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Sprecher von Minderheits- oder Migrationssprachen werden nicht selten von der Mehrheit beschämt.

© Freepik, Gestaltung: Sabine Wilms/freepik

„Da ist die Front, wo Sprachkämpfe stattfinden“: Sorbisch muss hip werden, um zu überleben

Sprecher von Sorbisch wie auch mancher Migrationssprachen sehen sich mit einer von Einsprachigkeit dominierten Gesellschaft konfrontiert. Das ist nicht gerechtfertigt, sagen Sprachexperten.

In Berlin ist Mehrsprachigkeit eher die Regel als die Ausnahme, aber nicht jeder mit Deutsch als Zweitsprache hat einen familiären Hintergrund im Ausland. In der Lausitz im Süden Brandenburgs und Norden Sachsens wird sorbisch gesprochen, auch Orts- und Straßenschilder sind hier zweisprachig. Anders als viele andere „wendische“ Sprachen östlich der Elbe haben das Ober- und Niedersorbische die Jahrhunderte überdauert. 

Die Zahl der Sorbisch-Sprechenden schwindet jedoch. Wie viele es noch gibt, kann die Kulturanthropologin Cordula Ratajczak auf einem Sprachexperten-Treffen von der Sorbischen/Wendischen Sprachschule in Cottbus Mitte März nicht beantworten: Es fehlten Studien. „Es gibt zwar Sprachforschung, aber es fehlt die Soziolinguistik.“ Das habe auch historische Gründe: Es gebe es in Deutschland die ungute Tradition, Minderheiten zuerst zu zählen, um sie anschließend zu vernichten. Zahlen aus den Neunzigerjahren, nach denen es bis zu 60.000 Sprechende gebe, wären in jedem Fall veraltetet.

Initiativen wollen die Sprache wiederaufleben lassen

Die Zielmarke des in Bautzen ansässigen „Zari“-Projektes, an dem Ratajczak mitarbeitet, ist dagegen klar umrissen: 100.000 Menschen sollen bis zum Jahr 2100 Obersorbisch sprechen. Möglich sei dies nur mit exponentiellem Wachstum. „Zari“ sei in den Randbereichen des sächsischen Siedlungsgebietes aktiv, „wo es eine starke Teilung der Welt zwischen Sorben und Deutschen gibt“, so Ratajczak, „da ist die Front, wo Sprachkämpfe stattfinden“. Dort würde den Sorben etwa oft nachgesagt, in ihrer Sprache angeblich über die Deutschen herzuziehen. Wer in der Öffentlichkeit sorbisch spreche, müsse mit Skepsis rechnen.

„Zari“ will die Zivilgesellschaft stärken und damit Identität und Sprache attraktiver machen: Unter anderem beraten lokal verwurzelte „Motivatoren“ Vereine und schaffen sorbische Veranstaltungen, Aktivisten werden vernetzt. Auch Sprachkurse für Erwachsene sind geplant. 

Das davon unabhängige niedersorbische Projekt „Zorja“ hat sich den Aufbau neuer Sprecher zum Ziel gegeben. Ein durch Stipendien gestütztes Intensivprogramm lehrt Erwachsenen zehn Monate lang jeden Tag sechs Stunden die niedersorbische Sprache. Die Methodik haben sich die Initiatoren von den Bretonen und indigenen Völkern in Amerika abgeschaut. Denn dem Niedersorbischen geht es besonders schlecht: Es wird seit mindestens einer Generation kaum noch an die Nachkommen weitergegeben, sodass heute wohl mehr „Neusprecher“ als Muttersprachler niedersorbisch sprechen. 

Das Anderssein ist ein Problem – für die Mehrheit

Derzeit hat das Sorbische wie auch viele Migrationssprachen in der Mehrheitsbevölkerung kein hohes Ansehen. Das könnte ein Problem sein, erklärt die Psycholinguistin Barbara Mertins von der Technischen Universität Dortmund: „Prestige und Sprachwertigkeit sind extrem wichtige Variablen, aber kaum untersucht.“ Sie bestimmten mit, „ob oder wie eine Sprache weitergegeben wird“. Sprechende müssten laut ihrer Studien in der Öffentlichkeit Abwertung fürchten: „Die Wertigkeit von Migrationssprachen in NRW ist furchtbar und das kriegen die Kinder tagtäglich zu spüren.“ Zwischen den Sprachen und sogar deutschen Dialekten gebe es außerdem eine Hierarchie.

In Hoyerswerda (obersorbisch: Wojerecy) sind die Straßen zweisprachig beschildert, die obersorbische Sprache wird von Sprechenden jedoch wenig weitergegeben.
In Hoyerswerda (obersorbisch: Wojerecy) sind die Straßen zweisprachig beschildert, die obersorbische Sprache wird von Sprechenden jedoch wenig weitergegeben.

© imago/Thomas Eisenhuth

Dabei forme die Beherrschung mehrerer Sprachen die Wahrnehmung der Welt, folgert sie aus ihrer Arbeit, „denn jede Sprache erlaubt uns eine neue Weltsicht.“ Sprachen mit unterschiedlichen Strukturen lasse unterschiedlich denken, lenke den Fokus zum Beispiel eher auf das Ziel oder den Verlauf einer Handlung. Mehrsprachigkeit sei eine Lebenserfahrung, die mit „Identität, Stolz, Kultur, Verwurzelung zu tun hat und viel Emotionalität.“

Wer mehrere Sprachen beherrsche, betreibe zudem „Code-Switching“, einen schnellen Sprachwechsel, weil das Gehirn dieser Personen dichter vernetzt sei. „Das verschafft Vorteile im Bereich der kognitiven Kontrolle.“ Man denke beim Sprechen stets die anderen Sprachen mit: „Sie betreiben ist eine aktive Hemmung der jeweils anderen Sprachen“, sagt Mertins.  Eigentlich sei sie es aber leid, von Vor- oder Nachteilen von Mehrsprachigkeit zu reden, denn multilinguale Kinder hätten sich ihre Mehrsprachigkeit nicht ausgesucht.

„Duktus der Monolingualität“

Vor zwei Jahren hätte sie die Mitglieder der neuen Bundesregierung auf Multilingualität und Auslandserfahrung überprüft. Die meisten Führungspersönlichkeiten im deutschen Politikbetrieb beherrschten kaum Fremdsprachen, hätten nie im Ausland gelebt. Das hat Auswirkungen auf die Gesellschaft: „Der Diskurs wird von dem Duktus der Monolingualität geprägt.“

Eine mehrsprachige Lausitz würde die Bevölkerung wohl nicht überfordern: Mehrsprachigkeit mit Sprachkontakt sei im globalen Vergleich die Norm, sagt sie. Auf knapp 200 Staaten kämen schließlich 4000–6000 Sprachen, Europa sei also sprachlich verarmt. 

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