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Bei Ausgrabungen lernen wir die Geschichten der Menschen aus längst vergangener Zeit kennen: Wie hier in Sachsen-Anhalt, wo 5000 Jahre alte Tierknochen in einer Opfergrube gefunden wurden.

© dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Faszination Archäologie: Einmal über den Schaufelrand blicken

Von der Zahnbürste zum Graben bis zu prähistorischen Totenritualen: In seinem neuen Buch gibt der Archäologe Jens Notroff Einblicke in seinen Forschungsalltag und weit darüber hinaus.

Auf der Suche nach Inka-Schätzen im südamerikanischen Regenwald, verflucht von ägyptischen Pharaonen oder mit Pinsel und Lupe auf den Spuren römischer Feldherren – so oder so ähnlich stellen sich Viele die Arbeit in der Archäologie vor. Das mag auch mit dem Filzhut tragenden Harrison Ford zu tun haben, der als Indiana Jones das Lasso auf den Kinoleinwänden schwingt. Denn fest steht: Das popkulturelle Interesse an der menschlichen Vergangenheit ist groß.

Kein Wunder also, dass mit „Archäologe wollte ich als Kind auch immer werden“ fast jedes Gespräch mit Archäolog:innen beginne, weiß Jens Notroff aus eigener Erfahrung. Dies zeige die Faszination für das Thema in der Breite. Aber auch, wie verfälscht das Bild von archäologischer Arbeit zwischen abenteuerlicher Schatzsuche und verstaubter Museumsvitrine ist.

Jens Notroff, der am Deutschen Archäologischen Institut in Berlin in der Wissenschaftskommunikation arbeitet, nimmt die Lesenden in seinem Buch „Staub, Steine, Scherben. Wie Archäologen in der Vergangenheit graben und die Gegenwart finden“ mit auf eine Grabungsreise, die an Spannung und Witz den Abenteuern des Filmarchäologen in nichts nachsteht.

Hinter den Dingen in den Museumsvitrinen steckt das Leben von Menschen.

Jens Notroff, Archäologe

Ähnlich wie bei Indiana Jones entsteht auch bei Jens Notroff die Liebe, insbesondere zur prähistorischen Archäologie, bereits in seiner Kindheit. Damals besuchte er mit seinem Vater in den 1980er Jahren das Berliner Bode-Museum. „Hinter den Dingen in den Museumsvitrinen steckt das Leben von Menschen. Denen ein Stück näherzukommen, das treibt mich persönlich an. Was waren das für Menschen? Wie haben sie gedacht, gefühlt und gelebt?“, schildert er im Gespräch mit dem Tagesspiegel seine Faszination für das Fach.

Wenn Forschende ihr Forschungsobjekt zerstören

Zur Beantwortung solcher Fragen ziehen Archäolog:innen die materielle Kultur heran. Das heißt, sie erforschen die menschliche Vergangenheit anhand überlieferter Gegenstände, Siedlungsresten oder Bestattungen. Um diese Quellen zu erschließen, haben sie ihre eigene Methode entwickelt: die Ausgrabung. In einem Wechsel aus eigenen Grabungserfahrungen und detaillierten Erklärungen beschreibt Jens Notroff die einzelnen Arbeitsschritte und Techniken, die vor, auf und nach einer solchen Ausgrabung zum Alltag gehören.

 „Staub, Steine, Scherben. Wie Archäologen in der Vergangenheit graben und die Gegenwart finden“ von Jens Notroff, erschienen im Hanserblau-Verlag, 224 Seiten, 23 Euro. 

© Hanser-Literaturverlage

„Archäologische Quellen sind eine schützenswerte Ressource, mit der sorgsam umzugehen ist“, betont er im Gespräch. Archäolog:innen graben also nur das aus, was zur Beantwortung ihrer Forschungsfrage nötig ist, und dokumentieren dabei jeden Arbeitsschritt und jedes Ergebnis sorgfältig. Denn was einmal ausgebuddelt wurde, kann nicht wieder in den Ursprungszustand zurückversetzt werden.

