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© Lisa Rock für den Tagesspiegel

„Der Erbonkel“: Die DNA des Missverständnisses

„Grüne DNA“? Soziale Gerechtigkeit sei der SPD „in ihre DNA geschrieben“? So einfach ist es nicht. Warum wir das Erbgut in politischen Debatten lieber aus dem Spiel lassen sollten.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Es ist inzwischen überall zu lesen, fräst sich in Gehirne wie Ohrwürmer, ist zum geflügelten Wort geworden. „Unsere DNA ist die Soziale Marktwirtschaft“, „Soziale Gerechtigkeit ist unsere politische DNA“ tönt die SPD, wobei die Badische Zeitung eher meint, „Sonnenschutz gehört zur DNA der SPD“. Bei den Grünen wird das Erbgutmolekül sogar bunt, denn die Debatte über Gentechnik sei „ein Schnitt in die grüne DNA“, so die „taz“. Mitunter sind die Parteien aber auch „auf der Suche nach ihrer DNA“ oder laufen Gefahr, sie „zu vergessen“.

All dies soll eines suggerieren: Unveränderlichkeit. Was einem in die DNA geschrieben ist, ist in Stein gemeißelt, unverrückbar. Denn gäben etwa die Grünen ihre Ablehnung gegen Grüne Gentechnik auch nur teilweise auf, würden sie ihren Markenkern, sich selbst verleugnen, sie wären nicht mehr „grün“. Eine SPD ohne Gerechtigkeits-Gene wäre nicht mehr sozialdemokratisch. Eine CDU, die nicht mehr für Marktwirtschaft einsteht, verliert ihre Legitimation.

Doch das Bild ist schief. Zum einen, weil DNA durchaus veränderlich ist. „Erbonkel“-Leser:innen wissen das. Und eigentlich weiß es jeder, der mal einen Blick in den Zoo, den Botanischen oder den eigenen Garten geworfen hat. Was auch immer da kreucht und fleucht, ist Produkt sich ununterbrochen verändernder DNA-Moleküle.

Mutationen, gemeinhin als negativ, etwa bei Coronavirus-Varianten, angesehen, sind zunächst einmal nur Ursache für Varianz, aus der aber nicht allein Krankheit, sondern auch Positives, neue Eigenschaften entstehen können. So wird – proaktiv – eine Vielzahl von Organismen geschaffen, von denen nicht alle, aber gerade so viele an die gerade herrschenden Umweltbedingungen angepasst sind, dass die Art überlebt. Verlierer sind jene, die sich nicht verändern, deren DNA zu lange so bleibt, wie sie ist. Die mit Neuem nicht fertig werden.

Der andere Grund, DNA nicht als Synonym für Unveränderlichkeit in politischen Diskursen zu verwenden, ist einer, den man sich insbesondere in Deutschland bewusst machen sollte: Das Vermischen von biologischer und kultureller Sphäre, von biologischen Prinzipien als „Argument“ für politisches Handeln, hat hier mehr als anderswo keine gute Geschichte.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben – jedes Wochenende Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne.

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