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Covid-19-Forschung steht unter Hochdruck. Doch trotz gebotener Eile sollten die Standards des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses weiter gelten.

© dpa

Wissen unter Vorbehalt: Die Gefahren einer allzu hektischen Covid-19-Forschung

Schnell mehr über das neue Coronavirus erfahren zu wollen, ist richtig, verleitet jedoch zu schlampiger Forschung.

Schlecht konzipiert, unbegründet und mangelhaft ausgeführt: In Zeiten der Corona-Pandemie werden bei der Durchführung und Veröffentlichung wissenschaftlicher Studien gängige Qualitätsstandards häufig vernachlässigt. Das beklagen zwei Wissenschaftsethiker im Fachblatt „Science“.

Die fieberhafte Suche nach einer Impfung oder einem Medikament gegen Covid-19-Infektionen dürfe aber nicht dazu führen, dass Forscher es an Sorgfalt vermissen lassen. Hastig durchgeführte Studien könnten dazu führen, dass ohnehin knappe Ressourcen verschwendet und falsche Fährten verfolgt würden.

An Grundlagen wissenschaftlicher Praxis festhalten

Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina betonen, wie wichtig es gerade für die Bekämpfung der Pandemie sei, an den Grundregeln guter wissenschaftlicher Praxis festzuhalten.

Angesichts der derzeitigen „Flut klinischer Studien“ mahnen Alex John London von der US-amerikanischen Carnegie-Mellon-Universität und Jonathan Kimmelman von der kanadischen McGill-Universität in ihrem Meinungsartikel für „Science“ an, dass Dringlichkeit keine Entschuldigung dafür sein dürfe, wissenschaftliche Standards zu vernachlässigen.

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Konkret nennen die beiden zum einen die Gefahr, dass die gerade in einer Krise knappen Mittel nicht zielgerichtet eingesetzt würden und führen als Beispiel 18 klinische Studien an, in deren Rahmen in den USA aktuell die Wirksamkeit des Malariamittels Hydroxychloroquin getestet werde.

„Diese massive Anstrengung konzentriert die Ressourcen auf nahezu identische klinische Hypothesen, schafft Wettbewerb um Rekrutierung und vernachlässigt die Möglichkeit, andere klinische Hypothesen zu testen“, schreiben sie.

Vorabveröffentlichungen mit Vorsicht zu genießen

Zum anderen würden derzeit viele Forschungspapiere auf sogenannten Preprint-Servern veröffentlicht. Das ist ein inzwischen gängiger Bestandteil des wissenschaftlichen Publikationsprozesses, bei dem Forscher ihre Ergebnisse vorab zur Diskussion stellen. Eine wissenschaftliche Begutachtung der Ergebnisse durch andere, in dem jeweiligen Forschungsfeld versierte, unabhängige Experten, die sogenannte „Peer Review“, ist dann allerdings noch nicht erfolgt.

Seriöse Fachpublikationen veröffentlichen Studien erst nach dieser Prüfung. „Scharen von Forschungsarbeiten wurden auf Preprint-Server übertragen, wodurch die Peer Review im Grunde an praktizierende Ärzte und Journalisten ausgelagert wurde“, kritisieren London und Kimmelman.

Hintergründe zum Coronavirus:

Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) findet es problematisch, wenn außerhalb der Wissenschaft versucht wird, Ergebnisse einzuordnen, die keine Peer Review durchlaufen haben. Grundsätzlich sei es aber erfreulich, dass Forschungsdaten unverzüglich und ohne Konkurrenzdenken geteilt werden.

„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten dabei jedoch stets klar und nachvollziehbar die Vorläufigkeit der Forschungsergebnisse kennzeichnen und dies auch offen kommunizieren“, teilte die DFG mit.

Auch begutachtete Covid-19-Forschung nur unter Hochdruck validiert

Das müsse allerdings auch für Covid-19-Forschungsergebnisse gelten, die die Peer Review durchlaufen haben, mahnt Ivan Oransky an, Gründer von „Retraction Watch“ und Redaktionsvizepräsident von „Medscape“. Denn es gebe auch problematische Coronavirus-Forschung – einschließlich einiger zurückgezogener Studien – in Fachzeitschriften mit Peer-Review. „Das ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die Zeitschriften ihre Bearbeitungszeit für Manuskripte (...) halbiert haben, und das meiste davon kam durch die Verkürzung des Peer-Review-Verfahrens zustande.“

Das führe wahrscheinlich zu oberflächlicheren Begutachtungen, „vor allem, weil echte Coronavirus-Experten sehr gefragt sind und die Begutachtungen möglicherweise von Forschern durchgeführt werden, die nur über begrenzte oder gar keine Fachkenntnisse auf diesem Gebiet verfügen.“

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London und Kimmelman schlagen fünf Qualitätskriterien vor, die gerade jetzt von Akteuren aus Forschung und Gesundheitswesen beachtet werden sollten: So sollte für eine Studie entscheidend sein, wie wichtig sie ist, um vorhandene Forschungslücken zu schließen. Eine präzise Konzeption, analytische Integrität, Transparenz und schließlich Machbarkeit seien weitere wesentliche Kriterien.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina betont, wie unabdingbar eine klare Orientierung an hohen wissenschaftlichen Qualitätsstandards angesichts der Relevanz wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Bekämpfung der Pandemie sei. „Eine wissenschaftliche Disziplin, die sich davon verabschiedete, würde vollkommen zu Recht mittel- und langfristig Akzeptanz nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Öffentlichkeit einbüßen.“ Nur dank ihrer hohen Qualitätsstandards könne die Wissenschaft effektiv dazu beitragen, dass über Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, über die praktische Umsetzung von Forschungsresultaten und über die Förderung von Forschungsvorhaben so kompetent wie möglich entschieden werde. (skb/dpa/smc)

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