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Tausende Kilometer voneinander entfernt und doch Teil eines Wetter- und Klimaphänomens. So wie beispielsweise Staubwolken aus der Sahara in Süd- und Mittelamerika Fauna und Flora beeinflussen, so kann Wind am Boden Luftströmungen in großer Höhe beeinflussen.

© picture alliance / dpa

Digitales Leben: Geheime Verbindungen

Mit cleveren Algorithmen sucht ein Physiker nach Mustern in Wetterdaten und verbessert so Klimamodelle. Auch Krebspatienten profitieren von Big Data, es kann ihnen das Leben retten

Ist das wirklich noch Naturwissenschaft oder eher Esoterik? Diese Frage stellt sich schon, wenn man Sätze hört wie diesen: „Es gibt Verbindungen im Klimasystem, sogenannte Telekonnektionen, die wirken über tausende Kilometer: Fällt die Temperatur in Brasilien, könnte es bald darauf auch in Großbritannien kälter werden.“ Jonathan Donges schaut, als meint er das ernst. „Oder nehmen wir den Wind: Weht er in der Arktis am Boden etwas langsamer, überträgt sich diese Störung bis in die hohen Luftschichten und kann den Wirbel, der um den Nordpol rotiert, schwächen.“ Hört sich immer noch eher mystisch als meteorologisch an.

Wind am Boden beeinflusst Luftströmungen in großer Höhe

Der Forscher weiß, dass solche Aussagen Stirnrunzeln hervorrufen und holt ein paar Fachartikel mit komplizierten Formeln und Grafiken auf seinen Bildschirm. „Hier“, sagt er und deutet auf die Beringstraße zwischen Alaska und Kamtschatka, „hier ist die Verbindung zwischen dem Windfeld am Boden und den höheren Luftschichten besonders ausgeprägt.“ Tatsache, die Knoten des virtuellen Netzwerks drängeln sich dort geradezu, während es zum Beispiel in der Karibik kaum welche gibt.

Mit cleveren Algorhythmen spürt der Physiker Jonathan Donges vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung Zusammenhänge zwischen scheinbar unabhängigen Klimaphänomen auf.
Mit cleveren Algorhythmen spürt der Physiker Jonathan Donges vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung Zusammenhänge zwischen scheinbar unabhängigen Klimaphänomen auf.

© PIK

„Was die Ursache dafür ist, dazu forschen wir noch, aber wir wissen, dass dieser Effekt vorhanden ist.“ Jonathan Donges vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ist Experte für solche überraschenden Zusammenhänge zwischen entfernten Regionen. Mit Hilfe leistungsfähiger Computer und cleverer Algorithmen spürt er sie in einem gewaltigen Datenwust von Wetterdaten aus sechs Jahrzehnten auf und trägt damit dazu bei, dass Klimamodelle noch besser werden.

Wie kaum eine zweite Wissenschaft ist die Klimaforschung mit der Digitalisierung verbunden, wird durch sie erst möglich. Zumindest in dem Umfang, den mittlerweile Behörden, Unternehmen und Privatpersonen zu schätzen wissen, wenn sie etwa erfahren wollen, wie sich Temperatur und Regenfälle in den nächsten Jahrzehnten wahrscheinlich entwickeln.

Je besser die Daten umso besser die Simulation

Grundlage für jede Simulation in Richtung Zukunft sind verlässliche Daten aus der Vergangenheit wie Temperatur, Luftdruck, Niederschlag, Feuchtigkeit. „Wir nutzen Messungen von Wetterstationen auf dem Land, an Bord von Schiffen, Flugzeugen oder Satelliten und, nicht zu vergessen, Wetterballons“, sagt Donges und erinnert an Reinhard Süring: Ballonflugpionier im frühen 20. Jahrhundert, Leiter des meteorologischen Observatoriums auf dem Potsdamer Telegrafenberg und Namensgeber des klassizistischen Klinkergebäudes, in dem heute der PIK-Physiker arbeitet. All diese Angaben - ob auf handgeschriebenen Protokollen oder in den Signalen der automatisierten Wettersonden - müssen in einheitliche digitale Informationen umgewandelt werden, damit Computer diese verarbeiten und beispielsweise simulieren können, welches Klima die mächtigen Eichen und Buchen vor seinem Fenster in den nächsten 100 Jahren zu erwarten haben.

So treffsicher wie eine Wettervorhersage werden Klimamodelle allerdings nie sein. Dafür gibt es zu viele Unbekannte: Wer weiß schon, wie der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid in Zukunft sein wird? Gibt es Vulkanausbrüche, die vorübergehend Abkühlung bringen? Das kann keiner voraussagen, das macht Modellrechnungen zwangsläufig ungenau. Die Klimawissenschaftler konzentrieren sich deshalb auf das, was greifbar ist. Das physikalische Zusammenspiel von Land und Meer und Atmosphäre. Dabei zeigt sich, dass es keineswegs an allen Orten der Erde gleich verläuft. In einigen Regionen wie etwa Mitteleuropa scheint das Auf und Ab des Wetters kaum weitreichende Folgen zu haben. Die Arktis hingegen reagiert sehr empfindlich auf Änderungen – beispielsweise das Abschmelzen des Meereises - und leitet diese wie ein Verstärker ins globale Klimasystem weiter, haben Donges und Kollegen festgestellt.