Damit beschädigt und beseitigt die Ausgrabung als wissenschaftliche Methode zur Quellengewinnung tatsächlich einen großen Teil des eigentlichen Quellenmaterials und Fundkontextes selbst. Gezielte Zerstörungen oder Plünderungen von archäologischen Stätten, aber auch undokumentierte oder nicht fachgerechte Grabungen sind in diesem Zusammenhang besonders dramatisch. Denn der wissenschaftliche Verlust ist in solchen Fällen enorm. Hinzu kommen ein wachsender Bedarf an Platz, Ressourcen und Rohstoffen. Die Folgen von Umweltveränderungen gefährden archäologische Stätten und sogenannte Bodendenkmäler – im Boden verborgene Zeugnisse – zusätzlich.

In der Vergangenheit nach der Gegenwart graben?

Für Jens Notroff ist dies Grund genug, die Bedeutung archäologischer Forschungsarbeit hervorzuheben: Denn das Besondere sei vor allem die Langzeitperspektive der Archäologie auf menschliches Leben und Wirken. Diese geht weit über den Erfahrungshorizont einzelner, aber auch die Aussagekraft historischer Schriftquellen hinaus. Und obwohl sich die Archäologie damit dem längst Vergangenen widmet, kann sie einen Beitrag zu Gegenwartsdebatten und für Prognosen leisten.

Eindrucksvoll sichtbar wird das am Beispiel des Klimawandels. Denn zum einen stammen viele Daten, auf denen unsere heutigen Klimaprognosen für die Zukunft basieren, aus archäologischen Befunden. Zum anderen zeigt archäologische Forschung auch, wann sich Lebensräume klimatisch verändert, wie Menschen darauf reagiert oder auch wie sich Gesellschaften gewandelt haben, wenn extreme Klimaereignisse beispielsweise Flucht- und Migrationsbewegungen hervorriefen. „Mit solchen Fragestellungen“, sagt Jens Notroff, „spiegeln wir Archäolog:innen Dinge, die uns auch heute im Alltag umtreiben.“

Es geht um die Menschen und ihre Geschichten

Eines wird klar: Die Archäologie ist mehr als das Lesen von Gegenständen. Sie schaut hinter die Objekte, um die Menschen zu greifen, die sie angefertigt, benutzt und zurückgelassen haben, und fragt sich, wo wir heute anknüpfen und uns wiederfinden können. Damit gibt sie Einblicke in Gesellschaften und ihr Alltagsleben, in Erkrankungen und deren Verbreitung, in Ernährung, Mobilität und Diversität von Bevölkerungen. Kurzum: Archäolog:innen decken die Vielfalt menschlichen Lebens in der Vergangenheit auf, knüpfen an gegenwärtige Gesellschaften an und machen damit auch einen Blick in unsere Zukunft möglich. „Das zeigt, wie alltagsrelevant die Archäologie als Gesellschaftswissenschaft ist“, sagt Jens Notroff.

In seinem Buch zeichnet er ein Bild von der Archäologie als Fachgebiet, das erst in interdisziplinärer Zusammenarbeit ein Ganzes ergibt. Damit aus Staub, Steinen oder Scherben eine Geschichte über das Leben von Menschen wird, helfen neben Geschichts- und Kultur- auch Sozial- oder auch Naturwissenschaften mit.

Und auch wenn Jens Notroff durchaus gern mit Filzhut posiert, seinen Arbeitsalltag im Abenteuerlook beschreibt und damit bewusst Analogien zur Popkultur aufmacht, gelingt ihm ein leidenschaftliches Plädoyer für den wissenschaftlichen Arbeitsprozess und Erkenntnisgewinn. Damit werden die Lesenden für die Schönheit des Nicht-Wissens und des gemeinsamen Puzzelns sensibilisiert. Forschung wird als dynamisches Ereignis vermittelt, bei dem ständig neue Erkenntnisse eingeordnet und alte über den Haufen geworfen werden.

Zuweilen verliert sich der Autor auf in technischen Details oder allzu komplexer Darstellung seiner Arbeit, was der Lektüre jedoch Charme verleiht. Notroff führt jedoch wie der Ariadnefaden im Labyrinth des Minotaurus durch sein Werk. Damit hat sein Buch Potenzial, das interessierte Laienpublikum genauso zu begeistern wie Fachkolleg:innen, die sich gern einmal im Indiana Jones-Gewand wiederfinden wollen.

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