schnell von der Pandemie erholen. „Long-Covid in der MINT-Bildung muss unbedingt verhindert werden.“

Dass in der Pandemie  der Frontalunterricht häufig einfach nur in den digitalen Raum übertragen wurden, wird in dem Report bemängelt. „Der sinnvolle Einsatz digitaler Medien geht weit darüber hinaus“, sagte Nina Lemmens, Vorständin der Joachim Herz Stiftung.

Digitale Werkzeuge könnten gerade in den Naturwissenschaften helfen, das Lernen spannender und verständlicher zu machen. „Um die Digitalisierung an den Schulen voranzutreiben, brauchen wir einerseits Fortbildungen für Lehrkräfte, andererseits muss die Arbeit mit digitalen Tools in das Lehramtsstudium verankert werden.“ Die positiven Effekte digitaler Medien sind im MINT-Unterricht häufig größer als in anderen Fächern.

Digitalisierungsschub an Schulen

Grundsätzlich habe es einen klaren Digitalisierungsschub an den Schulen gegeben, doch nur sehr wenige Lehrkräfte hätten die Möglichkeiten der Situation genutzt und beispielsweise systematisch Aufträge verteilt und Lerngruppen gebildet. Gerade in den Naturwissenschaften biete das Digitale gute Ergänzungen, etwa Tools, die zum naturwissenschaftlichen Denken anregen, die Modellierungen - etwa für die Pandemie und das Klima - Schülern nahebringen. Auch lasse sich damit naturwissenschaftliches Argumentieren leichter erlernen.  

Zuwanderung bleibt Nachteil

Migrationsbedingte Unterschiede in den MINT-Leistungen sind hingegen keine neue Entwicklung. Schüler:innen mit Migrationshintergrund schneiden in dem Report seit Jahren schon schlechter ab als ihre Mitschüler:innen. Nach der aktuellen Erhebung hätten Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund im Fach Mathematik in der 5. Jahrgangsstufe einen Rückstand von mehr als 70 Kompetenzpunkten. Das bedeute einen Leistungsnachteil von bis zu zwei Schuljahren. Die Unterschiede beziehen sich auf das Nationale Bildungspanel (NEPS), als Ausgangsstichprobe dienen rund 5.200 Schülerinnen und Schülern, die im Schuljahr 2010/11 die 5. Klasse einer Regelschule besucht haben. 

Schüler:innen mit Migrationshintergrund schneiden in dem Report seit Jahren schon schlechter ab als ihre Mitschüler:innen.

© picture alliance / Monika Skolim

Diese durch Migrationshintergrund hervorgerufenen Disparitäten beginnen laut Köller bereits im Vorschulbereich. „Dort müssen wir schon anfangen, das auszugleichen“, sagte Köller. Zu der umstrittenen Frage des Bildungsauftrags der Kitas fehle ein klares Bekenntnis der Familienministerkonferenz. „Das wäre dringend nötig, wir müssen in diesem Bereich bereits auf die Schule vorbereiten, um eine frühe Benachteiligung zu verhindern“.

Hochschulen in Covid-Krise resilienter

Eine positive Entwicklung attestiert der Report hingegen dem MINT-Bereich an den Hochschulen. Bei einer Umfrage unter fast 6.000 Masterstudierenden bewerten drei Viertel der Befragten das Krisenmanagement ihrer Hochschule mit der Note "sehr gut" oder "gut“. 
„Die deutschen Hochschulen haben sich in der Covid-19-Krise als besonders resilient erwiesen - eine funktionierende digitale Infrastruktur war dabei einmal mehr ein wichtiger Faktor“, erklärt acatech Präsident Jan Wörner. 

Allerdings werde die Hochschulbildung nach Corona nicht mehr die gleiche sein wie davor. 81 Prozent der Mathematik-Studierenden und sogar 94 Prozent der Informatik-Studierenden lehnen eine vollständige Rückkehr zur traditionellen Präsenzlehre ab. Eine rein digitale Lehre wünschen sich allerdings auch nur die wenigsten Befragten.

„Zurück zum Staus quo vor der Pandemie möchte fast niemand mehr, aber auch nicht zurück in den Pandemiemodus, in dem alle alleine vor der Kachel saßen“, fasst Köller zusammen. Gewünscht sei nun eine Mischform. Die  MINT-Studierenden präferieren vor allem kombinierte Formate wie Blended Learning, Präsenzphasen mit digitalen Elementen sowie hybride Formate. 

„Die Vorteile der Digitalisierung müssen nun auch im Primar- und Sekundarbereich des Bildungssystems besser ankommen“, fordert acatech Präsident Wörner. Davon würden gerade die MINT-Fächer profitieren. „Ihre Inhalte lassen sich digital unterstützt - Stichwörter: Virtual Reality, Gamification - sehr anschaulich vermitteln.“

Das generelle Absinken der Studierendenzahlen im MINT-Bereich sei nicht durch mangelndes Interesse , sondern durch die demografische Entwicklung zu erklären. Die geburtenschwachen Jahrgänge würden sich noch die kommenden zehn Jahre auswirken. „Daher müssen wir zunehmend Studieninteressierte gewinnen und die Quote von rund 50 Prozent Studienabbrechern senken“, sagte Köller.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false