212 Rechenoperationen pro Sekunde

Sie haben dafür in Netzwerken mit Hunderten Millionen von Wetterdatenpunkten nach auffälligen Mustern gesucht. Oder besser gesagt: suchen lassen, den Supercomputer des PIK. Eine Rechenmaschine, die naturgemäß anfangs top und bald schon etwas veraltet ist, weil die IT-Technik sich ständig selbst übertrifft. Das aktuelle Modell befindet sich im Keller eines nahen PIK-Neubaus. Sieben Schränke voller Kabel und LEDs, umtost vom kalten Luftzug der Klimaanlage. Eigentlich sollten es ein paar mehr sein, doch zwischen Ausschreibung und Aufstellung machte die Technik schon wieder Fortschritte, so dass die Anlage kleiner ausfiel, trotz gleicher Leistung. Die 5088 Prozessorkerne schaffen 212 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde (Teraflops) und erzeugen so viel Abwärme, dass der gesamte Neubau und Nebengebäude ausschließlich damit beheizt werden. Ja nachdem, welche Aufgaben Donges an die Maschine stellt, sind ein paar hundert oder tausend ihrer Prozessorkerne durchaus für mehrere Tage beschäftigt.

„Am Ende finden wir damit hoffentlich weitere Muster im Klimageschehen, wie die starke Verbindung zwischen den Luftschichten über der Beringstraße“, sagt er. Im nächsten Schritt wird dann überprüft, ob die vorhandenen Klimamodelle diese Verstärkung auch wiedergeben, wenn man sie von den Fünfzigerjahren bis in die Gegenwart laufen lässt. Falls nicht, müssen die Programmierer nachbessern.

„Gerade diese nichtlinearen Zusammenhänge haben einen großen Einfluss auf das Klima“, sagt der Forscher. „Je besser wir sie verstehen und in Computermodelle einbauen können, umso sicherer werden die Simulationen zu den globalen Veränderungen.“

Navigationshilfe zur passenden Krebstherapie

Während unentdeckte Zusammenhänge in der Klimaforschung allenfalls die Qualität der Modellierung mindern, können sie bei der Behandlung von Patienten lebensbedrohliche Folgen haben. Das zu verhindern und die Therapie individuell auf den Erkrankten einzustellen, ist das Ziel der Bioinformatiker von Molecular Health.

„In der Krebstherapie sind viele Mittel mit heftigen, mitunter auch tödlichen Nebenwirkungen verbunden. Andere wiederum wirken bei einzelnen Patienten gar nicht“, sagt Stephan Brock, technischer Vorstand der Heidelberger Firma, die kürzlich in Berlin ein Büro eröffnet hat. Um für jeden die passende Therapie zu finden, haben Brock und sein Team ein System entwickelt, das einerseits das Erbgut des Patienten und seines Tumors analysiert. Das gibt Hinweise darauf, wie schnell er oder sie Medikamente abbaut und welche Dosis die passende ist. Auf der anderen Seite werden Resultate aus tausenden medizinischen Studien zur Krebsbehandlung in einer Datenbank zusammengeführt. Hinzu kommen Informationen aus zehn Millionen US-Patientenakten, die weitere Hinweise auf mögliche Nebenwirkungen liefern - vor allem wenn mehr als zwei Mittel zugleich eingesetzt werden, was nicht in jeder medizinischen Studie getestet wird. Das Programm ermittelt dann, welche Therapie den besten Erfolg verspricht und wo gravierende Nebenwirkungen drohen. Dieses Ergebnis wird dem Arzt präsentiert, als Vorschlag. „Unser Verfahren soll nichts ersetzen“, sagt Brock. „Es ist nur ein weiterer Baustein zum Gesamtbild des Patienten.“ Manche Mediziner, so Brocks Erfahrung, stehen solchen digitalen Assistenten sehr skeptisch gegenüber. Andere schätzen die Hilfe, ein „Navigationssystem“ für den Dschungel der Studien, Wirkstoffkombinationen und möglichen Unverträglichkeiten zu erhalten, den ein Arzt allein gar nicht überschauen kann.

Doch das Navi kostet, mehrere tausend Euro pro Patient. Die Krankenkassen übernehmen bisher nichts. Allerdings gibt es einige Firmen, die diese Möglichkeit der personalisierten Medizin für ihre Mitarbeiter bezahlen oder das planen. Sie kommen aus der IT-Branche.

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